Dieser Mann ist der ideale Samenspender: Er produziert genauso viele Spermien wie ein Hengst, nämlich 240 Millionen pro Milliliter Samenflüssigkeit.
Der Mann, der ein Jahr lang gegen Bezahlung masturbiert hat, sitzt in seinem Wohnzimmer, hinter ihm stapeln sich in riesigen Regalen CDs, 3000 Stück insgesamt – es sind die Überbleibsel, die Resultate einer Zeit, in der er sich als Informatikstudent ein paar hundert Mark im Monat dazuverdient hat. Die anderen Resultate, seine Söhne, seine Töchter, kennt er nicht. Wahrscheinlich hat er sie nie gesehen, bis heute weiß er nicht einmal genau, wie viele Kinder er hat, wo sie leben, wer ihnen Essen macht, wer ihnen Kleidung kauft, wer sie ausschimpft, wenn sie unartig waren.
»Ich hab kein Problem damit, wenn mein Gesicht in der Zeitung ist«, sagt der Mann, der ein bisschen aussieht wie ein amerikanischer GI: männlich, kantiges Gesicht, mit buschigen Brauen. »Auch nicht, wenn drübersteht: ›Ich bin ein Samenspender.‹ « Er habe prima Gene, sei gesund, sehe gut aus, alles in allem: »Material, das man guten Gewissens weitergeben kann, oder nicht?« Lothar Christoph, 39, ist Samenspender. Besser: Er war es, im Jahr 1997 hat er mehrere Monate lang einmal pro Woche sein Ejakulat in eine Praxis mit Samenbank getragen, bekam 200 Mark in die Hand gedrückt und verschwand wieder – durch den Arzt-, nicht den Patienteneingang. »Hat keine fünf Minuten gedauert«, sagt er.
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Dass er jetzt hier sitzt und erzählt, ist eine große Ausnahme. Samenspender sprechen nicht gern über sich. Oft wissen ihre Partner, ihre Familien nichts von dem Nebenjob, deswegen wollen sie lieber nicht die Fragen eines Reporters beantworten. Lothar Christoph beantwortet alle Fragen fast provozierend direkt, selbst bei der ersten Kontaktaufnahme über Handy redet er einfach drauflos, obwohl er gerade mit einem Kollegen im Büro sitzt. Als würde er der Menschheit beibringen wollen, dass man nicht alles im Leben durch eine romantische Brille betrachten sollte. »Immerhin gehen bei jeder Ejakulation eines Durchschnittseuropäers 120 Millionen Spermien flöten«, sagt er.
Am Anfang hat er eigentlich nur wissen wollen, ob er zeugungsfähig ist, und suchte eine urologische Praxis auf. Zwei Tage später aber rief der Arzt an und klang merkwürdig aufgeregt: »Herr Chris-toph, mit Ihrer Samenprobe stimmt was nicht.« In Christophs Probe schwammen 240 Millionen Spermien pro Milliliter, normal sind zwischen 20 und 150 Millionen. Zwar verringerte sich die Anzahl bei der zweiten Probe – vor der ersten war Christophs Freundin im Urlaub gewesen –, trotzdem war der Wert überdurchschnittlich. »Ist zwar nur ein biologischer Wert«, sagt Christoph, »aber ein gutes Gefühl war das schon« – so gut, dass er einer Bekannten davon erzählte. »Werd doch Samenspender«, schlug die vor.
Er gab eine weitere Probe bei einer ärztlichen Samenbank ab. Das Ergebnis: »Schicke Werte«. Christoph war genau der Typ, der gesucht wurde, mitteleuropäisch, gesund, Nichtraucher, keine Erbkrankheiten. Sein Ejakulat erfüllte alle erforderlichen Qualitätskriterien: Das Volumen größer als 2 Milliliter (nämlich das Doppelte), mindestens 120 Millionen Spermien pro Ejakulation, von denen sich mehr als 50 Prozent bewegten, und das Wichtigste: Sie bewegten sich auch noch, nachdem man sie eingefroren und wieder aufgetaut hatte. Dass einer alle Forderungen erfüllt, kommt nicht oft vor.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: 80 Euro gibt es pro Spende, als steuerfreie Aufwandsentschädigung. Harmlos im Vergleich zu den USA, wo Samen wie Turnschuhe gehandelt werden.)
