Früher: Kippen Heute: tippen

Wo früher graue Schwaden aufstiegen, flackern heute die Displays: Das Smartphone hat die Zigarette abgelöst - als Accessoire, als Pausenfüller, als Alltagsgegenstand.

Keiner raucht mehr. Alle tippen. Auf dem Bahnsteig und im Zug, auf der Parkbank und der Café-Terrasse. Die wartende Frau dort an der Ecke stöbert in ihrem Smartphone, um die Zeit zu überbrücken. Vor ein paar Jahren hätte sie vermutlich ein Päckchen Lucky Strike oder Camel aus ihrer Tasche geholt. Sogar die »Zigarette danach« ist durch das Handy ersetzt worden, wie ein Technologie-unternehmen kürzlich ermittelte; nach dem Sex raucht man nicht mehr im Bett, sondern checkt kurz seine WhatsApp-Nachrichten.

Aus dem öffentlichen Raum ist die Zigarette in dem Maß verschwunden, in dem ihn das Smartphone mit Internetzugang erobert hat. Die entscheidenden Ereignisse für
diesen Übergang haben sich fast zeitgleich abgespielt: Im Herbst 2007 wurde bundesweit das Rauchverbot in Zügen und öffentlichen Gebäuden eingeführt und bis zum Januar 2008 auch das Rauchverbot in Gaststätten. Der Erstverkaufstag des iPhones in Deutschland wiederum war der 9. November 2007.

Seitdem ist die Waffe, mit der man die Zeit totschlägt, kein Genussmittel mehr, sondern ein technisches Medium. Kommuni-zieren statt inhalieren. Diese Ablösung passt zweifellos in eine Zeit, in der jede Gefährdung von Gesundheit und Hygiene geächtet und der Befehl zur Vernetzung allgegenwärtig ist. Bis vor zehn Jahren wurde etwa die verrauchte Kleidung nach dem Ausgehen wie eine natürliche Imprägnierung akzeptiert (unvergessen das Nach-Hause-Kommen in der ersten Nacht des Rauchverbots, als der geruchlose Pullover fast wie ein Schock wirkte, so als hätte der Abend gar nicht stattgefunden). Heute ist Zigarettenrauch nichts als eine giftige Wolke, deren Ausbreitung so rigide wie möglich begrenzt werden muss, auf jene gläsernen Ghettos auf Bahnhöfen oder Flughäfen, in denen sich die letzten Süchtigen zusammenpferchen.

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Websites, Apps und Mails dagegen produzieren keine schädlichen Effekte in der Umgebung. Als das Handy aufkam, warnte man zwar vor »Elektrosmog«, aber das war nur jenes skeptische Grundrauschen, das den Siegeszug aller technischen Erfindungen begleitet. Heute drückt, tippt und scrollt fast jeder Passant vor sich hin, umgibt sich mit unhörbaren, geruchlosen Daten, und manchmal malt man sich aus, wie es wäre, wenn diese Bewegungen doch für einen Augenblick eine wahrnehmbare Wirkung hinterlassen würden. Jeder Tastendruck im Großraumabteil ein farbiger Strahl, ein muffiger Duft – die Debatten über das Passivsurfen wären schlagartig eröffnet.

Doch das Handy profitiert davon, dass Datenmengen zwar dauerhafter gespeichert werden als der flüchtige Rauch (zum Beispiel in den Archiven der Geheimdienste), aber eben nicht in der Atemluft und Kleidung der Passanten. Das Tippen hat das Rauchen also ersetzt, und zwar so konsequent, dass es beim Anschauen alter Filme inzwischen zu Fehlwahrnehmungen kommt. In der Gesäßtasche einer Jeans zeichnet sich ein viereckiger Gegenstand ab, zweifellos ein Telefon, doch dann zieht das Mädchen in dem Siebzigerjahre-Krimi eine Marlboro-Schachtel heraus. Und wenn der Blick einmal empfänglich ist, entdeckt man überall Bezüge zwischen dem alten und neuen Grundaccessoire des Lebens. Ist diese schöne Geste, beim Feuergeben mit der gewölbten Hand den Wind abzuhalten, nicht exakt in dem Versuch nachgebildet, im Sonnenlicht ein Handyfoto zu betrachten? Und wiederholt die Wischbewegung beim Entsperren des iPhones nicht das Entzünden eines Streichholzes?

Bei all diesen Ähnlichkeiten bleiben aber auch Differenzen: Nikotin belastet die Lunge stärker als das Bedienen von Touchscreens, zweifellos, aber immerhin ist der Genuss einer Zigarette eine fünfminütige Erfüllung, ein Akt reiner Gegenwart, während der unentwegt wiederholte Parcours von GMX zu Facebook zu Spiegel Online von Erwartung geprägt ist, von der so selten gestillten Sehnsucht nach einer alles verändernden Nachricht oder Schlagzeile.

Und so profan das Rauchen einer Zigarette auch sein mag: Immer war mit dieser Tätigkeit eine Ahnung von Selbstbestimmung verbunden. Nicht umsonst klang in dem beiläufigen Satz »Ich geh mal kurz Zigaretten holen…« die Möglichkeit an, jemand könne einfach verschwinden, alle Bindungen hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. Würde man diesen Ausbruch einem Menschen zutrauen, der mit den Worten »Ich geh mal kurz raus zum Telefonieren« das Haus verlässt? Wohl kaum. Die Ortungsfunktion seines Smartphones würde ihn ohnehin lokalisieren.

(Fotos: Christoph Ziegler; getty; dpa, imago; dpa)