»Das ist ein Zeugnistag«

Der dritte Michelin-Stern ist der Himmel für jeden Koch, aber das Warten darauf kann die Hölle sein. Unser Kolumnist Christian Jürgens kriegt seinen möglicherweise in den nächsten Tagen. Ein Gespräch über die ewige Hoffnung und den täglichen Wahnsinn in der Küche.

SZ-Magazin: Herr Jürgens, wie erkennt man einen Tester vom Guide Michelin?
Christian Jürgens: Keine Ahnung, ich erkenne die immer noch nicht.

Die Damen und Herren essen sich doch sicher querbeet durch die Speisekarte?
Nein, immer andere Tester essen mehrmals. Die letzten haben sich vorgestellt, leider erst nach dem Essen.

Und? Haben sie Ihnen schon zu verstehen gegeben, dass sich zu den zwei Sternen für die Küche Ihres Lokals bald ein dritter gesellen könnte?
Nein. Sie wollten nur die Küche sehen. Ich habe gefragt, ob es ihnen geschmeckt hat, sie antworteten: Ja, sehr gut. Fertig. Mehr sagen die nicht. Ist ja auch okay.

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Wäre es auch okay, wenn die Tester Ihnen dieses Jahr wieder nicht den dritten Stern verleihen würden?
Ich habe den Traum, den irgendwann mal zu bekommen. Ob mir das gelingt, weiß ich nicht, ich kann mich nur anstrengen. Der FC Bayern gewinnt auch nicht jedes Jahr die Champions League, aber die spielen jedes Jahr vorn mit. Und wenn uns das glückt, dann fände ich das schon toll. Wenn die Leute sagen: Boah, da musst du mal gegessen haben, das war echt gut!

Die Kritiker Jürgen Dollase von der FAZ und Wolfram Siebeck von der Zeit haben Ihnen für dieses Jahr den dritten Stern prophezeit.
Das weiß ich auch zu schätzen. Siebeck hat ja schon Tauben und Wachteln gegessen, als ich noch am Spinat vom Löffelchen meiner Mutter rumgewürgt habe. Der hat viel Erfahrung, Dollase auch. Die Meinung von Manfred Kohnke vom Gault Millau ist mir auch sehr wichtig. Weil der Ihnen im Zweifel unverblümt sagt: Das war heute mal nichts! Ich freue mich natürlich über ein Lob, auch wenn das die Entscheidung der Herren von Michelin kaum beeinflussen wird. Das Wichtigste sind die Gäste, die müssen sagen: Der Besuch hat sich gelohnt!

Glauben Sie, Ihre Gäste würden Ihnen den dritten Stern geben?
Ich glaube, der Großteil war zufrieden. Auch wenn einem merkwürdigerweise eher die zwei Gäste in Erinnerung bleiben, die nicht vor Begeisterung auf dem Tisch getanzt haben – das liegt wahrscheinlich an meiner deutschen Mentalität. Kritik ist ein Motor, ich möchte nie so betriebsblind oder selbstherrlich werden, dass ich denke: Hey, macht das mal alle so wie ich, ich bin der Allwissende! Oft gehe ich nach Hause und frage mich: Jetzt hat der gesagt, da fehlt eine Prise Salz – hat der vielleicht doch recht, obwohl ich das alles schon zigmal geprüft habe?

Viele Spitzenköche leiden unter Depressionen, heißt es.
Ich weiß nicht, ob wir öfter Depressionen bekommen als andere, aber der Druck, immer brillant zu sein, ist schon groß.

Wie viel Schlaf kriegen Sie?
Fünf, sechs Stunden, manchmal auch nur drei. Ich nehme mir aber zwei-, dreimal die Woche morgens Zeit und jogge. Da überlege ich viel, und das ist für meine Leute besser, als wenn ich gleich morgens einlaufe und die anblase, was wir alles noch besser machen müssen. Das ewige Rumprobieren ist schon nervig für meine ganze Umgebung. Abends im Service geht nichts raus, was ich nicht abgeschmeckt habe. Und dann probieren ich und mein Team es beim nächsten Mal noch einmal nach und versuchen immer wieder, uns auf den Kern der Sache zu konzentrieren. Es ist wahrscheinlich nicht einfach, mit mir zusammenzuarbeiten.

