Wenn sich Städte und Siedlungen beschreiben lassen als eine Mischung aus fester Materie (Häuser, Gebäude, Bäume) und dem Hohlraum dazwischen (Straßen, Wege, Wiesen), dann ist der Poller so etwas wie die Verbindung dieser beiden Welten. Er steht dort, wo man eigentlich die Stadt durchqueren kann, zum Beispiel direkt in der Mitte einer Zufahrt. Und er verhindert genau dieses, durch seine pure Anwesenheit. Er suggeriert Durchlässigkeit, mit seiner schlanken, aufrechten und unauffälligen Gestalt (wenngleich ihn ein Lexikon beschreibt als »starken Stummelpfeiler«). Doch wenn es darauf ankommt, hält er auf, leistet er Widerstand, hindert wie ein pflichtbewusster Soldat Menschen am Passieren, vor allem dann, wenn sie im Auto sitzen.
In jüngster Zeit jedoch gewinnt der Poller entscheidende Qualitäten hinzu: Er kann sich unsichtbar machen. Er leuchtet. Er entwickelt einen kühlen Chic. Und er verspricht Schutz gegen ganz neue Bedrohungen. Er hat sich aus den in den letzten Jahren ausgemachten Sicherheitslücken heraus inzwischen in die urbane Architektur wie selbstverständlich eingemeindet. Immer häufiger fallen die neuen versenkbaren Stahlpoller auf, und das nicht zufällig an Schlüsselstellen unserer Städte: in edlem metallischem Grau gehalten, meist gleich mehrere in einer Reihe, am Kopf oft gekrönt durch einen Lichterkranz in Gelb oder Rot. Keine Frage, sie sehen gut aus, bedeutend und kraftvoll, sie wirken wertvoll und driften dabei nicht ab ins Protzige. Ihr massiger Körper erweist sich auf Knopfdruck als überraschend beweglich. Er schiebt sich mit erstaunlich hohem Tempo von rund zehn Zentimeter pro Sekunde in die Erde oder wieder nach oben – man ist fasziniert von dieser Mischung aus Anmut und Kraft, die das Bedrohliche einer Grenzziehung fast völlig ausblendet.
Die Poller von heute, schön und wohlgeformt, wie sie sind, scheinen sich perfekt einzupassen in die herrschende grau-stählerne Optik unseres aktuellen Stadtmobiliars. Laternen, Wartehäuschen, Abfalleimer, Pfosten aller Art für Schilder und Hinweistafeln – sie alle stehen für denselben Look, für einen unauffälligen, dezenten, metallischen Grundton, der das öffentliche Inventar der Städte drastisch abhebt von ihrer ansonsten immer greller werdenden Buntheit. Und doch markiert der Einzug der Poller in diese graue Liga einen Wendepunkt: Er zeigt, dass Sicherheit und Abschottung mittlerweile ein ganz normaler Bestandteil der Ausgestaltung unserer Städte sind.
Immer mehr Bauten, die für sich besonderen Schutzbedarf reklamieren, sind geradezu umzingelt von Pollerreihen. Die versenkbaren Stahlpfeiler vereinen Sicherheit und Abwehrbereitschaft mit ansprechendem Design. Sie geben damit eine zeitverzögerte Antwort auf die neuen Herausforderungen, auf all die Attentate, in denen zum Selbstmord entschlossene Fanatiker mit vor Sprengstoff strotzenden Autos auf symbolträchtige Gebäude zurasen.
In der Folge des 11. September sahen sich westliche Botschaften und Konsulate, Ministerien oder auch religiöse Zentren wie die neue jüdische Synagoge in München von ganz neuen Gefahren bedroht. Im Gegensatz zu den Reaktionen der ersten Stunde – plumpen Betonbrocken, Absperrgittern, mitunter gar Felsblöcken – geben die Poller eine Antwort, die nicht mehr wie hilfloser Aktionismus wirkt. Sondern die nach einem klarem Plan und westlicher Ingenieurleistung aussieht. Und weil sie es schaffen, ihre massive Abwehrbereitschaft dennoch mit Durchlässigkeit und Transparenz zu verbinden, weil sie relativ offen wirken und nicht abschreckend, sind sie das perfekte Symbol für die wehrhafte Demokratie des Al-Qaida-Zeitalters. Wir, das ist die Botschaft der Stahlpfeiler, sind vorbereitet, wir wappnen uns auf die uns angemessene Art.
Zum Beispiel vor der britischen Botschaft in Berlin: Auch dort lagen seit den Anschlägen auf die britische Vertretung in Istanbul im November 2003 grobe Betonklötze. Inzwischen wurden sie durch Stahlpoller ersetzt. Wer mit dem Auto in den dort gelegenen Bereich der Wilhelmstraße will, der muss gleich zwei Pollerreihen nacheinander durchfahren, die wie eine Schleuse funktionieren. Sie geben den Weg nach vorn erst endgültig frei, wenn das Auto zwischen beiden Reihen steht und hinten bereits alles wieder dicht ist. Fußgänger oder Radfahrer dagegen kommen problemlos durch die Zwischenräume in den Pollerreihen.
Die Pollerbranche hat sich inzwischen zu einem lukrativen Geschäft entwickelt. Viele Sicherheitsdienstleister erweitern ihr traditionelles Programm aus Schranken, Drehkreuzen und Bürozugangsautomaten mittlerweile um verschiedene Stahlpoller-Produkte – vom Standardmodell für normale Firmen bis zu den auf extreme Anforderungen ausgelegten Systemen mit Bezeichnungen wie »Poller Antiterrorismus« oder »Hochsicherheitspoller«. Diese Varianten haben einen verstärkten Korpus und eine besonders stabile Bodenverankerung. Sie können selbst einen mit Tempo 50 heranbrausenden Lkw in ein Wrack verwandeln und überstehen den Crash in der Regel sogar funktionsfähig.
