Im Frühling fährt Joschka L. nach Polen und kauft einen Schuhkarton voller Falschgeld, knapp 38 000 Euro. Er deponiert ihn im Apartment eines Freundes, in der Kleinstadt Neuenhagen bei Berlin, und verkauft die 50-Euro-Scheine für 25 Euro das Stück weiter. Bald weiß die halbe Belegschaft des Neuenhagener Bahnhofscafés von der Existenz des Kartons, der Kreis der Abnehmer erweitert sich, doch genauso schnell erfährt auch die Polizei von dem Handel, überwacht die Telefone und greift zu.
Jetzt sitzen Joschka L., 23, und drei seiner Bekannten vor dem Landgericht Berlin. Die anderen winden sich vor Schuldbewusstsein, wollen den Richter mit wortreichen Erklärungen für sich einnehmen, doch der Hauptangeklagte, unrasiert und mager, demonstriert Gelassenheit. Er verfolgt das Geschehen mit wachem, manchmal leicht spöttischem Blick. Den Kauf des Falschgeldes in Polen hat er eingeräumt, mehr will Joschka L. aber nicht verraten. Der Richter fragt ihn, im Tonfall eines Pädagogen: »Herr L., wer waren die Leute, die Ihnen das Geld verkauft haben?« – »Das erzähle ich Ihnen nicht.« – »Und woher wussten Sie, dass es dort in Polen Falschgeld gibt?« – »Das erzähle ich Ihnen nicht.«
In den Zeugenstand wird der Beamte gerufen, der die Ermittlungen geleitet hat, ein Falschgeldspezialist der Berliner Polizei. Als er den Richtern und Anwälten ein paar beschlagnahmte Banknoten vorlegt, kippt die Stimmung kurzzeitig ins Übermütige. »Herr Kollege, jetzt reichen Sie die Scheine mal weiter!« – »He, aufpassen, da sackt einer was ein!« Allgemeine Heiterkeit, joviales, heiseres Herrengelächter. Die Verführungskraft des Falschgeldes ist sofort spürbar; für ein paar Sekunden schwindet die stabile Grenze zwischen den Gesetzesvertretern am Richtertisch und den Gesetzesbrechern ein paar Meter dahinter. Dann sammeln sich die Robenträger wieder und hören zu, was der Beamte über die Identifizierung des Falschgeldes erzählt, über die Zuordnung der verstreut aufgefundenen Scheine zur selben Quelle, dem Schuhkarton in Neuenhagen. Offenbar war die »auffällige Vorknitterung« der Banknoten das ausschlaggebende Indiz. Da die Betrüger die Ersten waren, die das druckfrische Falschgeld aus Polen in Umlauf bringen mussten, bearbeiteten sie die 50-Euro-Scheine, »um Gebrauch zu simulieren«. Dabei entstand an allen Scheinen ein ähnliches Muster.
In einem holprigen, ungelenk formulierten Plädoyer fordert der Staatsanwalt eine hohe Gefängnisstrafe für Joschka L., beinahe fünf Jahre. Es zeigt sich, wie empfindlich das Verbrechen der Geldfälschung das Gefüge des Staates zu treffen scheint. Jeder Großbetrug mit legal zirkulierenden Summen wird nachsichtiger geahndet als der Besitz geringer Mengen Falschgeld. Joschka L.s Souveränität bekommt nach dem Strafantrag des Staatsanwalts Risse; sein Atem ist schwer, sein Kopf gesenkt. Er hat bereits sechs Monate in Untersuchungshaft verbracht, davon 23 Stunden pro Tag in der Zelle, wie der Verteidiger sagt; sein acht Monate altes Kind kennt Joschka L. so gut wie nicht. Die Aussicht, für die nächsten Jahre im Gefängnis zu verschwinden – das ist jetzt für alle im Saal zu spüren –, würde diese Biografie zerstören und eine lebenslange Verbrecherkarriere begründen.
Als der Richter das Urteil verkündet, vier Jahre Freiheitsstrafe, aber voraussichtlich im offenen Vollzug, ist die Erleichterung des Angeklagten groß. Der Haftbefehl wird zunächst aufgehoben. Und während seine Freundin nach vorne stürmt und einen Weg sucht, um den Angeklagten hinter der vergitterten Bank zu umarmen, kreisen die Gedanken beim Verlassen des Saals um die Frage, ob so etwas wie Falschgeld überhaupt existiert. Denn solange die Scheine in Umlauf bleiben, gelten sie als echtes Geld; sobald sie als Fälschung entlarvt werden, sind sie nichts als wertloses Papier. Geld hat keine Seele, kein Inneres; seine »Echtheit« setzt sich aus einer Reihe von äußerlichen Merkmalen zusammen, die jederzeit perfekt nachgebildet werden könnten. Genau genommen gibt es kein Falschgeld, nur die Verletzung des Produktionsmonopols. Aber es muss eine klare Trennung aufrechterhalten werden, um die Ordnung der Gesellschaft nicht zu gefährden.
Illustration: Christoph Niemann