Viele Köche sind bekannt dafür, dass sie ihr Personal anschreien. Sie auch?
Ich schreie heute in jedem Fall schon weniger als früher.

Wurden Sie als Lehrling angeschrien?
Na klar! Und ich bemühe mich auch, nicht laut zu werden, aber es gelingt mir nicht immer. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Das ist wie bei der Feuerwehr. Manchmal muss man ruhig sagen: »Das 12er-Rohr, da oben brennt’s!« Und manchmal muss der Hauptwachmeister brüllen: »DAS 12ER-ROHR, UND ZWAR SCHNELL!« Manchmal geht’s schon mit mir durch. Wenigstens werfe ich nicht mit Pfannen und Geschirr, das möchte ich betonen!

Drogen, Alkohol?
Keine Drogen, und ich versuche, fünf Tage die Woche auf Alkohol zu verzichten, auch das gelingt mir manchmal nicht. Die Fastenzeit halte ich aber streng durch.

Sterneköche sind meistens dick. Warum Sie nicht?
Ich renne ja zwei-, dreimal die Woche, damit ich mehr essen kann. Nils Henkel ist auch dünn und hat drei Sterne. Nils läuft schneller als ich.

Das große Abendmenü kostet 184 Euro. Ihr Lokal ist dennoch abends und oft auch mittags ausgebucht.
Ich bin ja auch sehr zufrieden. Als mein Team und ich das »Restaurant Überfahrt« übernahmen, bekamen wir nach drei Monaten gleich zwei Sterne – das hat es noch nie gegeben in einem Restaurant, das zuvor auf keiner Landkarte stand oder wo der Chef nicht vorher in seinem alten Restaurant schon drei Sterne hatte, so wie Heinz Winkler. Dass meine Mannschaft und ich zudem gleich den Titel »Koch des Jahres« holten, das finde ich schon super! Jetzt sind wir fast zwei Jahre da, die Gäste sind happy, das Restaurant ist voll.

Sie rechnen gar nicht damit, dass man Ihnen einen Stern aberkennen könnte?

Nein, wir haben ja nach den vielen Auszeichnungen letztes Jahr nicht schlampiger gearbeitet.

Was sagt Ihr Gefühl? Bekommen Sie diesmal den dritten?
Ich bin hin- und hergerissen und gehe lieber mal davon aus, dass es nicht klappen wird. Aber ich wünsche mir das jetzt schon zehn Jahre lang und es ist nicht gekommen. Wenn es dieses Jahr nicht kommt, dann krempeln wir eben wieder die Ärmel hoch. Ich weiß nicht, ob es gereicht hat. Wir haben uns angestrengt, das weiß ich. Und wenn es nichts wird, dann gehen wir nach Hause in dem Bewusstsein, gute Arbeit geliefert zu haben. Wir hatten sicherlich auch mal einen schlechten Tag, aber den hat schließlich auch jeder Tester. Wenn es nichts wird, werde ich nicht heulen. Mein Chef, der Hotelier Thomas Althoff, setzt mich auch nicht unter Druck. Ich kann hier in Ruhe meine Ideen umsetzen.

Warum sind die Sterne den Köchen eigentlich so wichtig?
Für die Gäste, die auf Qualität beim Essen Wert legen, ist der Michelin-Führer einfach das Maß aller Dinge. Ich selbst habe mich ja auch über das fünfte F vom Feinschmecker gefreut. Und über den 19. Punkt vom Gault Millau, da bin ich aus der Küche rausgegangen und habe laut geschrien! 19 Punkte, 4 Mützen! Das haben auch nicht viele Leute!

Wie viele Köche haben drei Sterne in Deutschland?
Acht oder neun. Ich könnte Ihnen aus dem Stand nicht mal sagen, wie viele mit zwei Sternen dabei sind. Ob 14 oder zwölf oder 13. Auf jeden Fall ist das ein elitärer Club.

Warum ist der dritte Stern so wichtig?

