SZ-Magazin: Herr Detsch, was ist ein Ramscher?
Bernd Detsch: Ich benutze immer gern das Bild aus Pulp Fiction: Harvey Keitel als »Cleaner« – ein Putzmann, der gerufen wird, um die blutigen Spuren eines Verbrechens zu bereinigen. Ein Ramscher kümmert sich um verunglückte Bücher, die sich aus irgendeinem Grund nicht verkaufen.
Sie meinen, Buch-Ramschen ist ein schmutziges Geschäft?
Zumindest gibt kein Verlag gern zu, dass er Bücher verbilligt in den Markt gibt. Ich wette, Sie bekommen keinen deutschen Verleger dazu, in der Öffentlichkeit über Ramsch zu reden.
Handelt ein Ramscher mit gebrauchten Büchern?
In der Regel nicht. Ramsch beschreibt im Buchhandel liebevoll den Begriff des »Modernen Antiquariats« – und nicht wie im Umgangssprachlichen wertloses Zeug. Ein Ramscher handelt mit Restauflagen, also mit verlagsfrischen Büchern, und mit »Remittenden« – das sind Bücher, die bereits den Weg in die Läden und tragischerweise zurück zum Verlag gefunden haben. Es gibt viele unterschiedliche Spezialisten im Bereich des Modernen Antiquariats. Ich hatte das Glück, mich auf die schönen Bilderbücher konzentrieren zu können, also Kunst-, Foto-, Architektur- und Designbücher.
Wer sind Ihre Abnehmer?
Kunst- und Fotobuchhandlungen, Museumsshops. Die Versandbuchhändler mögen Kunstbücher zum reduzierten Preis. Und natürlich die wenigen verbliebenen kleinen Läden für Modernes Antiquariat.
Wie kann es sein, dass Sie mit Büchern Erfolg haben, die bei anderen gefloppt sind?
Wir bieten eine Plattform – wenn Sie wollen, ein zweites Leben – für hochwertige Bücher, die im Meer der Neuerscheinungen untergingen. Der Preis spielt natürlich auch eine Rolle, aber nur wenn Bücher eine wie auch immer geartete Bedeutung haben, kann man sie erfolgreich preiswerter verkaufen.
Wie viele Ramscher gibt es in Deutschland?
Da muss man unterscheiden zwischen Einzel- und Großhandel. Ich kenne keine exakten Zahlen, schätze aber, dass es ein, zwei Dutzend in Deutschland arbeitende Grossisten sind, dazu eine Vielzahl an Einzelhändlern – als Anhängsel von Vollbuchhandlungen oder aber als ausschließliche Geschäfte für Modernes Antiquariat. Weltweit ist die Zahl der Großhändler natürlich größer, auf den drei Spezialmessen für Ramscher in London und Chicago findet man sechzig bis achtzig mit uns vergleichbare Anbieter. Die meisten sind allerdings größer und umsatzstärker als wir.
Wie groß sind Sie denn?
Ich habe acht Mitarbeiter in meiner Kölner Firma Art Book Cologne, wir haben im Schnitt nur 1200 lieferbare Titel auf Lager, rund 500 000 Exemplare – ständig wechselnd natürlich. Trotzdem recht bescheiden. Wenn wir von 5000 Büchern 4000 weiterverkaufen, ist das schon viel. Amerikanische Händler lachen über unsere Zahlen: Von einem Buch über Lady Gaga mit einer geschätzten Auflage von 200 000 sind gleich mal 120 000 im Ramsch gelandet. Wir haben 2000 Stück davon gekauft, hat im Laden mal sechzig Dollar gekostet, bei uns bekommen Sie es jetzt für 9,95 Euro. Unsere höchste Einkaufszahl lag bei 25 000 Stück: Paul Klee – ein vorzüglicher Katalog der Nationalgalerie Berlin.
Wie verträgt sich das Ramschen mit der Buchpreisbindung in Deutschland?
