Das Geschäft mit dem Altholz

Altholz ist zum gefragten Werkstoff vieler Designer und Architekten geworden. Unterwegs mit einem Händler, der verwitterte Bretter birgt – und aufpassen muss, dass sie ihm nicht auf den Kopf stürzen.

Krachender Erfolg: Sparren für Sparren zerpflückt Florian Eckart (hinten rechts) den Dachstuhl im oberfränkischen Fesselsdorf.

Breitbeinig steht Florian Eckart auf dem Fahrerhaus seines Vierzigtonners. Shorts, dunkle Sonnenbrille, Käppi. Sein Blick ist auf den Dachstuhl einer dreißig Meter langen Scheune gerichtet. Die Joysticks an der Fernsteuerung des Autokrans liegen in Eckarts Händen, und der Greifer zerrt derart am alten Gebälk, dass der ganze Laster wackelt.

Dann zerreißt ein Quietschen die Luft im fränkischen Weiler Fesselsdorf. Die hundert Jahre alten Balken des Stadels knarren, knacken und wimmern, als wollten sie sich gegen den Abriss wehren. Zum Glück für Eckart sind sie nicht verschraubt, sondern verzapft, wie damals üblich. Dennoch ist es nötig, an genau der richtigen Stelle zu ziehen, mit genau der richtigen Kraft. »Wenn du kein Gefühl für den Kran und das Material hast«, sagt Eckart, »kann es gefährlich werden.« Peitscheneffekt heißt es, wenn ein Balken, der unter Spannung steht, plötzlich nachgibt und mit voller Wucht in die Gegenrichtung ausschlägt. Einmal hat Eckart auf diese Weise eine Mauer zum Einsturz ­gebracht, die dann auf seinen Lastwagen krachte. »Da war dann nicht nur der ­Kot­flügel hin.« Aber lange her, heute zerpflückt er seine Dachstühle mit routinierter Präzision.

Nicht aus Wäldern gewinnt der 35-jährige Holzhändler seinen Rohstoff, sondern aus alten Scheunen, Höfen und Häusern. Verwittertes Vintage-Holz ist derzeit gefragt. Es zu bergen ist eine Nische, die nur wenige Handwerker in Deutschland so gut beherrschen wie dieser gelernte Schreinermeister aus Bad Feilnbach im Landkreis Rosenheim. Weit über hundert Gebäude haben Florian Eckart und seine fünf Angestellten bereits abgerissen, darunter ein Pfarrhaus, eine Mühle und eine alte Schule. Am häufigsten trägt er jedoch alte Stadel ab, so wie jetzt in Fesselsdorf.

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Aus dem Dachstuhl einer solchen Scheune kann Eckart tonnenweise Holz gewinnen, einen ganzen Sattelschlepper voll. Auch nach Abzug des verfaulten, von Würmern und Insekten zerfressenen oder von Schrauben durchlöcherten Materials bleibt genug übrig: Hunderte von wettergebleichten Brettern, Dutzende von handgehauenen Balken. »Schau dir diese perfekte Ausnarbung an«, sagt er und deutet auf die dunkelbraunen Latten an der Südseite des Gebäudes. »Was meinst, wie cool das nach dem Bürsteln wird!«

Sparren für Sparren wird das Gerippe abgetragen. Dachziegel prasseln zu Boden, Staubwolken steigen auf. Unten filetieren Eckarts Angestellte das Holz auf verschiedene Stapel. Noch zwei, drei Stunden, dann sind sie fertig. Fast die Hälfte des Holzes ist für Eckart nicht zu gebrauchen. So wie normales Bauholz, das bei Abrissarbeiten anfällt, landet es im Schredder, um zu Pellets oder Spanplatten verarbeitet zu werden. Den Rest laden Eckart und seine Arbeiter sorgfältig auf ihren Sattelschlepper. Einige Dachsparren ragen weit über den Hänger hinaus.

Der »Kuhfuß« (im Bild links), auch »Goaßhaxn« genannt, und der Holzhaken »Sapie« (rechts) sind die wichtigsten Werkzeuge von Florian Eckart und seinen Mitarbeitern.

Je nach Zustand und Baumart kostet Vintage-Holz mindestens das Doppelte von neuwertigem Bauholz. Oft sogar weit mehr. Fichte, Kiefer und Tanne machen etwa achtzig Prozent von Eckarts Ausbeute aus. »Besondere Juwelen«, wie er sagt, sind Gebäude aus Eiche, einem Holz, das mehrere Tausend Euro pro Kubikmeter einbringen kann. In der Nähe von Limburg an der Lahn hat Eckart mal eine Eichenscheune in perfektem Zustand abgerissen. »Das ist, wie wenn du einen herrlichen Oldtimer findest, der nur wenige Kilometer gefahren wurde.«

Vor dem Weiterverkauf muss das Holz aufgearbeitet werden. »Wir suchen es mit Metalldetektoren nach Nägeln und Schrauben ab und entnageln es«, sagt Eckart. Dann kommt es in die Trockenkammer. »Das überlebt kein Holzwurm und keine Larve.« Als Nächstes werden die alten Balken, die ursprünglich in Baumform von unten nach oben konisch zuliefen, so gesägt, dass ein gerader Balken entsteht – »sonst können sie heute gar nicht mehr verbaut werden«. Anschließend werden die Bretter von einer Maschine gebürstet, die Balken mangels geeigneter Maschine von Hand. Erst wenn der Schmutz entfernt ist, kommt die Holzstruktur richtig zur Geltung. Entscheidend ist, das Holz bloß nicht nachzubehandeln. »Kein Öl, kein Wachs und schon gar kein Lack«, sagt Eckart. »Die Oberfläche soll bleiben, wie sie von Wind, Wetter und dem Alterungsprozess gezeichnet wurde.«

