Ich weiß noch genau, wann ich weiße Turnschuhe zum ersten Mal schön fand. Ich war eines Abends bei einer Lesung. Sah zufällig in Richtung der Füße einer Freundin. Und dachte mir: »Hmm, irgendwie gut, so knöchelfreie Jeans mit weißen Turnschuhen.« Ein Gedanke, den fast alle jungen bis mittelalten Menschen in Großstädten irgendwann mal hatten.
Allerdings zwei bis sechs Jahre vor mir.
Es gibt wohl kaum einen längeren Weg als denjenigen, den ein Trend von einem Laufsteg bis zu meinem Kleiderschrank zurücklegen muss. Denn ich denke über jede modische Neuerung erst einmal sehr lange, dass sie mir niemals gefallen wird. Dann vergehen ein paar Jahre, und ich gewöhne mich an den Anblick. Fange an, etwas unsicher in Läden und Onlineshops zu stöbern. Und kaufe mir ein paar weitere Monate später schließlich ein Teil, das quasi schon antik ist.
Vor einigen Jahren las ich zum ersten Mal von einer Farbe, Millenial Pink, einem blassen Rosa, das auf einmal sehr beliebt war. Ich wunderte mich, dass jemand diese Farbe tragen wollen würde. Bis ich viele Monate später in einem Laden stand und einen Cardigan in genau diesem Farbton bezahlte. Er war natürlich stark reduziert.
Oder bauchfreie T-Shirts. In meiner frühen Jugend trug ich zwar mal Sachen, die einen Streifen Haut über der Hose freiließen, aber da hatte ich einfach im Skater-Laden nach Produkten meiner Lieblingsmarke gegriffen, ohne mich damit weiter zu befassen. Als ich dann erwachsen wurde, lernte ich nicht nur viele Dinge über das Leben (fast alles schmeckt besser, wenn man einen Schuss Essig dazuschüttet; man kann Menschen kaum eine größere Freude machen, als wenn man ihnen richtig zuhört; wann immer man in einem Städteurlaub die Chance hat, aufs Klo zu gehen, sollte man diese nutzen), sondern schwor mir auch, meine Körpermitte immer bequem einzupacken und nie bauchfrei herumzulaufen. Zunächst hielt ich mein Versprechen und ignorierte die »Crop Tops« in den Läden. Bis im vergangenen Sommer mein Widerstand in sich zusammenfiel. Ich spazierte gut gelaunt in einem bauchfreien Oberteil durch Rom.
»Mode ist so unerträglich hässlich, dass wir sie alle Halbjahre ändern müssen«, schrieb Oscar Wilde einmal. Aber ich glaube, das ist nicht mein Problem. Es fühlt sich eher so an, als wäre mein Geschmack zu klebrig, um sich Änderungen anzupassen. Weil ich mich einmal an knielange Röcke und Skinny-Jeans gewöhnt habe, fällt mir das mit dem Midi-Schnitt und den ausgebeulten Jeansbeinen eben schwer. Aber warum lehne ich neue Dinge immer erst einmal ab? Im Marketing gibt es die Sieben-Kontakte-Regel: Ein Kunde, eine Kundin muss ein Produkt mindestens sieben Mal wahrgenommen haben, bevor er oder sie es besitzen möchte. Beimir muss der Wert zwischen 500 und 1000 liegen.
Nur weil ich deutlich später dran bin, glaube ich allerdings nicht, dass man daraus ableiten könnte, Mode interessiere mich nicht. Mode und ich führen eine paradoxe Beziehung: Sie beschäftigt mich zu viel und doch zu wenig. Sie ist mir zu wichtig, als dass es mir egal sein könnte, wie ich herumlaufe, ich will sie als stützendes Gerüst, möchte wissen, dass mein Geschmack immerhin dem kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks ähnlich ist. Gleichzeitig ist sie mir doch zu egal, um mich früh damit auseinanderzusetzen, was gerade getragen wird – und mich im Zweifelsfall für den neuen Trend und gegen meinen Geschmack zu entscheiden.
Sich auf irgendeine Weise zur Mode zu verhalten, selbst wenn es Ablehnung ist, scheint unausweichlich. Im Film Der Teufel trägt Prada erklärt Meryl Streep als Chefredakteurin einer großen Modezeitschrift ihrer Assistentin, dass niemand sich der Mode entziehen kann. Selbst das Blau eines eigentlich gewöhnlichen Pullovers wurde von Designern und Menschen wie ihr ausgewählt, bevor der Farbton irgendwann auf den Wühltischen im Kaufhaus landete.
Auch wenn das als Beleidigung gemeint sein mag, erklärt die Chefredakteurin damit den Vorteil meiner Trägheit: Bis ich etwas mag, hängt es wirklich in jedem Geschäft. Als ich Jahre nach allen anderen Menschen die weißen Turnschuhe für mich entdeckte, war ich von der Auswahl sogar überfordert. Am Ende kaufte ich Schuhe der Firma, die der ziemlich modisch wirkende Praktikant empfahl. Er wird es schon wissen, dachte ich, im Gegensatz zu mir.