Seit wann sind Sie Mitglied?
Der erste Stern kam 1998 im Münchner Restaurant »Am Marstall«, nach neun Monaten. Da war ich in einer ähnlichen Situation wie heute. Jeder fragte: »Ihr macht das so toll, wann kommt der zweite?« Der ist aber nicht gekommen. 2001 bin ich in das Restaurant der Burg Wernberg in der Oberpfalz gegangen. Man muss wissen: Du kannst keine Sterne mitnehmen, die werden ja dem Restaurant verliehen. Auf der Burg habe ich im ersten Jahr ebenfalls schon nach drei Monaten den ersten geholt, nach einem Jahr den zweiten. Dann habe ich sieben Jahre lang genau die gleiche Frage gehört, die Sie mir stellen: Wann kommt der dritte, und warum ist das so wichtig?

Also warum ist der nun so wichtig?
Da muss ich etwas ausholen: Ich durfte von Anfang an bei tollen Menschen und Köchen arbeiten: Da war der Gerd Käfer, der hatte ständig zu tun mit diesen großen Drei-Sterne-Köchen Heinz Winkler und Eckart Witzigmann, bei denen ich hinterher war, ich nenne sie heute noch »Chef«. Auch Gerd Käfer begrüße ich noch mit »Hallo, Chef«, wenn ich ihn sehe. Und der schaut mich immer noch so an, als hätte ich beim Partyservice vergessen, das Brot richtig aufzubacken.

Bei Käfer waren Sie Lehrling?
Nee, dort war ich mit 19, nach der Lehre. Da habe ich auch meine Frau kennengelernt. Der Ritterschlag bei Käfer war eine Einladung zur Partybesprechung. Dabei ist mir meine spätere Frau aufgefallen, die dort im Sekretariat arbeitete. Da habe ich immer mehr Gas gegeben, damit ich öfter hochkam ins Büro zu dem Hasen, ist ja klar! Und dann habe ich mal einen Marienkäfer aus Tomaten gemacht, den fand der Käfer so toll, dass er ins Sekretariat gerufen hat: »Reservier mal einen Tisch bei Witzigmann für den Jürgens. Ich weiß ja eh schon, wer mitgeht!« Dann saß ich mit Susanne also in Witzigmanns »Aubergine«, ich stocksteif, sie ganz locker, etwas beschwipst. Auf einmal stand Witzigmann neben mir am Tisch, die Hand leger in der Hüfte, fragte: »Na, schmeckt’s?« Ich bekam kein Wort raus und machte nur: Mmm, mmm! Und meine Frau: Bussi rechts, Bussi links – die kannte ihn ja schon ewig.

Witzigmann ist Ihr Vorbild?
Ihn und Winkler halte ich für die größten Köche, die Deutschland je hatte. Wahrscheinlich wünsche ich mir seit damals den dritten Stern.

Haben Sie sich insgeheim mal vorgestellt, was Sie machen würden, wenn er wirklich käme?
Nee. Wenn der dritte kommt, wird uns schon was einfallen. Und wenn er dieses Jahr nicht kommt, wird uns auch was einfallen.

Ihre ganze Mannschaft wartet gespannt auf die Entscheidung?
Natürlich. Die Küche, die wir in der »Überfahrt« machen – da steht zwar mein Name drauf, und die trägt auch meinen Stempel. Aber ohne meine Mitarbeiter – das ist keine Floskel – könnte ich die definitiv nicht machen. Für uns alle ist das ein Zeugnistag.

Sind Sie, Ihr Team, im letzten Jahr denn noch einmal merklich besser geworden?
Wir haben an Sicherheit gewonnen, soweit ich das beurteilen kann – ich stehe ja jeden Tag drin. Aber wir sind noch nicht am Ende, es geht schon noch weiter. Gerade erst haben wir ein Gericht auf die Karte genommen, an dem wir ewig herumprobiert haben: Renke Müllerin.

