Zuerst war das nur eine Beobachtung im Freundeskreis, als sich nacheinander vier Paare, die kurz zuvor umgezogen waren, trennten. Dann kam es mir wie ein Fluch vor, als auch meine Liebe nach wenigen Monaten im neuen Haus scheiterte. Heute weiß ich: Traumhäuser machen einsam. Wir alle waren Opfer einer Heimsuchung geworden: des »Beautiful House«-Syndroms.
Walter Benjamin hat einmal über das Wohnen gesagt, dass die Einrichtung mancher Häuser »nach dem namenlosen Mörder« rufe und die »Anordnung der Möbel zugleich der Lageplan der tödlichen Fallen« sei. Rückblickend betrachtet wäre ich gern der namenlose Mörder gewesen. Zum Beispiel bei den Housewarming-Partys meiner Freunde. Egal, ob in Berlin, Bogenhausen oder Berg am Starnberger See, ich stand in den immer gleichen Edelstahl-Küchen, die wie nie benutzt aussahen, und in den aufgeräumten Wohnzimmerlandschaften, in denen der Mensch ein Fremdkörper ist, weil er schmutzt. »Zieht die Schuhe aus!«, sagte die Hausherrin zur Begrüßung. Dann durften wir und die anderen Gäste barfuß raten, aus welchem Holz der Fußboden gemacht war. Akazie? Erst nach dem vierten Wodka gab es die Erlösung: aus Wenge. Das war keine Hausbesichtigung, sondern eine Führung durch einen Designshop: der offene Kamin, der begehbare Kleiderschrank, das Dampfbad und vieles mehr, wovon Menschen offenbar träumen – nur die Preisschilder an den Möbeln fehlten. Nach zwei weiteren Wodkas befanden wir uns in einer Art sakralem Raum, der mit Schiefer ausgelegt war. Nur der Brausekopf an der Decke verriet, dass wir in der Dusche standen.
Ein paar Monate später war ich selbst in der Rolle des Gastgebers und führte die Freunde auf gleiche Weise durch unser Glashaus am See, welches der japanophile Architekt den Tempeln in Kyoto nachempfunden hatte. Mich erinnerte es an einen aufrecht stehenden gläsernen Sarg. Weil alle Wände durchsichtig, Gardinen oder Rollos aber verboten waren, bekam das Wort Zaungast eine ganz neue Bedeutung. Wir blickten nach draußen, und das Draußen blickte zurück. Manche winkten, einige schüttelten den Kopf, und dann gab es den unheimlichen Schweiger, der stundenlang regungslos dastand und uns mit stumpfem Blick beim Frühstücken, Duschen oder Schlafen zusah. Ich weiß jetzt, wie John Lennon und Yoko Ono sich 1969 beim Bed-in for Peace gefühlt haben. Mit dem kleinen Unterschied, dass das Happening damals nur eine Woche dauerte, wir aber Monate durchhielten.
Das Ergebnis war nicht Frieden, sondern Krieg. Andere Paare skalpieren sich beim Streit über Haare im Waschbecken. Da kann ich nur sagen: Glücklich ist, wer noch normale Waschbecken hat und keine gebürsteten Stahl-Opferschalen wie wir. Bei uns eskalierte der Konflikt an der Hamlet-Frage des Wohnens: »Vorhänge oder nicht Vorhänge?« Ihr kategorisches Nein konterte ich fantasievoll mit hohen Schilfstauden, die ich heimlich nachts ins Blumenbeet vor die Glaswand pflanzte. Am nächsten Morgen waren sie ebenso gekappt wie unser Zusammenleben. Wortlos zertrümmerte ich ihr Lieblingsgeschirr, dann lud ich den unheimlichen Schweiger am Gartenzaun zu einem Bier ein.
Aus meiner Sicht sind es zwei bittere Wahrheiten, die erklären, warum kaum ein Paar vor dem Beautiful-House-Syndrom sicher sein kann: Ein perfektes Haus ist immer perfekter als die Beziehung; Design ist kompromisslos, Dasein nicht. Und: Das Traumhaus lässt keine Entschuldigung mehr zu, die man auf die Verhältnisse schieben kann. Worüber ließe sich denn jetzt noch jammern, wenn alles Wünschbare in der Überdosis da ist?
Früher fehlte mir ein Zimmer, und das enge Bad hatte kein Fenster; jetzt hatte ich zwei Zimmer für mich, und wir verfügten über vier Bäder. Und dann war da der verdammte Swimmingpool, der nachts immer so unverschämt blau leuchtete. Am Ende stellte ich mir vor, dass die unfassbare Leere in meinem Kopf wie dieses blaue Licht war.
»Häuser sprechen zu uns«, glaubt der Philosoph Alain de Botton. »Warum hören wir ihnen nicht zu?« Der Mensch denke zu viel über Stil nach, schreibt er in dem Buch Glück und Architektur, »anstatt über die Frage, wer wir sein möchten«.
Noch gibt es keine Statistiken darüber, wie vielen Menschen zu schöne Häuser das Herz gebrochen haben. In den 1990er-Jahren forschte in Berkeley die Architekturprofessorin Clare Cooper Marcus über das Phänomen. Ob wir uns zu Hause fühlen oder nicht, so ihr Fazit, darüber entschieden unsere Kindheitserinnerungen. Ihr Buch House as a Mirror of Self inspirierte in den USA die Bewegung der sogenannten emotionalen Architektur. Seitdem triumphiert Opa Freuds Über-Ich über Gropius’ Bauhaus-Manifest. Form follows psycho. Auch Christopher K. Travis aus Austin, Texas, versteht sich mit seiner Fir-ma Sentient Architecture in erster Linie als Therapeut. Sentient, was so viel wie »empfindsam« heißt, ist das oberste Prin-zip. Nicht »Ziegelsteine und Balken« seien entscheidend für die Konstruktion eines Hauses, sagt er, »sondern die Räume unserer Gefühlswelt«. Bevor Travis ein neues Haus baut, schickt er seine Klienten deshalb auf die Couch. Erst wenn er persönlich in vielen Sitzungen geklärt hat, welche Beziehung die Bauherrin zu ihrer Mutter hat und ob der Bauherr womöglich einen Ödipuskomplex hat, beginnt der Architekt mit dem Entwurf der Küche.
Schon der legendäre Baumeister Richard Neutra erforschte die geheimen Sehnsüchte seiner Kunden mit einem ausgeklügelten Fragebogen. Dann baute er trotzdem Wolkenkuckucksheime mit schwebenden Glasfronten. In seiner Biografie Life and Shape erzählt er von der exzentrischen Idee des Regisseurs Josef von Sternberg, der sich 1935 für sein Haus im San Fernando Valley einen speziellen Festungsgraben wünschte. Kanonen und Spinnen sollten ungebetene Gäste fernhalten. Wem das zu irre vorkommt, der befolge lieber meinen Ratschlag: Wohne nie zu perfekt!
Ich lebe jetzt in einem unrenovierten Haus. Die alten Dielen knarzen, die Fenster sind klein und undicht wie das Dach. Der Garten ist verwildert. Ich grille jeden Abend mit Freunden. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.