Eingedenk meines netzerklärerischen Berufs liegt das Objekt, das mich begeistert, unangenehm nahe. Es handelt sich um die »Apple Watch«. Bis hierhin hört sich das an wie Werbung, aber es ist doch auf etwas verquere Weise das Gegenteil, denn ich kann jedem nur davon abraten, dieses Gerät zu kaufen. Begeistert abraten? Meine merkwürdig gebrochene Begeisterung für die »Apple Watch« hängt aber damit zusammen, dass das Gerät mir seine bestechende Unzulänglichkeit mit jeder Nutzung wieder vor Augen führt. Praktisch alle von Apple selbst gelobten Funktionen sind bestenfalls egal und im nicht einmal schlechtesten Fall armselig.
Die Pulsmessung im Sportkontext? Funktioniert nur dann einigermaßen, wenn man das Armband mit einer blutflussfeindlichen Strenge ums Handgelenk schnürt wie das Mieder einer Zofe am Hofe Katharina der Großen. Die »Passport«-Funktion, der Boarding Pass auf der Uhr? Das Smartphone ist für den digitalen Boarding Pass perfekt, der Code auf dem kleinen Screen wird an den Scanner gehalten, fertig. Mit der Uhr muss man sich auf ungekannt unwürdige Weise hin und her winden, bis das Handgelenk im richtigen Winkel steht, dann muss man still halten, und dann geht der Screen der Uhr aus. Die Preview-Funktion für Mails? Stellt nur die ersten paar Worte dar, die - man teste es selbst - in aller Regel ohne Erkenntnisgewinn über den Inhalt der Mail sind. Dazu kommt eine kaum fassbare Dysfunktionalität in der Bedienung. Sie steht im heftigen Kontrast zum früheren Image von Apple, wo Usability, also Bedienbarkeit, über allem stand. Die »Apple Watch« ist das erste Produkt seit Jahren, bei dem ich mich gezwungen fühlte, die Betriebsanleitung zu lesen. Jetzt noch die Kurve zu bekommen zur Beschreibung eines begeisternden Objekts? Dafür muss ich analysierend an meine Beziehung zur Technologie herankriechen. Ich habe mir angewöhnt, Alltagstechnologien mit einer gewissen Abstraktion zu bewerten. Die Idee zu trennen von der konkreten Umsetzung und den temporären Limitierungen des gegenwärtigen Standes der Technik. Ich möchte nicht die Person sein, die in den Achtzigern sagte: »Mobiltelefone setzen sich nicht durch, wer soll denn die schweren Akku-Koffer mit sich herumtragen?«
Und so gilt meine große, überschäumende, brausende Begeisterung dem intimsten Interface zur digitalen Welt, das derzeit existiert. »Taptic Engine« genannt, findet es sich auf der Unterseite der Uhr und besteht aus einem sanften Antipp-Signal am Handgelenk. Was für eine lebensverbessernde Idee. Eine britische Studie von 2014 besagt, durchschnittliche Smartphone-User schauten 221 Mal am Tag auf ihr Handy, das Smartphone wirkt maximalinvasiv, und die technologische Flucht nach vorn ist die Befreiung vom Zwang, bei jedem Vibrieren hektisch das Gerät herauszuziehen und nachzusehen: Wie elegant, wenn man einstellt, dass die Uhr einmal aufs Handgelenk tippt bei unwichtigem Kram und zweimal bei wichtigen Ereignissen. Unsere Beziehung zur digital vernetzten Sphäre verändert sich stark, die Standleitung zwischen Smartphone, Augen und Gehirn weicht einem situativen Filter, einem fein justierbaren Informationsfluss: nur noch aufs Gerät schauen, wenn es sich lohnt.
Leider aber ist der vorangegangene Absatz bloß eine Hoffnung. Die Technologie ist zwar schon da, aber Apple hat den eigenen Steilpass vors Tor nicht verwandelt. Jedoch - die Fantasie, was mit dem Ding in Zukunft möglich wäre, begeistert mich. Ich nenne es »Prämaterialismus«: Gegenstände zu feiern, bevor sie existieren.
Foto: Claudia Klein