Eine seltene Situation: an der Spitze der Charts steht ein Filmsoundtrack. Und dann auch noch zu einem Kinderfilm, »Bibi und Tina – Mädchen gegen Jungs«, der dritte Teil der Erfolgsreihe vom Reiterhof. Ist das Zufall? Im Gegenteil. Es ist das Ergebnis einiger sehr guter Entscheidungen, aber dazu gleich mehr.
Erstmal ein Blick zum Vorgänger. Der letzte Nummer-eins-Soundtrack in den Charts war »50 Shades of Grey«. Dafür hatte man, vor ziemlich genau einem Jahr, Songs von den Rolling Stones, Beyoncé und Frank Sinatra lizensiert und zusammengestellt. Der Soundtrack war also eher ein schöner Sampler. Auch Nicht-Fans und sogar erklärte Feinde des Säftelstreifens konnten mit dem Album was anfangen. Kein schlechter Verkaufstrick für einen Soundtrack. Und doch liegen die Dinge bei »Bibi und Tina« anders. Der komplette Soundtrack wurde eigens für den Film komponiert. Musik und Film sind sozusagen untrennbar miteinander verschmolzen. Warum kaufen das so viele?
Ein Blick in die Top 3 der bestverkauften Soundtracks aller Zeiten.
Platz 1: »Westside Story«. Ein Musical.
Platz 2: »South Pacific«. Ein Musical.
Platz 3: »Saturday Night Fever«. Ein Tanzfilm.
Die erste Regel ist also wohl: Wenn ein Film vor allem von Musik handelt, verkauft sich der Soundtrack wie blöd. Ähnlich wie sich viele Star-Wars-Fans nach dem Film ein Plastik-Lichtschwert kaufen, legen sich Fans eines Musikfilms den Soundtrack zu. Einleuchtend. Und ziemlich direkt auf »Bibi und Tina« übertragbar: In dem Film wird ständig gesungen und getanzt, eigentlich ist »Bibi und Tina« eine Art Pop-Musical auf dem Pferdehof. Wer aus dem Kinosaal kommt, hat jedenfalls ein Dutzend neuer Ohrwürmer – klar, was sich tausende Kinder zum nächsten Geburtstag wünschen.
Aber noch etwas fällt auf, wenn man die Reihe der All-Time-Bestseller weitergeht:
Platz 4: »Purple Rain«. In der Hauptrolle: Prince.
Platz 5: »The Bodyguard«. In der Hauptrolle: Whitney Houston.
Platz 6: »Blue Hawaii«. In der Hauptrolle: Elvis Presley.
Die zweite Regel für den Erfolgssoundtrack lautet also: Popstars als Schauspieler verpflichten. Die Menschen lieben Popstars, und Popstars können (anders als Filmstars) nicht nur Filme, sondern auch Alben verkaufen. Womit wir wieder bei »Bibi und Tina« wären: Die Hauptrolle spielt eine gewisse Lina Larissa Strahl. Kinderlosen Erwachsenen ist die 18-Jährige eher unbekannt, in der Zielgruppe allerdings ist sie ein Popstar: Strahl hat vor drei Jahren die Castingshow »Dein Song« im Kinderkanal gewonnen. Sie ist also in erster Linie Sängerin. Strahl brachte zwei Singles raus, war bei Raab zu Gast, dann castete man sie direkt für die Hauptrolle des ersten »Bibi und Tina«-Films. Großer Erfolg, zwei weitere Filme, und jetzt: Soundtrack auf Platz 1. Ordentliche Leistung. Vier der zwölf Songs auf dem Album singt Lina Larissa Strahl.
Der Ausnahmeerfolg, das muss nun auch mal gesagt werden, liegt aber noch an etwas drittem: an der Qualität. Der Soundtrack ist tatsächlich extrem gut gemacht. Die zwölf Songs, erstklassig produziert, decken fast jedes aktuell beliebte Musikgenre ab. Es gibt Deutschrap, Indierock, House, es gibt Folkballaden, disneymäßige A-capella-Stücke – detailverliebt arrangiert, mit klugen Texten, gesungen von den Schauspielern aus dem Film. Sobald ein Lied zu nerven beginnt, ist es auch schon vorbei. Geschrieben hat die Songs ein Team um Peter Plate, der mal eine Hälfte von Rosenstolz war und einer der erfolgreichsten Songwriter des Landes ist. Er hat zum Beispiel Sarah Connors Platin-Album »Muttersprache« geschrieben.
Wir halten fest: Ein gestandener Pop-Profi hat da mit großer Mühe Musik geschrieben, die nicht nur Kindern gefällt, sondern – man erkennt das an den hymnischen Amazon-Rezensionen – Erwachsene regelrecht begeistert. Der Leidensdruck, auch das erkennt man an den Rezensionen, muss in diesem Bereich übrigens relativ hoch sein. Verständlich, schließlich müssen Eltern jede CD ihrer Kinder tage- und wochenlang im Auto in Dauerschleife hören. Aber auch hier haben die Macher von »Bibi und Tina« mitgedacht: Der Soundtrack kommt als Doppel-CD. Einmal alle Songs in normal – und einmal als Karokeversion. Inklusive Textbuch für Papa.
Erinnert an: sehr vieles, aber dankbarerweise fast gar nicht an den onkeligen Rolf Zuckowski.
Wer kauft das? Eltern, mutmaßlich mit Freudentränen in den Augen.
Was dem Album gut tun würde: Naja, ein paar der Techno-Remixes hätte man sich vielleicht sparen können...