Nach 18 Monaten darf jeder Verlag die Preisbindung für ein Buch aufheben und es zum Ramschen freigeben, das muss man nur im Börsenblatt, dem Verbandsorgan des Börsenvereins, bekanntgeben. Bei Büchern mit begrenzter Aktualität geschieht das schon früher, zum Beispiel bei Publikationen zu einer Fußball-WM oder bei Ausstellungskatalo-gen. Wenn einer der bekannten Kunstbuchverlage wie Schirmer/Mosel oder Prestel Bildbände zum Ramschen freigibt, bieten wir etwa fünf bis zehn Prozent des ursprünglichen Ladenpreises und verkaufen diese Bücher an Buchhandlungen, Museumsshops oder Versandbuchhändler weiter, in der Regel zum Doppelten unseres Einkaufspreises. Wir empfehlen dann einen neuen Verkaufspreis, der meistens der Hälfte des ursprünglichen Ladenpreises entspricht. Unsere Spezialität ist auch, Bildbände ins Ausland zu verkaufen. Da hapert es bei vielen kleineren deutschen Verlagen.
Warum gilt Ihr Job dann als ehrenrührig?
Weil die Verlage Angst vor Autoren haben, vor Museen, vor Kuratoren und auch vor einem Imageverlust. Deswegen versprechen wir einigen deutschen Verlagen, ihre Überproduktion nur ins nichtdeutschsprachige Ausland zu verkaufen. So können die ihr Gesicht wahren und billiger verkaufen, ohne Probleme mit der Preisbindung zu bekommen, die ja nur in Deutschland Bedeutung hat. Aber der viel größere Skandal ist ja: Bücher, die nicht geramscht werden, muss man irgendwann schreddern. Darüber spricht man noch weniger gern. Ein Buchmessen-Journal hat mal einen Artikel veröffentlicht zum Thema »Was wirklich mit Büchern passiert« – mit einem Foto, auf dem ein Buch von Hans-Olaf Henkel zerschreddert wurde, dem ehemaligen Manager, der jetzt für die AfD kandidiert. Das gab richtig Ärger.
Warum zerstören Verlage lieber eine Restauflage, als mit Ihnen Geschäfte zu machen?
Ein Ladenhüter ist für alle schlecht. Die Lagerkosten sind immens. Aber bevor ihr Buch auf dem Billigmarkt landet, lassen es einige lieber heimlich verschwinden. Ich weiß von einem Picasso-Katalog, dessen Auflage von 4000 Stück vernichtet wurde. Das ist Schwachsinn. Hier hätte man vielen Kunstfreunden eine Freude bereiten können!
Es gibt Verlage, die auf Geld vom Ramscher verzichten, weil das schlecht aussehen könnte?
Die zahlen sogar drauf, denn Schreddern kostet Geld. Einige Verlage weigern sich generell, mit einem Ramscher zusammenzuarbeiten, andere geben nur bestimmte Autoren nie ins Moderne Antiquariat und zerstören das Buch stattdessen. Wobei ich zugeben muss: Wir lassen auch schreddern. Irgendwann, wenn man den Preis schon zweimal runtergesetzt hat. Einige Bücher haben so ein Schicksal durchaus verdient. Die Erinnerungen von Sarah Palins Tochter braucht kein Mensch.
Die Tochter der amerikanischen Politikerin ist doch kaum älter als Mitte zwanzig?
Hat Sex gehabt und ein Kind bekommen, das war ihr schon ein Buch wert. Der Bildband über Lady Gaga ist auch überflüssig. Hat Terry Richardson gemacht, der Skandalfotograf, der den Pornoschick mit erfunden hat, bei dem Buch hat er einfach ohne Sinn und Verstand drauflosgeknipst. Aber auch in Deutschland gibt es eine Vielzahl an Beispielen für unnütze Buchproduktion. Ich denke da an die 40 000 Exemplare eines Buches über den polnischen Papst, die in den Ramsch wanderten.
»Amazons Idee, auch der eigenen Konkurrenz eine Plattform zu geben durch den Marketplace – das war genial.«
Irren Sie sich auch schon mal und kaufen Bücher, die sich sogar verbilligt als unverkäuflich erweisen?
