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SZ-Magazin: Frau Marceau, ist es schwierig, jemanden vor der Kamera zu küssen?
Sophie Marceau: Nein. Abseits der Kamera fiele es mir schwer, jemanden zu küssen, den ich nicht küssen will. Vor der Kamera ist das etwas anderes. Wobei ich zugeben muss: Kussszenen gehören nicht zu meinen Lieblingsszenen. Viele Leute stellen sich dabei tollpatschig an. Aber selbst für einen Kuss gilt: Wenn man die Realität einfach abbildet, bleibt sie nichtssagend. Jede Szene im Film muss erst geschaffen werden und dem Bild entsprechen, das im Kopf existiert. Die Fantasie von Verliebten ist interessant, die muss man filmen, nicht die nackte Realität. Der Kuss muss interpretiert werden.
Fiel es Ihnen leichter, im Film Christopher Lambert zu küssen, der zu der Zeit noch Ihr Lebenspartner war? Oder war es bei Jean-Paul Belmondo einfacher?
Ich glaube, Belmondo habe ich gar nicht geküsst. Aber selbst wenn man den eigenen Partner vor der Kamera küssen soll: Auch diesen Kuss muss man erst erschaffen.
Sie schauspielern, wenn Sie Ihren eigenen Freund im Film küssen?
Natürlich. Ich war nicht Sophie vor der Kamera, und er war nicht Christopher. Wir beide haben unsere Rollen gespielt. Und überhaupt: Was heißt schon Kuss? Küsst man mit Wut? Oder mit Leidenschaft? Ein Kuss hat im Drehbuch etwas zu bedeuten. Das muss man spielen.
Fällt es Ihnen leicht, im Film eine Frau zu spielen, die sich verliebt?
Ja. Liebe, Wut, Angst kennen wir doch alle zur Genüge. Etwas schwerer fällt es, solche Gefühle auf Kommando vor der Kamera zu entwickeln.
Sie haben nie eine Schauspielschule besucht. Spielen Sie Ihre Rollen dennoch nach einer bestimmten Schule?
Jeder Schauspieler arbeitet mehr oder weniger nach Stanislawski. Ich habe ihn gerade zum ersten Mal gelesen und bin froh darum. Alles was er sagt, erscheint so klar und richtig, jetzt nach all meinen Erfahrungen in dem Beruf. Ich würde gern wissen, wie ich mich entwickelt hätte, wenn ich ihn dreißig Jahre früher gelesen hätte, ob ich ihn überhaupt verstanden hätte. Es ist ja so schwierig, über die Schauspielerei zu reden, das ist nichts, was man zur Gänze rational durchdringen könnte. Wenn jemand das in Worte fassen kann, ist das großartig.
Konstantin Stanislawskis »Method Acting« verlangt, für jede Rolle persönliche Erinnerungen und selbst erlebte Gefühle zu nutzen. Welche Erfahrungen haben Sie beim Drehen Ihres Films Ein Augenblick Liebe herangezogen?
Sie sollten selbst Schauspielunterricht nehmen, wenn Sie das im Detail so interessiert.
Mich interessiert, an wen Sie denken, wenn Sie sich vor der Kamera verlieben.
So geht das nicht. Stanislawskis Methode funktioniert wie früher die Rollenspiele in der Kindheit. Man imitiert einen Cowboy mit Gesten, die entsprechende Emotionen wecken. Jede Geste verhilft einem in ein Gefühl. Und wenn man jemanden spielen soll, der sich verliebt, muss man eben daran glauben, sich gerade zu verlieben. Das ist das Geheimnis.
Bewirkt das Spielen etwa, dass man sich tatsächlich in sein Gegenüber verliebt?
Nein, aber es kann passieren – weil man in so einem Augenblick offen für Gefühle und auch verletzlich ist. Schauspielen heißt: Man zeigt einen Teil von sich, den man im Alltag versteckt und nur nach innen auslebt. Vor der Kamera muss man sich öffnen, deswegen reagieren Schauspieler oft emotional und verlieben sich in den Filmpartner. Schauspielen heißt auch: geben und keine Angst vor dem Geben zu haben; Liebe geben, Wut zeigen; auf den anderen zugehen, aus dem Selbst herausgehen. Junge Schauspieler tun sich oft schwer damit. Das war auch bei mir der Fall.
Wie entsteht Erotik auf der Leinwand?
Erotik kann man nicht filmen, sie muss transzendiert werden, Gedanken und Fantasien müssen dafür übersetzt werden. Man kann zwei Menschen beim Sex zeigen, aber das allein ist eine belanglose Szene. Die Transzendenz fehlt oft heutzutage, und wir begnügen uns damit, realistisch, konkret, pur zu sein.
Im Film Ein Augenblick Liebe verlieben Sie sich, als Ihr Partner von Ihren traurigen Augen spricht.
Elsa, die Frau, die ich im Film spiele, spürt, dass jemand in sie hineinschaut. Durch ihre Augen hindurch. Er sagt etwas, was sie im Innersten trifft. Bei der Liebe müssen viele Dinge gleichzeitig geschehen: Man muss bereit sein, zuzuhören, damit die Worte einer Person zum Herzen durchdringen. Ich glaube an die Liebe auf den ersten Blick, aber es reicht nicht, dass zwei Menschen sich treffen.
Haben Sie im wahren Leben auch schon gehört, dass Sie traurige Augen haben?
Sehr oft. Stimmt ja auch. Wobei man mich in Asien »Happy Face« nennt. Aber Asiaten haben auch eine andere Vorstellung von Traurigkeit und Fröhlichkeit, das eine geht nicht ohne das andere, und beide liegen nah beieinander.
