Beatles

Es gibt natürlich einige Möglichkeiten, die Geschichte der populären Musik zu schreiben, ein guter Weg ist aber sicher das sogenannte Drei-Phasen-Modell. Die erste Phase darin ist lang. Sie dauert vom Anbeginn der Zeit bis zum 5. Januar 1962. Es ist die Phase, in der es keine Beatles-Musik zu kaufen gibt – hauptsächlich weil, und das gilt für einen Zeitraum von Jahrmillionen, die Menschen und auch die Beatles noch gar nicht existieren. Zu Beginn von Phase zwei, in der man die Beatles auf verschiedenen Tonträgern erwerben kann, spielen diese dann innerhalb weniger Jahre etwa die Hälfte der besten Popsongs aller Zeiten ein – für nachfolgende Musikergenerationen bleibt nicht mehr allzu viel zu tun. Phase drei schließlich beginnt mit dem Tag, an dem die Musik der Beatles sich ganz offiziell von Vinyl-platten und Silberscheiben löst und frei durch die Welt zu zirkulieren beginnt. Es ist der Start in die Zukunft – und diese Periode muss jetzt jeden Tag losgehen.Moment mal, fragen hier Nicht-Beatles-Fans, hat diese Zukunft nicht längst begonnen – mit dem Internet, dem iPod, der Musiksammlung auf meiner Festplatte? Eben nicht. Wann immer Männer wie Steve Jobs oder Bill Gates verkündeten, die Schwelle zum Zeitalter der digitalen Musikdatei sei nun offiziell überschritten, mit Millionen legaler Downloads in allen nur denkbaren Netzwerken, gab es eine kleine, tödliche Gegenfrage: Habt ihr auch Beatles-Songs? Sind die Beatles mit dabei? Die Antwort, schamrot vorgetragen, lautete immer: Wir haben alles, nur die Beatles leider noch nicht. Und damit war jede Rhetorik umsonst. Eine digitale Revolution ohne A Hard Day’s Night und Eleanor Rigby war keine digitale Revolution; eine neue Ära ohne She Loves You und Penny Lane war keine neue Ära. Der Fortschritt weigerte sich ganz einfach, ohne die Beatles voranzuschreiten. Auch die CD war seinerzeit ja kaum mehr als ein hanebüchenes Experiment der Musikindustrie, bis die Beatles und ihre Erben einwilligten, ihr Genie darauf pressen zu lassen.Es kann jetzt nur noch Wochen, Tage, Stunden dauern, bis der komplette Beatles-Songkatalog, aufgefrischt nach den neuesten Standards der Remastering-Technik, auf iTunes und anderen Webseiten zum Herunterladen bereitsteht. Bis die Beatles wieder einmal auf Nummer eins klettern, diesmal in den Download-Charts. Und bis die Frage nach ihrem beliebtesten Song, auf die man in England bereits Wetten abschließen kann, endlich amtlich anhand von Verkaufszahlen geklärt ist (derzeit führt Hey Jude). Vielleicht gibt es sogar, die Anzeichen häufen sich, bald einen Yellow-Submarine-iPod, auf dem alle Beatles-Songs beim Kauf bereits drauf sind. Dass es für solche Pläne bislang keine Chance gab, lag nicht zuletzt an den langjährigen Streitigkeiten zwischen den Beatles, ihrer in den Sechzigerjahren gegründeten Firma Apple und dem gleichnamigen, viel bekannteren Computerunternehmen Apple sowie dem Audiokonzern EMI. Doch diese sind nun geschlichtet. Und so schön und spannend das alles ist, klar ist auch: Phase zwei, die klassische Ära der Popmusik, die unsere und zwei, drei weitere Generationen geprägt hat, geht unwiederbringlich zu Ende. Im Grunde ist es schon paradox: John, Paul, George und Ringo, die zu Beginn ihres Wirkens pilzköpfig die Welt schockierten, die Jugend elektrisierten und das Prinzip der Moderne, die ewige Jagd nach dem Neuen, auf die Spitze einer nie gekannten Hysterie trieben, hatten sich zuletzt in eine Instanz des Bewahrens, der Skepsis, der Nostalgie verwandelt. So wie sie die Musik einst epochal vorantrieben, indem sie – äußerst selten in jeder Kunstform – gleichzeit die besten UND populärsten ihres Geschäfts waren, so reichte ihr Wort, um den Lauf der Zeit zuletzt noch ein paar Jahre aufzuhalten. Gerade Lennon und McCartney, die in ihrer Jugend Song um Song komponierten und in die Welt hinausfeuerten, wuchsen mit der Unsterblichkeit ihres Werks zu Lordsiegelbewahrern des Copyrights, der Lizenz- und Urheberrechte, zu Leitfossilien einer Epoche, die Könige des geistigen Eigentums auch auf Heller und Pfennig zu Milliardären machte. Nun wird es an ihnen und ihren Nachlassverwaltern sein, dieses Zeitalter auch offiziell zu beenden – und den Weg in die Zukunft zu öffnen.