Unterdrücken

Im Nahen Osten wird das Internet nicht nur aus religiösen Gründen zensiert, sondern auch, weil jede Kritik an Obrigkeiten unterbunden werden soll. Das Einzige, was gegen die Zensur hilft, ist: ...das Internet selbst.


    Basma* hat ihren Job gut gemacht, das war das Problem. Als der Verleger sie anrief, wusste sie nicht mal, dass er ihren Namen kannte. Basmas Hände zittern, wenn sie das erzählt: »Ich hatte schreckliche Angst.« Ihre Hände und ihr breites Gesicht sind das Einzige, was man von ihrem Körper sieht, der Rest ist verschleiert. Basma ist 26 Jahre alt und Online-Journalistin bei einer großen Zeitung in Dubai. Als der Verleger sie am 5. Oktober 2009 sprechen wollte, hatte Basma gerade einen Artikel über die Emirates Airlines auf die Homepage gestellt. »Basma? Wir veröffentlichen deinen Artikel über die Emirates Airlines nicht.« Dann legte er auf. »Man macht einen kleinen Schritt über die Grenze«, sagt sie, »und dann passiert so etwas.«

    Der kleine Schritt über die Grenze: Am Vormittag des 5. Oktober 2009 ruft Basma bei der Fluglinie des Emirats Dubai an. Sie fragt, was die Verantwortlichen dort vom Bericht einer australischen Zeitung halten. Darin hatte ein Pilot gesagt, er müsse – wie alle bei Emirates Airlines – viel zu lange arbeiten und sei so übermüdet, dass deswegen ein Flugzeug abstürzen könnte. »Ich habe der Pressefrau gesagt: ›Sie müssen mir eine Stellungnahme geben, die ganze Welt schreibt darüber.‹ Sie ist ausgeflippt.« Die Pressesprecherin informiert sofort den Chef der Fluggesellschaft von Basmas Anruf. Der ist der Onkel des Premierministers, des zweitmächtigsten Mannes im Staat. Also bekommt der Chef der Emirates Airlines sofort einen der Staatssekretäre ans Telefon – und der ist gleichzeitig der Verleger von Basmas Zeitung. Zweieinhalb Stunden nach Basmas Anfrage klingelt ihr Handy, und ihr Artikel verschwindet von der Homepage.

    Unbequeme Texte werden normalerweise gar nicht erst geschrieben – die Journalisten in den Emiraten zensieren sich selbst. Auch Basma sagt ihren Kollegen, was sie zu schreiben haben – als Ressortleiterin führt sie ein Team von knapp einem Dutzend Reporter. Aber sie sagt auch: »Nur wenn wir ständig an den Tabus rütteln, verschwinden sie irgendwann.« Damit sie das weiter tun kann, will sie nicht, dass hier steht, was und wo sie studiert hat oder wie ihre Zeitung heißt. Die Details könnten ausreichen, sie zu identifizieren, die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein kleines Land: Mit sechs Millionen Menschen haben sie weniger Einwohner als die Schweiz; nur knapp 20 Prozent davon sind Einheimische, der Rest Ausländer.

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    Kritik kann in den Emiraten heikel werden: Wegen »übler Nachrede« wurde im Mai 2009 die Onlinezeitschrift Hetta für einen Monat verboten, ihr Chefredakteur musste 6000 Euro Strafe zahlen. Offizieller Grund für die Verurteilung waren die beleidigenden Kommentare von Internetnutzern – vor allem aber standen sie unter einem Artikel, der das staatliche Medienunternehmen Abu Dhabi Media Company kritisierte.

    Die islamische Leitkultur gilt als offizielle Begründung, Internetseiten zu verbieten, die von Drogen, Pornografie, Homosexualität und Glücksspielen handeln oder diese zeigen oder den Islam beleidigen. Ebenfalls nicht erlaubt sind in Dubai »Seiten mit anstößigem Ländercode« – das heißt Seiten, die auf .il enden: il wie Israel. Die Telekommunikationsbehörde legt fest, was verboten ist; die Internetanbieter müssen dann den Zugang zu Webseiten blockieren, die mit Kategorienamen wie »Sex«, »Drogen«, »Alkohol«, »Glücksspiel«, »Terrorismus« gekennzeichnet wurden.

    Diese Namen suggerieren allerdings eine Klarheit, die es nicht gibt. So wird in den Emiraten zum Beispiel der Zugriff auf ecretdubai.blogspot.com gesperrt, den Blog eines in Dubai lebenden Briten. Pornografische Bilder finden sich da nicht, aber Berichte über Emiratis, die für Sex bezahlen. Solche Sperren machen Basma wütend: »Diese Zensur hat nichts mit dem Islam zu tun. Es geht nur darum, das Image der Vereinigten Arabischen Emirate zu schützen – und das der Herrscherfamilien.«

    Basma kann an ihrem Computer frei surfen, denn sie benutzt ein sogenanntes Tor-Netzwerk, das IP-Adressen anonymisiert: So ist nicht mehr erkennbar, dass Basma sich in den Emiraten aufhält. Die Onlinesperren kann man so umgehen – aber die vorauseilende Selbstzensur zu überwinden erfordert Mut. Hilfe bekommt Basma dabei aus dem Netz: »Dank dem Internet kann man nicht mehr so leicht lügen«, sagt Basma, »wenn die ganze Welt eine Sache schreibt und wir eine andere, lässt uns das dumm aussehen.«

    Im Frühjahr 2009 zirkulierte auf YouTube ein Video, das ein Mitglied der Herrscherfamilie zeigte, wie es einen Geschäftspartner folterte. Als die amerikanischen ABC News darüber berichteten, schrieben auch ein paar emiratische Journalisten darüber – ein großer Tabubruch. Aber niemand ging gegen die Journalisten vor. Basma sagt: »Wenn die Journalisten gefeuert worden wären, hätte die ganze Welt darüber berichtet. Das hätte dem Ansehen des Landes noch mehr geschadet.«

    Basma selbst hat seit zwei Monaten keinen Anruf von ihrem Verleger mehr bekommen – »ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«. Kleine Grenzübertritte wagt sie weiterhin, etwa mit ihren Berichten über den Hamas-Chef Al-Mabhouh. Der wurde im Januar 2010 in Dubai ermordet, vermutlich vom israelischen Mossad. »Ich habe geschrieben, dass Al-Mabhouh in Dubai war, um Waffen aus dem Iran in den Gazastreifen zu schmuggeln.« Eine Kollegin riet ihr, den Satz wegzulassen, denn »unser Verleger hat Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran«. Sie ließ den Satz stehen. »Ich habe gesagt, die BBC schreibt es auch.« Basmas Artikel wurde nicht von der Homepage entfernt.

    *Name von der Redaktion geändert

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    Illustration: Christoph Niemann