Ständig. Meine Trefferquote liegt bei etwa siebzig Prozent. Dreißig von hundert Büchern machen Probleme. Manchmal läuft ein Titel viel besser als erwartet, aber oft eben gar nicht. Ist auch kein Wunder, ich bin sechzig Jahre alt und mit der Kunst der Sechziger-, Siebzigerjahre sozialisiert worden. Ich denke mir: Mensch, so jemanden wie Robert Rauschenberg müssen die Leute doch mögen! Nee, viele kennen ihn nicht mal mehr.
Wie wurden Sie Ramscher?
Nach dem Wirtschaftsstudium habe ich keine Stelle gefunden, deswegen eine Buchhändlerlehre gemacht, ab 1980 war ich für Walther König für das Moderne Antiquariat zuständig. 1997 habe ich mich selbstständig gemacht.
Trotz der Krise im Buchhandel erscheinen in Deutschland 80 000 Titel im Jahr. Wandern heute mehr Bücher in den Ramsch als früher?
Ich lehne mehr ab, aber um die attraktiven Sachen wird härter gekämpft. Selten kommt ein Buch zu mir geflogen, ich muss um die Welt reisen, um es zu bekommen, klappere Museen und Verlage in Europa und den USA nach Ausstellungskatalogen ab – die verlieren schnell an Bedeutung, sobald eine Ausstellung vorbei ist. Unser Job ist es dann, die wenigen Spezialisten zu finden, die dafür Verwendung haben.
Stimmt es, dass einige Verlage Vorabsprachen über eventuelle Restposten mit einem Ramscher treffen?
Wir sprechen hier vom Putten, das ist eine einseitige Verpflichtung des Großhändlers, eine bestimmte Menge zum vorab festgelegten Preis abzunehmen. Aber nur für den Fall, dass der Verlag die Auflage nicht komplett veräußern kann. Ist eine gute und ökonomisch sinnvolle Art der Auflagenkalkulation. Mich wundert, dass nicht mehr Verleger diese Chance nutzen.
Ihre Kunden sind vor allem kleinere Buchhandlungen. Haben die mittelfristig noch eine Überlebenschance?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber ich fürchte, dass die Tendenz anhält: Die Hälfte meiner Kunden hat in den vergangenen Jahren aufgegeben. Der Buchhandel starrt wie das Kaninchen auf die Schlange Amazon. Dabei sehe ich noch genügend Chancen für einen Sortimentsbuchhändler, der weiß, dass Frau Müller Siegfried Lenz mag und ihr ähnliche Schriftsteller empfehlen kann. Das große Bücherkaufhaus mit Rolltreppe und zigtausenden Neuerscheinungen und Klassikern auf Lager, so wie die großen Marktteilnehmer Thalia, Hugendubel und so weiter, hat in Zeiten von Amazon sicher ausgedient. In den USA machen manche Verlage bereits sechzig Prozent ihres Umsatzes mit Amazon. Daher die unglaubliche Macht, und die spielen sie auch knallhart aus. Aber deren Erfolg kommt nicht von ungefähr. Allein Amazons Idee, auch der eigenen Konkurrenz eine Plattform zu geben durch den Marketplace – das war genial. Dadurch hat Amazon die größte Auswahl und die meisten Besucher.
Wie wichtig ist die deutsche Buchpreisbindung?
Drei Viertel aller Buchhandlungen würden wohl sterben, wenn die Preisbindung fiele, und Amazon wäre allein auf dem Markt. Deswegen hoffen ja so viele Verlage, dass wenigstens Weltbild als großer Einzelhändler im Netz und stationär überlebt. Andererseits wird bei der Buchpreisbindung auch viel geheuchelt: Der Begriff des »Mängelexemplars« etwa war ursprünglich gedacht für Bücher, die durch den Transport und durch den Gebrauch im Laden nicht mehr verlagsfrisch sind und daher preiswerter verkauft werden dürfen. Da wird mitunter zum Mängelexemplar gestempelt, was das Zeug hält. Da wäre eine Freigabe des Ladenpreises ehrlicher. Oder denken Sie an die Massen von Publikationen, die am Schlusstag der Frankfurter Buchmesse zum halben Preis abgegeben werden. Aber was viel spannender ist: Bücher werden ja auch teurer! Ich erwähne gern den Lebenslauf von Büchern: teuer–billig–teuer.
