Im Winter 1971 verschickt der Programmierer Ray Tomlinson die erste E-Mail der Welt – und erfindet im selben Augenblick gleich noch ein Problem: doofe E-Mail-Adressen. Denn seine historisch so bedeutende erste elektronische Post hat den sperrigen Absender: »tomlinson@ bbntenexa«. Viel Spaß beim Buchstabieren. »tomlinson« mögen sich US-Amerikaner wie er leicht merken können, aber wer muss bei »@bbntenexa« nicht dreimal nachfragen? Noch unleserlicher: die erste E-Mail, die in Deutschland empfangen wurde, am 3. August 1984. Absender war die US-Wissenschaftlerin Laura Breeden von ihrem Konto »breeden@scnet-sh.arpa«. Zumindest der erste deutsche E-Mail-Nutzer, Michael Rotert von der Universität Karlsruhe, hatte eine eingängige Adresse: »rotert@germany«.
Aber heute, mehr als drei Milliarden E-Mail-Konten später, ist es so gut wie unmöglich, eine vernünftige Adresse zu bekommen. Ich versuche es gerade. Im Juli habe ich mir einen neuen Laptop gekauft. Nach dem Einschalten forderte mich das Gerät auf, mir eine E-Mail-Adresse bei Microsoft anzulegen, also bei deren Anbietern Outlook und Hotmail. Kein Problem, dachte ich. Ich hätte gerne »marc.baumann@…« gewählt, aber die war bereits vergeben bei outlook.com. Und outlook.de. Und hotmail.com. Microsoft schlug mir netterweise Alternativen vor. Noch frei wären: »marcbaumannmarc-baumann@outlook.com« oder »marc-baumannbaumannmarc@outlook.de«. Bitte nicht!
Das Internet beansprucht schon jetzt viel zu viel Platz in meinem Gedächtnis: Ich muss mir bereits mehr als 25 Login-Namen merken. Für amazon-facebook-twitter-instagram-stattauto-audible-soundcloud-skygo-flickr, für Online-Shopping, Online-Banking und Online-Booking. Allein am Arbeitscomputer bei der SZ bin ich in diversen Programmen als »mbaumann«, »mabaumann«, »mabau«, »Baumann.Ex«, »Baumann.M«, »BAUMANN.MARC« und »exgp651« registriert.
Darum brauche ich eine simple E-Mail-Adresse. Und eine möglichst seriöse, man schreibt ja auch mal einem Makler oder dem Finanzamt. Da punktet man nicht unbedingt mit »wunderhund@gmx.de« (die hatte mein Bürokollege früher). Meine erste E-Mail-Adresse, Ende der Neunziger eröffnet, beginnt mit »marcffb...« – schon damals war »marc.baumann@« vergeben. Ich wich aus auf »marcffb«, weil »FFB« das Autokennzeichen meiner Heimatstadt ist. Wann immer ich diese Adresse einem Münchner sage, kommt als Antwort: »Du bist aus Fürstenfeldbruck? Ihr seid die schlimmsten Autofahrer der Welt!«
Bisweilen geben Mailadressen sogar einen Blick in die Seele frei: Auf www.sz-magazin.de sind sechs »Frodo« angemeldet, drei »Skywalker« und acht »007«. Ebenfalls registriert bei uns ist ein, oder vielleicht sogar der »jesuschristus@…«.
Versucht man bei web.de, die Adresse »jesus.christus@web.de« zu bekommen, erfährt man, dass man erst wieder ab »jesus.christus.65@web.de« eine Chance hat. Ebenfalls weg: »johann.wolfgang.von.goethe@web.de«. Mir bietet web.de »mr-baumann-marc@web.de« an. Aber denkt der Empfänger da nicht: »Wieso will der als ›Mr.‹ angesprochen werden?« Schon macht man sich aus Verlegenheit um eine ordentliche Adresse unbeliebt.
Dabei bin ich noch gut dran: In der Liste der hundert häufigsten Familiennamen in Deutschland landet Baumann erst auf Rang 61, Marc als Vorname hat es nur 1974 einmal in die Top Ten der Jungs-namen geschafft, seitdem belegt er hintere Plätze zwischen 30 und 50. Wie schwer hat es wohl erst ein Maximilian Müller oder eine Marie Schmidt? Unter dem Gesichtspunkt verfügbarer E-Mail-Adressen hätte ich meine Tochter völlig anders nennen müssen: Einst habe ich über die Namen Jimi Blue Ochsenknecht und Cheyenne Ochsenknecht geschmunzelt, jetzt merke ich, wie vorausschauend Uwe Ochsenknecht seine Kinder benannt hat. Tatsächlich, die E-Mailadresse »cheyenne.baumann@web.de« ist noch frei.
Ich bitte die Pressestelle von gmx.de um Rat, wie soll eine Marie je einen anderen E-Mail-Namen als Marie1217 oder Marie8221 finden? »Möglicherweise lässt sich eine seriöse Adresse in Verbindung mit den Domain-Endungen .com, .eu, .net, .org, .info oder .biz registrieren«, empfiehlt mir gmx.de. Ein Programmierer, mit dem ich befreundet bin, schlägt vor, auf Länderdomains wie .at (Öster-reich) oder co.zw (Simbabwe) auszuweichen. Ob »Simbabwe«, »Schweiz« oder »Cayman Inseln« als E-Mail-Absender bei meinem Finanzamt gut ankäme?
Neuer Versuch: Ein exklusives Mailkonto kaufen. Die Adresse »info@marcbaumann.de« mit eigener Homepage ist schon vergeben. Eine Firma schlägt mir für etwa 50 Euro im Jahr »info@marcbaumann.guru« vor, eine andere »info@marcbaumann.shop«. Ich schreibe Namensvetter an, die »marc.baumann@…«-Adressen besitzen und frage, ob ich die für wenig Geld bekomme. »marc.baumann@gmail.com« antwortet umgehend: »Nachdem diese Adresse mit so vielen Dingen verknüpft ist und quasi meine Identität im Internet darstellt, wäre es mit großem Aufwand verbunden, sie zu wechseln. Ich würde mich auch fragen, ob man nicht nur seine E-Mail-Adresse, sondern einen Teil seines Lebens verkauft.« Klingt, als ob die Verhandlungen länger dauern werden.