"Ich wollte den West-Bubis imponieren"

Eigentlich wollte Wolfgang Joop Medizin studieren. Oder Werbepsychologe werden. Zum Glück hat er seine Meinung dann doch geändert.

Wenn ich ein Kleid von Ossie Clark sehe, erinnere ich mich sofort daran, wie ich 1967 meine Frau Karin kennenlernte. Sie trug dieses lange schwarze Kleid mit langen Ärmeln und einem unglaublich gewagten Dekolleté. Sie studierte Kunst und Mode in Braunschweig und ich wurde so etwas wie ihre Anziehpuppe. Meine Idole hießen Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent. Ich sah aus wie sein Double. Schweres Blondhaar, schulterlang, und eine Figur wie Bill von Tokio Hotel. Wir trugen damals vor allem secondhand und je preiswerter die Sachen waren, desto wilder wurden sie kombiniert.

Wir führten uns aber auch sehr selbstgefällig auf in unserem ästhetischen Empfinden, das kam in der Kunstszene und bei den Professoren damals nicht gut an. Da musste ja noch die letzte Mütze politisch motiviert sein. Wir waren einfach zu hübsch. Ohne meine Frau hätte es den Modedesigner Wolfgang Joop nie gegeben. Ich wollte Medizin studieren und nerve noch heute alle mit meinem medizinischen Halbwissen, aber mein Notendurchschnitt war zu schlecht. Also schrieb ich mich für Werbepsychologie ein. Nachdem man mir sagte, ich müsse jetzt die nächsten drei Jahre Statistiken errechnen, ging ich nach einem Tag wieder. Kunst wäre auch eine Option gewesen, doch mein Vater hat schon früh mit allen Mitteln versucht, mir diese Ambitionen auszutreiben. Um Geld zu verdienen, restaurierte ich Ahnenporträts, meist von Adeligen. Dann überzeugte Karin mich 1970, bei diesem Modewettbewerb der Zeitschrift Constanze mitzumachen, wo wir mit unseren Zeichnungen die ersten drei Plätze belegten. Es folgten drei Jahre Schnittmusterentwerfen bei einem Schnittmusterheft in Hamburg.

Endgültig akzeptiert, Modedesigner zu sein, habe ich erst, als ich 1982 die erste Kollektion für Joop! entwarf. Die Nachkriegszeit in Potsdam und wie sich die Menschen damals anzogen, hat mich sehr geprägt. Manche trugen den Zwanzigerjahre-Chic noch, weil sie kein Geld hatten, sich etwas Neues zu kaufen. Ich sah Frauen mit Pagenschnitten wie einst Louise Brooks. Sie kombinierten Wollstrümpfe mit geblümten Sommerkleidern, darüber einen Anorak. Das hatte für mich so viel Stil, weil das ja keinem Modebewusstsein entsprang, sondern aus reiner Not geboren war.

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Dann zogen wir nach Braunschweig in eine karge Neubauwelt. Ich wollte den West-Bubis imponieren und führte mich auf wie ein arroganter Landbengel. Trug alte Cordhosen von meinem Großvater, der Landwirt war, mehrfach geflickte Strickjacken und Holzschuhe. Weil ich aber groß war und schlank, sah ich darin nicht aus wie Helmut Kohl, sondern cool. Wie ein Model. Was nicht gerade zur Integration beitrug.

Mein Vater wollte einen preußisch funktionierenden Jungen aus mir machen. Ich aber habe immer nur gezeichnet. Es gab ja nichts anderes für mich. Ich hatte keine Geschwister und musste irgendwie mit dem Alleinsein zurechtkommen. Ich flüchtete damals oft in Fantasien von wundervollen Familien, wo die Eltern sich lieben und nicht streiten. Ich habe schon darunter gelitten, dass ich offenbar nicht fähig war, mich zu integrieren. Dass ich immer gerade das nicht konnte, was ich können sollte.

Es hieß, ich sei ein Wunderkind. Aber dieses Wunder isoliert eben auch. Dieser Begriff bedeutet ja beides: Man kann wunderbar sein oder etwas wunderlich. In jedem Fall nicht so wie die anderen. Dass ich heute so bin, wie ich bin, habe ich ganz eindeutig mehr den Frauen als den Männern zu verdanken. Ich habe zur richtigen Zeit die richtige Frau getroffen, mit ihr zwei Töchter gezeugt und bin heute mehrfacher Großvater. Und meine Mutter lebt auch noch. Das gibt mir das Gefühl, Teil eines Clans zu sein, wonach ich mich immer gesehnt habe. Das Schicksal einer Familie ist vielen meiner Kollegen ja leider verwehrt geblieben.

Seit ich nicht mehr mit Frauen zusammen bin, fällt mir auf, dass ich mir nur Männer aussuche, die auch die feminine Seite in sich existieren lassen. Angestrengtes Machotum finde ich wahnsinnig unsexy. Meine Männer waren immer die, die auch den Frauen gefielen. Wenn ich mich in der Öffentlichkeit sehe, im Fernsehen, in Magazinen, erkenne ich den Versuch, eine Pose, eine Haltung einzunehmen, die ich eigentlich überholt finde. Aber ich behalte sie bei, weil sie funktioniert, weil Leute wie mich offenbar eine gewisse Star-Aura umgeben muss. Das stimmt mich zuweilen melancholisch.

Auf der anderen Seite bin ich jetzt, in der Summe meiner Jahre, ein sehr zufriedener Mensch. Ich habe so vieles versuchen dürfen und so vieles ist mir auch gelungen. Und das, obwohl ich im Gro-ßen und Ganzen nicht der Regisseur meines Schicksals gewesen bin.

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Wolfgang Joop, 65, gehört zu den wenigen international erfolgreichen deutschen Modedesignern. 1999 gründete er das Modelabel Wunderkind, 2001 schied er endgültig bei der Firma Joop aus.

Joachim Baldauf (Foto)