Für welche Bücher gilt das?
Martin Parr, der englische Fotograf und manische Sammler, hat eine Reihe von Publikationen zur Geschichte des Fotobuches herausgegeben. Alle Bücher, die in den Kanon aufgenommen wurden, erfuhren eine magische Wertsteigerung. Wir hatten allein 17 Bücher preiswert lieferbar, als der erste Band erschien. Eines lag bei uns für 9,95 Euro herum, das kostet jetzt 200 Euro. Es gab sogar Ausreißer bis zu 1000 Euro. Und mit dem Erscheinen des dritten Bandes in diesem Frühjahr geht es weiter.
Ramsch für 1000 Euro?
Ramsch heißt bei uns nicht billig, es bedeutet nur: kurzfristiges günstiges Angebot. Das kann immer noch viel Geld sein. Ein Buch für 1000 Euro hat mal 2500 Euro gekostet, meistens mit Originalgrafik, signiert oder in kleiner Auflage. Außerdem haben wir regelmäßig Werkverzeichnisse, bedeutende Monografien und Kataloge im Lager beiseite gelegt. So wie man guten Wein lagert. Der Œuvrekatalog von Kasimir Malewitsch zum Beispiel, dem russischen Maler: hochwertige Ausgabe, konkurrenzloses Referenzwerk. Bei der nächsten Ausstellung bieten wir das Buch neu an, dieses Mal zum höheren Preis. Gerade haben wir 800 Exemplare vom Werkverzeichnis von Eva Hesse gekauft, einer jung gestorbenen deutsch-amerikanischen Künstlerin, die äußerst einflussreich auf Generationen von Künstlern ist. Kostete ursprünglich 250 Dollar, wir haben zwölf, dreizehn Euro bezahlt und verkaufen es für unter fünfzig Euro. Wir bunkern aber auch dreißig Stück. Dieses Buch wird Bestand haben, Nachdrucken wäre viel zu teuer. Deswegen spekulieren auch immer mehr Leute mit Büchern, Sammler wie Buchhändler.
Was ist das größte Problem des deutschen Buchmarkts?
Die Überproduktion an dummen Büchern macht uns zu schaffen. Ich nenne es Kuratoren-Kacke. Meine Wut auf viele der subventionierten Bücher ist unbegrenzt. Ich glaube nicht an Kunstförderung mit der Gießkanne. Drittklassige Kataloge von viertklassigen Künstlern, die keinen interessieren und den Markt verstopfen. Jeder Künstler oder Fotograf hängt an der Idee, sein eigenes Buch herauszubringen. Wenn er keine öffentlichen Gelder dafür findet, bezahlt er im Zweifel selbst hohe Beträge an einen Verlag für den Druck. Problematisch sind auch Firmen, die zum Jubiläum ein Buch herausbringen, das über die eng mit diesen Unternehmen verbundenen Menschen hinaus keinen Nutzen hat. Wer soll die kaufen?
Welche Bücher gehen immer?
Über Literatur und allgemeines Sachbuch können Kollegen viel besser urteilen. Mir begegnet da immer wieder das Buch zum Film zum Buch zum Film. Oder sogar zur Fernsehsendung. Kochbücher scheinen zu funktionieren. Immer gut sind bekannte Namen. Bei uns gehen anspruchsvolle Fotobücher vor allem gut, wenn sie in englischer Sprache sind – unser Markt ist die Welt.
Wie sehen Sie die Zukunft des gedruckten Buches?
Haptik und vielseitige Nutzbarkeit sprechen für das Papierbuch. Aber auch das elektronische hat seine Berechtigung: ressourcenschonend, schnell und vielseitig nutzbar. Literatur für den Urlaub, im Flugzeug – das geht gut digital. Ich glaube aber an die weitere Existenz des qualitätvoll hergestellten Kunst- und Fotobuches. Möglicherweise ergeht es den Büchern wie der Schallplatte. Sammler werden das irgendwann wieder sehr interessant finden und sagen: Guck mal, das kannst du auch ganz ohne Strom lesen, unglaublich!
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Fotos: Thomas Rabsch