Der neue Pariser Typ

Vorbei sind die Zeiten, in denen der Pariser Mann im Sommeranzug mit Zigarette und Pernodglas am Boulevard Saint-Germain den Frauen hinterherschaute. Ersetzt hat ihn eine Art sanft garender Nationalist mit fremdflirtender Frau. Eine grobe Verallgemeinerung. 

Schön, schlau, Mutter, Unternehmerin – mit Büchern über die Pariserin kann man Regale füllen. Aber wie ist eigentlich der Pariser Mann?

Illustration: Jean-Philippe Delhomme

Der Pariser unserer Tage ist ein eher kleiner Mann, Mitte dreißig, mit kurzgehaltenem Bart, der ungern redet und seine sparsamen Mitteilungen keiner anderen Sprache anvertraut als dem Französischen. Man könnte ihn einen sanft garenden Nationalisten nennen, weil er auf eine niedlich pantoffelige Art in der französischen Kultur zu Hause ist und, anders als viele andere Franzosen, lieber Urlaub in der Camargue macht als in Laos. Er kocht auch gern. Und was er kocht, ist einerseits raffiniert, also mit einer Idee Exotik, sagen wir einer Prise Kurkuma, versehen, andererseits ist es, und das vor allem: boden­ständig. Die Weinflasche entkorkt er in der emotionslosen Art, mit der unsereins eine Wasserflasche aufdreht. Manchmal sieht er dabei aus dem Fenster auf die künstlichen Felsklüfte der Buttes-Chaumont und freut sich schon darauf, spätabends noch ein wenig laufen zu gehen. Wenn er ein bisschen was redet, dann zumeist im Idiom seines Heimatdialekts, und was bitte schert es ihn, ob der andere, auch wenn er Ausländer ist, versteht, was er sagt.

Es gibt keine andere Sprache für ihn als Französisch. Wenn er englische Wörter benutzen muss, dann zwingt er diese Wörter dazu, französisch zu sein. Er sagt »rönning« wenn er auf Englisch »laufen gehen« sagen will. Das Reden überlässt er ohnehin lieber seiner Frau, die ihn wegen seiner Häuslichkeit liebt, aber hin und wieder gefährliche WhatsApp-Nachrichten mit einem algerischen Galeristen von der anderen Seine-Seite austauscht. Wenn der Galerist Zeit und Ort für ein Treffen diesseits oder jenseits der Seine vorschlägt, packt sie die Koffer und verlässt mit ihrem Mann umgehend die Stadt. Während der Autofahrt schreibt sie weiter ihre Nachrichten an den Galeristen, während der Pariser Mann den Peugeot schweigend durch die Ardèche steuert. Er fährt sehr konzentriert, und man möchte so gern wissen, woran er denkt, wenn er mit einem flüchtigen Seitenblick auf seine Frau schaut, die ihn lieb anlächelt.

Ein weiterer Vorzug des stillen, sanften und meistens sehr ernsten Pariser Mannes ist, dass er wie viele französische Hauptstadtmänner nicht aus Paris stammt, sondern in einer der ruhigen, meistens sonnigen Provinzen aufgewachsen ist. Frauen lieben diesen kleinen, soliden Franzosen nämlich auch deshalb, weil er einmal das schöne Château mit Weinberg von seinen Eltern erben wird, die aber jetzt noch fit genug sind, die beiden Kinder dreimal im Jahr für jeweils sechs Wochen zu sich zu nehmen. Sein Vater ist wie er, nur ein wenig lauter. Er ist in den frühen Sechzigerjahren aus der Auvergne zum Studieren nach Paris gekommen, das war die Zeit, als die französischen Männer noch taillierte Anzüge trugen, ihre Zigaretten in der Hosentasche drehten und den Frauen Dinge sagten, für die sie heute ihren Job verlieren würden. Sein Sohn, der Pariser Mann von heute, trägt meistens eine schwarze Jeans und ein längs gestreiftes T-Shirt von Closed. Manchmal macht er drei, vier schnelle Züge aus der E-Zigarette und spült den Schnuller der Kleinen mit warmem Wasser ab, bevor er das Kind auf den Hochstuhl setzt.

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Es ist wunderbar für eine Frau, mit dem Pariser Mann eine Familie zu gründen. Es geht auch einigermaßen schnell. Am Anfang traf sie den Mann in einer kleinen Brasserie im 11. Arrondissement, zu einer Zeit, da die Kellner bereits viereckige Holzblöcke auf die ­Bistrotische gestellt, eine rot-weiß-karierte Tischdecke darübergelegt und Messer, Gabel und Dessertlöffel in die kleine Lasche der Papierserviette gesteckt hatten. Der Pariser arbeitete damals schon um die Ecke in einer mittelgroßen Agentur, die französische Markenprodukte in Mittelasien vertreibt. Es hätte viel darüber zu erzählen gegeben, aber der Pariser war nur ein- oder zweimal in Mittelasien und hat dort vor allem mit französischen Kollegen geredet. Wenn er gefragt wird, was ihm am meisten dort gefallen habe, sagt er: das Gefühl der Fremdheit. Die Eigentumswohnung oben in Belleville hat ihm sein Vater gekauft, das war aber schon vor knapp zehn Jahren, da hatte er gerade den Studienplatz an der Sorbonne bekommen.

Jetzt leben sie zu viert in der Wohnung, die beiden Kinder sind drei und sechs, und zumindest der Ältere bleibt so lange am Tisch sitzen, bis der Vater ihm gestattet, aufzustehen und sich ein Bilderbuch anzuschauen. Er ist ein sehr guter Vater, das hat auch seine Frau in einer WhatsApp an ihre Freundin Claire geschrieben, als die wieder einmal fragte, warum sie sich nicht endlich einmal eine elegante Affäre mit dem Algerier gönne.

Man sieht ihn oft auf dem kleinen Spielplatz im Marais, wie er seinem Sohn einmal, sagen wir zweimal einbläut, den anderen Jungen nicht mit Sand zu bewerfen. Nach der zweiten in den Wind geschlagenen Mahnung nimmt er seinen Sohn sanft, aber entschlossen bei der Hand und führt ihn vom Spielplatz. Er ist ein so wunderbarer Vater, dass seine Frau, die eine typische Pariser Frau ist, in ihrer jüngsten WhatsApp an den algerischen Galeristen schrieb, sie könne sich keinen besseren Vater für ihre Kinder an ihrer Seite vorstellen. Übrigens sei er gerade wieder auf dem Spielplatz im Marais, und sie habe jetzt eine gute Stunde Zeit für ihn, den Galeristen von der  anderen Seite der Seine.