Was halten Sie für die geschicktere Taktik, um eine Frau zu erobern: von ihren Augen zu sprechen oder sie zum Lachen zu bringen?
Kommt auf die Frau an. Die entscheidende Frage ist für mich: Wie wählt man den richtigen Geliebten aus? Ich würde in Liebesdingen nicht meinem ersten Instinkt folgen. Unsere erste Wahl ist doch oft nur das Resultat unserer Neurosen und Erziehung. Es ist interessant, einmal zu hinterfragen, warum man mit einem eine Beziehung begonnen hat und mit einem anderen nicht.
Im Film raten Sie Ihren Freundinnen: keine Affären mit verheirateten Männern. Und halten sich selbst nicht dran.
Liebe sollte nicht weh tun. Niemandem.
Wäre Flirten gerade noch erlaubt?
Nein. Im Film sucht Elsa nach Liebe, während Pierre nur mit dem Gedanken an eine Affäre spielt. Aber Männer und Frauen sehen den Film unterschiedlich, auch die Ehe zwischen Pierre und seiner Frau: Ein Freund von mir versteht nicht, warum Pierre bei seiner Frau bleibt, statt zu Elsa zu gehen, der Frau, die ich spiele. Pierres Ehe sei doch am Ende. Ich sage: Stimmt nicht. Er liebt seine Frau.
Verstehen Sie, warum so viele Männer für Sie schwärmen?
Sie wollen mich alle heiraten, sie stehen nicht nur auf mich oder denken, ich sehe gut aus, sie wollen mich alle heiraten. Sie halten mich für eine gute Mutter und Ehefrau. Und sie haben ja recht.
Warum sind Sie dann nicht verheiratet?
Ich weiß nicht. Ich denke nicht drüber nach.
Sie wissen es nicht – oder Sie wollen nicht darüber sprechen?
Charles Fourier, der Feminist, hat gesagt, dass die Ehe die Unterwerfung der Frau bedeutet. Ich denke ähnlich. Ich käme mir in einer Ehe irgendwie eingesperrt vor. Vertrauen war nie ein Problem in meinen Beziehungen, aber ich will meine Unabhängigkeit nicht verlieren.
Finden Sie Heiraten altmodisch?
Nein, das liegt sehr im Trend. Ich kenne so viele junge Menschen, die heiraten und sich ihrer Liebe versichern wollen. Weil sie aus Familien kommen, in denen die Ehe der Eltern explodiert ist.
Wann hat es angefangen, dass Männer hinter Ihnen her waren? Schon im Kindergarten?
Da gab es jemanden. Ich glaube, Männer rennen einfach in jedem Alter den Frauen hinterher. Männer sind immer auf der Jagd.
Ist es wahr, dass Sie nach Ihrem ersten Film La Boum 180 000 Liebesbriefe bekamen?
Durchaus möglich, ich habe sie nie gezählt. Anfangs habe ich noch versucht, sie alle zu beantworten. Das ging natürlich schnell nicht mehr. Aber jeder bekommt heute noch eine Autogrammkarte von mir, natürlich hilft mir jemand bei der Post, aber ich unterschreibe alle Autogrammkarten selbst und benutze keinen Stempel.
Und stimmt es, dass Ihnen ein Verehrer zum dreißigsten Geburtstag 3333 Baccara-Rosen geschenkt hat?
Ja. Das ganze Haus war voll davon. Wochenlang.
Mögen Sie Komplimente überhaupt noch?
Schon, aber sie sind nicht mein Motor. Ich bin besser, wenn ich mich beweisen muss, als wenn mir Komplimente gemacht werden.
Wurden Sie je von Bewunderern belästigt?
Einmal, nach La Boum. Kinder können wirklich grausam sein.
Sie waren 17 Jahre lang mit einem polnischen Regisseur liiert, mit ihm haben Sie einen Sohn, der Vater Ihrer Tochter ist Amerikaner, auch Ihr Ex-Partner Christopher Lambert wuchs in den USA auf. Ist es Zufall, dass keiner Ihrer bisherigen Lebenspartner Franzose ist?
Ich glaube nicht an Zufälle, aber es geschieht völlig unbewusst. Vielleicht kommt es daher, weil ich in Frankreich schon als Kind so bekannt wurde. Jeder kennt mich, als ob ich zur Familie gehöre, wie eine Cousine.
Sind Ihnen Franzosen zu langweilig?
Überhaupt nicht. Ich habe nur das Gefühl, zu bekannt zu sein. Wahrscheinlich suche ich unbewusst Menschen, die mich als Sophie entdecken, nicht als Sophie Marceau. -
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In Ein Augenblick Liebe küsst Marceau ihren Filmpartner François Cluzet. (Foto:Roger Do Minh)
Sophie Marceau
geboren als Sophie Danièle Sylvie Maupu, half als Kind im Restaurant ihrer Eltern aus. Sie war 14, als sie 1980 mit der Teenagerromanze La Boum - die Fete weltberühmt wurde. Mit 16 kaufte sie sich für eine Million Francs aus dem Vertrag, der sie zu einer dritten Fortsetzung verpflichtet hätte. Sie spielte dann an der Seite von Gérard Depardieu, Jean-Paul Belmondo und Claude Brasseur, 1995 in Mel Gibsons Braveheart, 1999 in James Bond - Die Welt ist nicht genug. Außerdem führte sie Regie, spielte Theater und schrieb eine Erzählung. Im Juli wurde bekannt, dass Marceau und ihr Lebensgefährte Christopher Lambert sich nach siebenjähriger Beziehung getrennt haben. Marceaus Film Ein Augenblick Liebe ist gerade in den Kinos angelaufen.