Die Geschichte der Popmusik mit all ihren Brüchen lässt sich vielleicht von einem Detail her erzählen: von der Frage, wie sich das Bild des schwitzenden Popstars verändert hat. Man könnte zwei Fotos nebeneinander legen: Auf der einen Seite die Nahaufnahme einer der großen Ikonen des Rock, wie sie in den siebziger Jahren auf den Stadionbühnen standen und den Typus des charismatischen Frontmanns für alle Zeiten prägten – Ian Gillan, Bon Scott oder Robert Plant, mit halb geschlossenen Lidern am Mikrofon, die Strähnen ihrer Haarpracht am Gesicht klebend. Was sagt der Schweiß auf ihren Gesichtern aus? Er steht für Selbstvergessenheit, für die rückhaltlose Feier des Augenblicks; an diesem Abend, so seine Botschaft an die Zuschauer, könne das alltägliche Leben mit seinen Zwängen und Vernunftbarrieren hinter sich gelassen werden, die Körper vollständig mit der Musik verschmelzen. Es ist der Schweiß der Übertretung, des Hedonismus und am Ende natürlich: der Schweiß der sexuellen Ausschweifung.Die andere Aufnahme, ein Vierteljahrhundert später: Sie könnte Britney Spears am Ende eines durchchoreografierten Auftritts mit ihren Hintergrundtänzern zeigen oder eine der professionell zusammengestellten Boy- und Girlgroups der letzten Jahre. Auch hier blickt man in restlos verschwitzte Gesichter, doch welch andere Bedeutung kommt ihnen zu: Sie signalisieren weder Selbstvergessenheit noch Hedonismus, sondern allein die Bewältigung eines anspruchsvollen Tanzprogramms. Diese Körper überschreiten keine Grenze; statt um Ausschweifung geht es um das Gegenteil: um Konzentration, um den Ehrgeiz, »das Letzte aus sich herauszuholen«.Wenn man ohnehin sagen kann, dass der bedeutungsvollste Einschnitt in die Popkultur des letzten Jahrzehnts jene Assoziation von Popmusik und Arbeit war, wie sie sich mit dem Erfolg der Cas-tingshows durchgesetzt hat; wenn das gegenwärtige Bild des Stars nicht mehr von Eigensinn und unkonventioneller Lebensführung gekennzeichnet ist, sondern von Disziplin und ständiger Leistungsbereitschaft: Dann zeigt sich diese Zäsur am anschaulichsten im Bedeutungswandel des Schweißes auf der Bühne. Von der Sphäre des Rausches ist er in die der Fitness übergegangen. Eine neue Ökonomie der Verausgabung: Wo der Popstar alter Prägung immer Gefahr lief, mehr zu geben, als er besaß, und seine Reservoirs Abend für Abend auf bedrohliche Weise ausreizte, geht es heute bei The Dome oder Top of the Pops um die Demonstration eines intakten Gleichgewichts von Input und Output, Schulung und Performance. Niemals würde der Schweiß Jeanette Biedermanns oder Sarah Connors als Indiz fortschreitender Selbstzerstörung wahrgenommen werden, der geradewegs ins backstage errichtete Sauerstoffzelt führt. Eher wirkt er wie die erwünschte Begleiterscheinung sportlicher Betätigung. Nach ihrem Auftritt stehen die neuen Stars neben den Interviewern wie Tennisspieler nach gewonnenem Match: auf gesunde, austrainierte Weise verschwitzt.Eine dritte Fraktion darf jedoch nicht vergessen werden, wenn von der Ökonomie der Affekte im Pop die Rede ist: Sie besteht aus den Verächtern des Schweißes und liegt – auch chronologisch – zwischen den Hedonisten und den Athleten. Mit der Gruppe Kraftwerk setzte eine neue Richtung der Popgeschichte ein, die sich gegen jede übermäßige Bewegung auf der Bühne wendet; in Abgrenzung zum schweißgebadeten Aus-druckswillen des Siebziger-Jahre-Rock geht es um eine möglichst diskrete, artifizielle Präsentation der Musik. Schminke und abgedunkelte Bühnen eliminieren alle Spuren von Anstrengung auf den Gesichtern. Kraftwerks Absage an den Schweiß hat wohl die Bühnen-ästhetik ganzer Musikgenres geprägt, von den eleganten britischen Popbands der frühen Achtziger bis zur vollständig entkörperlichten Präsentation elektronischer Musik hinter Laptop-Bildschirmen. Sex, Arbeit, Eleganz: drei Affektfelder des Pop, die sich alle auf das Bild des schwitzenden Stars beziehen – auf den rauschhaft vergeudeten, den sportiven und den verheimlichten Schweiß.