Die Autorin ist natürlich das Kind mit den kurzen Haaren. Daneben ihre Schwester. (Foto: privat)
»Das hier ist die Damentoilette, die Herrentoilette ist dort drüben.« Viele Male habe ich diesen Satz gehört. Als ich noch kürzere Haare hatte, wurde ich ständig für einen Mann gehalten. Die Haare, die Kleidung, die Körperhaltung – alles nicht so weiblich. Sagen die anderen. Meine Brüste übersehen sie dabei. Sie sagen auch: Dies und das machen Frauen nicht, Blutwurst zum Frühstück essen zum Beispiel. Oder nicht lächeln, wenn man keine Lust darauf hat. Früher, als ich klein war, durfte ich das alles.
»Du hast ständig mit Puppen gespielt«, sagt mein Vater. »An Puppen kann ich mich nicht erinnern«, sagt meine Mutter. »Ein richtiges Mädchen warst du nicht«, erinnert sich eine Freundin der beiden, »aber ein Junge warst du auch nicht. Du warst nicht zickig, aber auch nicht burschikos. Ruhig, aber nicht zurückhaltend. Nicht dominant, hast aber trotzdem getan, was du wolltest. Du hattest eine rosa Phase, aber auch eine blaue, grüne und lila.«
Meine Eltern waren keine Alt-68er. Sie gehörten zur gutbürgerlichen Mittelklasse. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie je was gesagt hätten, weil ich nicht geschlechterkonform gehandelt habe. Vielleicht lag es daran, dass sie beide sich selbst in mir gesucht haben. Mein Vater hatte sich einen Sohn gewünscht, meine Mutter fand es großartig, ein Mädchen bekommen zu haben. Deshalb wurde ich, wie ich bin: irgendwie dazwischen.
So erkläre ich mir das zumindest. Wer weiß schon, warum wir sind, wie wir sind? Was bedeutet es, eine Tochter zu sein? Genügt es, auf Formularen als Geschlecht »weiblich« anzukreuzen? Was macht mich zum Mädchen, zur Frau, zur Tochter? In meiner Erinnerung spielte ich Kasperletheater und mit Aufzieh-Autos, fuhr Kettcar-Rennen und formte aus Fimo-Knete filigrane Armbänder. Aus meinen Kleidern lugten Beine heraus, die so mit blauen Flecken übersät waren, dass man meinen könnte, Franz Marc hätte sie verziert. Ich konnte mich wie Terence Hill im Galopp auf ein Pferd schwingen, und meine Lieblingsfigur in der Sesamstraße war Tiffany.
Ich schreibe »und«, nicht »aber«, weil mich nie jemand auf diesen angeblichen Widerspruch hingewiesen hat. Meine Eltern hat all das nicht interessiert. Sie fanden nur schlimm, dass ich so viel las, statt auch mal Sport zu machen. Ob Bodenturnen oder Kampfkunst war ihnen gleich.
Manchmal frage ich mich, was in meinem Leben anders wäre, wenn ich als Junge geboren worden wäre. Nichts, denke ich. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Geschlecht je meine Wahl beeinflusst hat. Waschmaschinen anschließen, Schals stricken, Kung-Fu und Modern Dance – alles kein Problem. Ich hasse Kochen, und genauso hasse ich Rasenmähen. Das alles wäre bestimmt auch so, wenn ich einen Penis hätte.
Das Schöne am Frausein ist doch, dass man alles sein kann, tragen kann, tun kann: Rock oder Hose, Schreinerin oder Kindergärtnerin, hysterisch heulen oder proletenhaft grölen. Wer als Frau Managerin werden möchte, rammt seinen Dickschädel durch die gläserne Decke. Wer als Mann Kindergärtner werden möchte, muss zum Eunuchentest. Und Kinderkriegen geht eben auch nicht.
Wirklich Tochter geworden bin ich erst, als ich Mutter wurde. Der Akt des Gebärens hat die Weiblichkeit in den Vordergrund gerückt. Für mein Umfeld, nicht aber für meinen Sohn. Weil ich ihn allein großziehe, hat er mal gesagt, ich sei halb Mama und halb Papa.