Non-Kon-Form

Der französische Designer Françoise Azambourg experimentiert mit ungewöhnlichen Materialien. Am meisten lernt er dabei aus seinen misslungenen Entwürfen.

In einer zugigen Seitenstraße, jenseits der Pariser Stadtautobahn Boulevard périphérique, befindet sich das Atelier von François Azambourg. Kein Licht im Treppenhaus, keine Namen an den Türen. Dass hier exklusive Luxustaschen und Möbel entstehen, die später in den Boutiquen von Hermès und Cappellini verkauft werden, würde man nie vermuten. Azambourgs Atelier sieht aus wie eine Autowerkstatt.

Das industrielle Ambiente seines Arbeitsraums passt zu seinem Werdegang. »Mich hat nicht mein Kunststudium geprägt, sondern meine Zusatzausbildung zum Elektrotechniker bei meinem Abitur«, sagt er. Im täglichen Umgang mit Metall, Holz und Plastik, beim Schrauben, Bohren und Löten sei ihm klar geworden, dass er Designer werden wolle.Die Nähe zum Material und zum Handwerk bestimmen die Arbeit des 43-Jährigen bis heute. Raumhohe Regale sind zum Bersten gefüllt mit unzähligen kleinen Plastikkisten, Materialproben, gescheiterten Designexperimenten und Unmengen Kleinzeug. In der Mitte ein langer Tisch, an dem ein paar Mitarbeiter zwischen Laptops und Leimtöpfen an bizarren Stuhl-Prototypen herumwerkeln. Er ist ein Erfinder, ein Tüftler, seine Ideen kommen aus der direkten Erfahrung mit den Materialien. Anders als seinen Design-Kollegen Karim Rashid oder den Brüdern Bouroullec geht es Azambourg nicht um die perfekte Form, der sich in einem nächsten Schritt das Material unterwerfen muss. Azambourg ist Formfinder, nicht Formgeber. »Viele Anregungen für meine Entwürfe erhalte ich aus misslungenen Experimenten, wenn etwa Schaum zu sehr expandiert und das darüber gespannte Blech zum Reißen bringt.«

Oft erfindet Azambourg beim Entwurf eines Objektes auch noch die Art der Herstellung und sogar die Verpackung dazu. Das Modell »Pack« wird beispielsweise in einem Karton geliefert, die nicht größer ist als ein Zwei-Liter-Tetrapak Milch. Darin liegt sauber zusammengefaltet ein Segeltuch. An der Seite steht ein Metallstift heraus. Dreht man ihn, reagieren zwei Polyurethan-Komponenten im Innern des Segeltuchs miteinander. Dadurch vergrößert die chemische Substanz ihr Volumen um das Zehnfache und das Tuch in Form eines Stuhls füllt sich wie eine Luftmatratze beim Aufblasen. Nach zwei Minuten härtet der Schaum aus und fertig ist das Sitzmöbel.

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Das Verfahren ließ sich Azambourg patentieren, so wie die meisten seiner eigenwilligen Materialkombinationen. Einmal verwendete er Wachswaben, die 50000 Bienen innerhalb von drei Tagen um eine Schale gebaut hatten, machte einen Gipsabdruck davon, und goss ihn dann in Silber aus. Für sein Patent »Sandwich souple« beklebte er einen weichen Schaum aus Kautschuk beidseitig mit Birkenholzfurnier. Nach dieser Methode stellte er im Jahr 1998 seinen ersten Sessel her. Das Birkenholzfurnier formt die geschwungene Oberfläche des Sessels. Aber erst der Schaum in seinem Innern macht das Furnier so fest, dass man darauf sitzen kann. Für sein »Fauteuil aus Leder-Schaum« ersetzt er das Furnier einfach durch Leder. Azambourg wechselt ständig die Materialen.

Das Leder-Schaum-Sandwich wandte er später bei einer Aktentasche für Hermès an, um ein in die Jahre gekommenes klassisches Design der Firma zu aktualisieren. »Als ich in den Werkstätten von Hermès sah, wie die Tasche hergestellt wurde, war ich fast schockiert: Das Leder war nur eine dekorative Bespannung einer darunter verborgenen Holzkiste. Das Leder war eigentlich überflüssig.« Doch Hermès wollte Leder. Also ersetzte Azambourg die Konstruktion durch sein Leder-Schaum-Sandwich. Ein wichtiger Nebeneffekt: Während das klassische Hermès-Design schon im ungefüllten Zustand schwer wiegt, ist Azambourgs Köfferchen leichter, als man es vermutet.

Doch das geringe Gewicht eines Objekts ist für Azambourg kein Ziel an sich, sondern eher ein folgerichtiger Nebeneffekt. »Ein Stuhl muss einen Menschen tragen können, mehr nicht. Also lasse ich bei ihm alles weg, was dafür nicht notwendig ist, so wie man bei einem Rennrad auf alles Beiwerk verzichtet, weil es dadurch leichter wird und am Ende auch schneller fährt.« Azambourg benutzt bei den Beschreibungen seiner Arbeit häufig das Wort »Degraissement«, Abmagerung. Der Stuhl »Balsa« wiegt nur 950 Gramm, dank seiner dem Modellflugzeugbau entlehnten Materialien. Die fein verästelte Tragestruktur besteht aus Balsaholz, dem leichtesten Holz überhaupt, hauteng umspannt von einer transparenten Polyesterfolie.

Die Stuhl-Serie »Mr. Bugatti«, die er auf der letzten Mailänder Möbelmesse erfolgreich vorstellte, zeigt, was Azambourg am liebsten macht: scheinbar eherne Werte des Designs ad absurdum führen. So hat er die hauchdünnen Blechformen seiner »Mr. Bugatti« innen mit PU-Schaum ausgefüllt – ein Material, das in der Regel dazu dient, Verarbeitungsmängel zu kaschieren. Die Stühle sind in unterschiedlichen Autofarben lackiert: Lamborghini-Gelb, Jaguar-Grün, Ferrari-Rot, was Luxus und hohe Wertigkeit signalisiert. Erst auf den zwei-ten Blick sieht man, dass die metallenen Oberflächen dieser Möbel ganz fein, aber offensichtlich ganz bewusst mit Beulen übersät sind. Die Stühle sehen dadurch ein wenig aus wie die Secondhand-Möbel vom Schrottplatz.

Immer wieder findet man in seinen Arbeiten Ironie, die eine Distanz zur übersteigerten Exklusivität des »High-End-Designs« schafft. Die Entwürfe Azambourgs haben einen unvergleichlich paradoxen Charme. Sie sind gleichzeitig »La Belle et le Clochard«, wie Azambourg es ausdrückt: »Die Schöne und der Bettler.«