Hört sich gar nicht kompliziert an.
Wir haben eine geräucherte Renke in einen Fischsud eingelegt, damit sie noch saftiger wird, mit einem Hauch Meerrettich, und eine frische Renke um die geräucherte außen herum, nicht umgekehrt, denn nur so gibt das einen schönen, saftigen Kontrast, wenn man das bei achtzig Grad in der Folie gart. Müllerin heißt aber: gebraten und mit Zitrone. Also haben wir ein Zitronenpüree gekocht und was Knuspriges dazu: Speckbrösel mit schwarzem Pfeffer und Nüssen.

Und was isst man zu Forelle Müllerin?
Kopfsalat. Also setzen wir einen Kopfsalat nebendran, den wir mit ganz wenig Öl, Weißweinessig und schwarzem Pfeffer abschmecken. Neun Monate haben wir an der richtigen Kombination herumexperimentiert.

Sind Sie besser als andere Köche, weil Sie ehrgeiziger sind?
Das weiß ich doch nicht. Ich liebe meinen Beruf, und ich bin sicherlich fürchterlich ehrgeizig. Aber ich gehe nicht mehr über Leichen.

Wann haben Sie das je gemacht?
Um als junger Koch in der Küche weiterzukommen, setzt man schon mal die Ellenbogen ein. Ich war früher kein besonders netter Kollege.

Gibt es Leute, die Sie nicht mehr auf der Straße grüßen?
Bestimmt. Die Erkenntnis, dass man nicht nach unten treten muss und nicht zur Seite, sondern dass man sich Respekt durch die eigene Leistung erarbeitet, hat bei mir etwas länger gedauert, jetzt habe ich es aber kapiert. Die Küche war für mich eine harte Schule.

Sie haben einen Sohn. Sind Sie eigentlich jemals auf einem Elternabend gewesen?
Nein, das wollte Susanne nicht, wegen meines Temperaments. Aber wenn eines über allem steht, ist das mein Junge! Consti ist das Wichtigste, was ich überhaupt habe, und meine Frau natürlich. Ohne Susanne wäre ich wahrscheinlich nie da angekommen, wo ich jetzt bin. Mir bleibt wirklich wenig Zeit für beide, aber die bemühe ich mich intensiv zu nutzen. Ich bin keiner, der sich mit ’ner Pulle Bier vor den Fernseher legt, lieber spiele ich Tennis mit Consti. Ich möchte ein besserer Vater für meinen Sohn sein, als mein Vater mir das war.

Gab es Krach wegen Ihrer Berufswahl?
Schon viel früher. Meine Eltern hatten mehrere Metzgereien in Nordrhein-Westfalen, aber mein Vater schickte mich mit 16 zu meiner Schwester nach Bad Homburg, nach dem Motto: Sieh mal zu, was du mit dem anfangen kannst. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen.

Haben Sie Karriere gemacht, um Ihrem Vater zu beweisen, was in Ihnen steckt?
Kann sein. Vielleicht war das mein Antrieb, aber ich glaube, da bin ich mittlerweile drüber hinweg. Ich sage immer: Ich bin durch Zufall Koch geworden. Im Restaurant meiner Schwester fiel ein Spüler aus, da habe ich ausgeholfen und irgendwann die Fingermöhren geschält. Zum Glück macht mir dieser Beruf immer noch viel Freude. Der liebe Gott hat es gut gemeint mit mir. Ich kann von ihm nicht verlangen, der Beste zu sein. Aber ich möchte mein Bestes geben. Das ist so, glaube ich, der Tenor.

Am Freitag, den 12. November, werden die Sterne offiziell vergeben. Zwei Tage zuvor geht eine Pressemeldung raus. Erfährt ein Koch aus der Zeitung, wie viele Sterne er bekommen hat?
Beim zweiten Stern hat mich der Chefredakteur der Mittelbayerischen Zeitung angerufen, als er die dpa-Meldung las. Wenn es ganz gut läuft, wenn es richtig gut läuft – so habe ich gehört von Kollegen, die schon in diesen elitären Club der drei Sterne eingelaufen sind –, dann ruft jemand von Michelin kurz vor der Presseaussendung an.


Lesen Sie hier, wie die die Vergabe der Michelin-Sterne für Christian Jürgens ausging.

Foto: Conny Ghighi, Julian Baumann