Das macht sie auch im Kampf gegen gewöhnliche Kriminelle attraktiv: In Zürich etwa war es jahrelang in der Gangsterszene sehr beliebt, die berühmten Juweliergeschäfte in der Bahnhofstraße auszurauben, indem man mit einem Auto einfach in sie hineinfuhr. Rammbock-Diebstahl nennen die Schweizer das, und Jahre der Diskussion gingen ins Land, bis sich Stadt und Juweliere jetzt darauf einigen konnten, vor den Geschäften Poller zu installieren, die tagsüber versenkt und nachts hochgefahren werden.
Solche innerstädtische Aufrüstung hat ihren Preis: Zwischen 3000 und 4000 Euro kostet ein einzelnes 75 Zentimeter hohes und 25 Zentimeter breites Standardmodell, die Hochsicherheitsvarianten sind noch mal einige tausend Euro teurer. Dazu kommen vergleichbare Summen für den notwendigen Einbau in einen Schacht in der Erde und für das Begleitprogramm: Sender, Lichtschranken oder Induktionsschleifen im Asphalt, um sie automatisch zu steuern, und zusätzlich noch einen thermostatgeregelten Heizstab gegen Eis im Winter – für Michael Bauer von der Herstellerfirma Bavaria Zeitdienst einer der Gründe, warum sich Poller in südlicheren Ländern noch stärker durchzusetzen scheinen als bei uns.
Dabei ist der Poller an sich in unseren Städten nichts Neues, im Gegenteil: Traditionelle Pfosten aus Stein oder Metall sind so verbreitet, dass man sie kaum noch wahrnimmt. In den Achtzigerjahren gehörte es in vielen Kommunen zum Prinzip der Verkehrspolitik, durch so viele Poller wie nur möglich Autofahrer vom Parken auf Gehwegen abzuhalten. So entstanden Zigtausende dröger Stumpen in deutschen Städten, deren Anmutung meist ins Grabsteinhafte ging – und mitunter auch Assoziationen an die Grenzsicherungsanlagen der früheren DDR weckte. Als sich kritische Stimmen mehrten und das schöne Wort »Verpollerung« entstand, schien die Hochzeit des Pollers beendet. Experten wie Jürgen Marek vom Münchner Baureferat sagen, man baue Poller schon seit längerer Zeit eher ab als auf, Hamburg entfernte sie bereits zu Tausenden.
Auf den ersten Blick kommt die Renaissance also überraschend. Auf den zweiten nicht, denn es gibt viele Gründe, die Poller attraktiv machen: Man kann es lustig finden, wenn sie blinkend in die Erde sinken, man kann sich daran ergötzen, dass sie wie ein Haustier immer und immer wieder »Sitz« oder »Männchen« auf Knopfdruck machen können. Viel größer aber ist wohl die Faszination, über ein präzise gearbeitetes, elegantes und funktionales Stück Technik zu verfügen, das garantierte fünf Millionen Mal auf und nieder gehen kann, bevor es irgendwann am Ende ist.
Wenn die althergebrachte Schranke ein Plattenspieler war, dann ist der Stahlpoller ein iPod und dementsprechend groß sei die Versuchung in bestimmten Personen- und Gehaltsklassen, sich ein solches System anzuschaffen, sagen die Hersteller. Mit der lässig in der Hand liegenden Fernbedienung ein solch wuchtiges Ding in der Erde verschwinden zu lassen – das gibt einem schon einen Hauch von James Bond. Poller strahlen Potenz und Dominanz aus, auch dadurch, dass sie öffentliche Räume in ganz neue Machtsphären einteilen: in ein »Wir da drinnen« und ein »Ihr da draußen«. Ein Poller, der sich absenken kann, lässt einige wenige – diejenigen mit der Schlüsselgewalt – durch und alle anderen eben nicht. Wer also den Schlüssel hat (das kann eine Fernbedienung sein, ein Code im Handy oder, am allerbesten, ein ins Fahrzeug eingebauter Sender), der verfügt über Privilegien, über ein VIP-Ticket für einen Teil der Stadt. Als ob man bei einer Veranstaltung wäre mit einem Backstage-Pass, auf dem die Aufschrift steht: Access All Areas.
Wer aber nicht dazugehört, der kann durch die Hightech-Poller neuerdings böse Überraschungen erleben – etwa wenn er zu jenen Autofahrern gehört, die gern einmal eine verbotene Abkürzung nehmen. Wer das bisher tat, der riskierte nicht viel mehr als einen Strafzettel, doch das war gestern. Es gibt Städte, die ihre für den normalen Verkehr gesperrten Straßen rigoros mit Pollern sichern, beispielsweise Manchester. Dort sind zwei Exemplare zu einiger Berühmtheit gelangt, weil sie zwar Busse durchlassen, dann aber sofort wieder hochschießen. Regelmäßig versuchen Autofahrer aus Unwissenheit oder aus Mut zum Risiko schnell hinter dem Bus durchzuzischen und krachen mit der Unterseite ihres Autos in die Pfosten. Ölwanne, Vorderachse oder andere empfindliche Autoteile sind so schnell ruiniert. Schlimmer noch erwischte es den nicht angeschnallten Fahrer eines Lieferwagens. Er wurde so massiv durch die Poller gebremst, dass er mit dem Kopf gegen die Frontscheibe knallte und diese zerbrach. Da die Szene von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurde, fand sie ihren Weg zu YouTube.com ins Internet unter dem Titel »When Bollards Attack« – wenn Poller angreifen. Übrigens: Den Pollern ist nichts passiert.