Taxi Driver ist ein guter Film, um sich noch einmal darüber klar zu werden, mit was für einer bizarren Romantik New York überfrachtet wird. Für seine Schönheit hat diese Stadt zwar noch niemand geliebt (Amerikaner sehen in New York die Brücke zum Erfolg, Einwanderer die Hoffnung auf Wohlstand). Aber für die Kinder des Wohlstands war New York immer die Verheißung des großen Abenteuers im Glamour der Unterwelten. Wenn man Taxi Driver als Münchner Teenager 1976 sah, war Scorseses Film eine willkommene Flucht aus der behüteten Welt des Bildungsbürgertums. Travis Bickles Nachtfahrten durch Straßen voller Dunst, Neon und Schattengestalten verwandelten New York in einen dystopischen Sehnsuchtsort. Und sein Weg in den Wahnsinn, der im Massaker an einem Haufen Zuhälter und Gangster gipfelt, stellte Frank Sinatras Leistungscredo von der Stadt, in der man es an die Spitze der Welt schaffen kann, auf den Kopf. Das passte zum Geburtsjahr des Punk.
Mit dem Abstand eines erwachsenen Lebens, das sich gut zwanzig Jahre lang in New York abspielte, ist Taxi Driver aber nicht nur eine Erinnerung an verblasste Sehnsüchte. Der Film ist auch eine Zeitreise in eine Welt, die im Strudel der Sanierungswellen längst verloren gegangen ist. Bei den ersten Besuchen der Stadt hatte der Film noch als Wegweiser durch die finsteren Viertel gedient. Durch den Times Square mit seinen Pornokinos und Coffee Shops. Durch das East Village mit seinen Dive Bars und Ruinen. Es war, als hätten nur noch die Gerüche gefehlt, die schwere Sommerluft, die sich wie nasse Watte um einen legte, die Moderschwaden der U-Bahn, die Bratendüfte der Imbisslokale, der Rauch und Bierdunst der Bars. Abgesehen davon: Kannte man diese Stadt nicht längst?
Heute steht kaum noch ein Gebäude aus dem Film. »Charles’ Coffee Shop« am Columbus Circle, in dem Travis und Betsy Kaffee trinken, ist heute eine Drogerie. An der Third Avenue, wo einst das Pornokino »Variety Theater« stand, vor dem Travis Bickle das Mädchen Iris zum ersten Mal sieht, steht heute ein Plattenbauturm mit Frozen-Yogurt-Shop. Nur das Stundenhotel in der 13th Street gibt es noch. Allerdings kostet die Monatsmiete für die sanierten Apartments dort heute mehrere Tausend Dollar. Selbst die Gerüche sind verblasst. Nur die Sommerluft ist schwer geblieben.
Nun ist das Lamento um das Verschwinden der Orte und Gebäude in New York fast so alt wie die Stadt selbst. In seinem Essayband The Colossus of New York schreibt der Schriftsteller Colson Whitehead, dass man erst dann zum New Yorker geworden ist, wenn man durch die Stadt geht und sie wie durch einen Filter sieht, hinter dem all die Orte der eigenen Erinnerungen wieder auftauchen, die längst nicht mehr sind.
Man kann sich über die eigene Nostalgie gut lustig machen. Erschreckend ist allerdings, wie aktuell die Figur des Travis Bickle ist. Der sucht einen Weg aus der Einsamkeit und dem Scheitern und findet seine Bestimmung in einem Gewaltakt. »Ich hoffe, eines Tages wird ein großer Regen diesen ganzen Abschaum von der Straße spülen«, sagt er. Und kurz bevor er zum Töten loszieht: »Ich habe erkannt, dass mein Leben auf einen Punkt fixiert ist, das ist jetzt klar. Ich hatte nie die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten.« Das erinnert im Herbst 2016 viel zu sehr an die Mörder von Orlando, Nizza und München. Mit einem Unterschied: Travis Bickle wird durch seine Tat zum Helden. War es am Ende vielleicht ein großer Irrtum, Martin Scorseses Zynismus der Siebzigerjahre als Inbegriff des Cool zu verstehen?
Illustration: Jill Senft