Fernsehduell

In der TV-Debatte zwischen Merkel und Steinmeier treffen zwei Politiker aufeinander, die sich in ihrer Sprödigkeit gegenseitig überbieten. Ein Hoffnungsschimmer für alle Medienkritiker!

In der abstrakten, hoch vermittelten Welt der Politik soll das »Fernsehduell« kurz vor der Bundestagswahl eine Ausnahme bilden. Die Metapher ist mit Bedacht gewählt: Wenn die beiden Spitzenkandidaten am 13. September, zum dritten Mal nach 2002 und 2005, im TV-Studio aufeinandertreffen, erhofft man sich einen unmittelbaren Schlagabtausch; die politische Debatte, ansonsten durch Parteiapparate aufgebläht, soll sich neunzig Minuten lang reduzieren auf die direkte Auseinandersetzung von Amtsinhaber und Herausforderer.

Ein unverstellter Zweikampf, nicht um Leben und Tod, aber zumindest um Sieg oder Niederlage. Natürlich ist genau das Gegenteil der Fall. Wie nach den TV-Duellen zwischen Schröder und Stoiber und Schröder und Merkel unzählige Male konstatiert, gibt es kein anderes Ereignis im Wahlkampf, das ähnlich präzise, ja mit beinahe hysterischer Sorge um das letzte Detail abgestimmt ist.

Heerscharen von Beratern, Mediencoaches und persönlichen Assistenten bereiten den Auftritt der Kandidaten vor, arbeiten die Statements aus, trainieren Körpersprache und Stimmvolumen.

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Der Grund für die äußerste Anspannung aller Beteiligten liegt in der Geschichte dieses Formats. Wenn es normalerweise unmöglich ist, in einem Wahlkampf den Moment der Entscheidung zu bestimmen, jenen Satz, jenes Bild, in dem die Stimmung zugunsten des einen Kandidaten kippt, dann gilt das allererste Fernsehduell im Jahr 1960 als historische Ausnahme: In dieser Debatte zwischen Nixon und Kennedy brachte sich der favo-risierte Vizepräsident, kränklich, schlecht rasiert und schwitzend, bekanntlich um alle seine Chancen gegen den braun gebrannten Herausforderer. Das ist die traumatische Urszene des Fernsehduells, und seitdem sitzt die Gewissheit in den Köpfen, dass diesem Abend größte Bedeutung zukommt.

In seiner Autobiografie schrieb Nixon über den Auftritt von 1960 verbittert: »Nicht die Substanz der Debatte, sondern der Gegensatz unserer äußeren Erscheinung war ausschlaggebend.« Fünfzig Jahre später ist dieses Urteil Konsens; niemand würde ernsthaft infrage stellen, dass sachliche Argumentation in der öffentlichen Politik noch von der Güte der Performance zu trennen wäre.

In der TV-Debatte zwischen Merkel und Steinmeier nun steht man vor der einzigartigen Konstellation, dass zwei Politiker aufeinandertreffen, die sich in ihrer Sprödigkeit gegenseitig überbieten. Ein Hoffnungsschimmer für alle Medienkritiker: Denn vielleicht wird dieses Fernsehduell zum Ersten in der Geschichte, bei dem mangels Temperament und Charisma tatsächlich die reinen Sachfragen in den Mittelpunkt rücken.

Die Rubrik 50 Zeilen wird abwechselnd von drei Autoren geschrieben. Auf Andreas Bernard folgt nächste Woche Georg Diez, danach Tobias Kniebe.

Foto: dpa