»Bei uns melden sich zwei bis drei Interessenten in der Woche«, erklärt eine Mitarbeiterin der Praxis, in der Christoph gespendet hat, »genommen wird vielleicht jeder Zehnte.« Viele seien erst 18 oder 19 und wollen sich den Sommerurlaub verdienen, »die nehmen wir nicht«. Nach Schätzungen gibt es in Deutschland derzeit rund 3000 aktive Spender; gezahlt werden 80 Euro pro Spende, als steuerfreie Aufwandsentschädigung. Harmlos im Vergleich zu den USA, wo Samen wie Turnschuhe gehandelt werden und für Spender mit Doktortitel ein Promotionszuschlag gezahlt wird.
Christoph brachte sein Ejakulat einmal in der Woche in einem Kodak-Filmdöschen in die Praxis. »Die sind gut verschließbar und schön sauber«, sagt er. Jedes Mal musste er spätestens 30 Minuten nach der Ejakulation in der Praxis sein. Den Stress nahm er auf sich, er masturbierte lieber zu Hause als auf der Praxistoilette mit Hilfe zerlesener Heftchen. Manchmal war er schlecht drauf, »dann kam weniger«, manchmal ließ er sich von Frauen helfen, »dann kam mehr«, manchmal hielt er die Karenzzeit von drei Tagen nicht durch, dann gab er kurz Bescheid.
Klar werde er immer wieder gefragt, wie er das mit sich vereinbaren könne: Kinder, seine Kinder, in fremden Händen. Dann sagt Lothar Christoph, dass er doch nur das Gefäß zur Verfügung stelle, das andere füllen müssen – mit Erziehung und Liebe. »Ich kann dem Kind nur meine Gene mitgeben, damit es gute Voraussetzungen im Leben hat, anatomisch und physiologisch gesehen«, sagt er, »dass ich durch meine Gene auch meine Seele weitervererbe, daran glaube ich nicht.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Das ist doch der Trieb eines jeden Mannes, einen Abdruck auf der Welt zu hinterlassen. Ist wie im Tierreich.«)
Viel wichtiger sei für ihn: dass er sie, die Gene, überhaupt weitergeben konnte. »Das ist doch der Trieb eines jeden Mannes, einen Abdruck auf der Welt zu hinterlassen. Ist wie im Tierreich.« Das Geld sei nett, aber nicht so wichtig.
Eine Bedingung hatte Christoph, bevor er den Spendervertrag unterschrieb: absolute Anonymität. Die war ihm wichtig, solange immer noch nicht geklärt ist, inwieweit Spenderkinder nach dem 18. Lebensjahr Unterhalts- und Erbschaftsansprüche geltend machen können. Eine Bedingung hatte Christoph auch vor dem Interview: Peter (Name von der Redaktion geändert) musste einverstanden sein. Peter ist Christophs einziger Sohn, von dem er sicher weiß, den er jedes Wochenende bei seiner früheren Freundin abholt, auf den er stolz ist, als wirklicher, nicht nur als genetischer Vater.
Also hat Lothar Christoph ihn vor dem Termin angerufen und gefragt, ob er einverstanden sei, wenn sein Vater einem Journalisten verrät, dass er, Peter, wahrscheinlich noch Geschwister habe, irgendwo in Deutschland, vielleicht sogar im Ausland. Peter war einverstanden. Er war sogar begeistert. Er hat sich nicht geschämt, eher war er ein bisschen stolz auf seinen Vater.