Als Angestellter eines Schreiners hat Eckart beobachtet, wie vor einigen Jahren der Trend zum Vintage-Holz aufkam: Josef Eham, ein Altholz-Pionier vom Tegernsee, hatte früh erkannt, was anspruchsvolle Kunden wünschen, nämlich eine Mischung aus bayerischer Tradition und Luxus. Es begann mit Einzelstücken, in den vergangenen Jahren hat sich die naturbelassene Optik und Haptik auf dem Designmarkt immer stärker durchgesetzt. Plötzlich konnte es gar nicht rau genug sein. 2010 brachte die deutsche Firma Janua den Tisch »BB11 Clamp« auf

In Schweizer ­Skiorten werden sogar Super­märkte mit Altholz ausgestattet

den Markt. Die Altholzbretter der Tischplatte werden mit einer Stahlklammer zusammengehalten. Der Tisch wurde zum Verkaufserfolg, inzwischen verwenden viele Designer Altholz für Tische, Schemel und andere Möbelstücke. Aber auch ganze Geschäfte, Cafés und Büros werden mit dem Retro-Material verkleidet. Ein Großteil des Altholzes kommt beim Bau von Villen, Chalets, Luxushotels oder gehobenen Restaurants zum Einsatz. In Schweizer Ski-Orten wie Verbier werden sogar Supermärkte mit Altholz ausgestattet. Je schnell­lebiger die Zeiten, desto praktischer ist es offenbar, wenn die Patina gleich mitgeliefert wird.

Er sei ja selbst auf einem alten Bauernhof groß geworden, erzählt Florian Eckart. »Ich habe vom Vater und Opa immer wieder gehört, was für eine Handwerkskunst in so einem Gebäude steckt.« Ehe elektrisch betriebene Sägemühlen der Standard wurden, war allein das Herstellen der Balken eine aufwendige Angelegenheit. In Zimmermannssprache beschreibt Eckart, wie Baumstämme vor dem Behauen mit roten Linien markiert wurden: »Die Zimmerleute haben mit Schlagschnüren einen Riss auf den Stamm gezupft und ihn dann mit Bund- und Breitäxten entlang dieser Markierung behauen«, sagt er bewundernd. »Alles per Hand.«

Deshalb sei jeder Balken von damals ein Unikat. Gezeichnet von Axt­klingen, Gebrauchsspuren und Rissen. »Das mögen die Hipster in den Städten«, sagt Eckart, »aber auch die traditionsverbundenen Menschen auf dem Land.« Eckart verkauft sein Holz in der Regel an Schreiner und Architekten, nicht an Endkunden, weiß aber, dass seine Ware auch schon bei Bayern-­Spielern und Unternehmern gelandet ist.

Spätes Erwachen

Wie Altholz neu errichtete Häuser veredelt

Was mal eine normale Wand war, ist jetzt ein Unikat: dank alter Bretter mit ungewöhnlicher Maserung.

Der Innenarchitekt Florian Merz gehört zu den vielen Designern und Architekten, die gern …

… Florian Eckarts Vintage-Holz verwenden, hier in einem Privathaus in Kiefersfelden.

Fotos: Florian Merz

Nicht jeder findet den Siegeszug des Altholzes erfreulich. »Neorustikale Scheußlichkeiten«, urteilt Hermann Kaufmann, Architekt und Professor für Holzbau an der Technischen Universität München. Kaufmann, dessen Bauten in Vorarlberg seit den Neunzigerjahren stilprägend für die zeitgenössische Holzarchitektur waren, findet, dass »die auf alt getrimmten Häuser Landschaftsverbundenheit und Pseudogemütlichkeit« lediglich vorgaukeln. Besonders neureiche Kreise seien für so etwas anfällig. »Eigentlich ist das nur Kulisse. Vollkommen abzulehnen.«

Florian Eckart kennt solche Vorwürfe: »Manches ist wirklich komplett kitschig«, sagt er. Mit »Jodelschnitzerei« könne er wenig anfangen. »Aber dafür kann das Holz nichts.« Es gebe ja viele schöne Gebäude und tolle Möbel aus Altholz. Und ein Teil seiner Ware lande in denkmalgeschützten Gebäuden, die nur mit altem Material restauriert werden dürfen. Das kostbare Holz zu bergen sieht er deshalb als legitime und wichtige Aufgabe an. Die alten Stadel würden ja nicht wegen des Altholz-Booms verschwinden. »Viele kommen nach wie vor einfach in den Schredder, weil die Eigentümer sie schnell loswerden wollen.« Für alte Landwirtschaftsgebäude gebe es oft keine Verwendung mehr – wenn der Traktor nicht hineinpasst und der Lastenaufzug noch über eine Seilwinde funktioniert. »Da lohnt es sich dann auch nicht, das Dach neu zu machen.«

Oft wird die Landwirtschaft auch ganz aufgegeben, so wie hier in Fesselsdorf. »Als Kind hab ich viel im Stadel gespielt«, sagt Julia Leykam, die Eigentümerin des Hofes. Aber ihr Vater habe den Betrieb eingestellt und das Vieh verkauft. »Wir sind froh, dass das Holz noch Verwendung findet.« Geld fließt bei diesem Geschäft in Fesselsdorf übrigens nicht. Eckart übernimmt den Abriss und darf im Gegenzug das brauchbare Holz behalten.

Rund zwanzig Kubikmeter Altholz bergen die ­Männer in Fesselsdorf, einen ganzen Sattelschlepper voll.

An der Form der Balken ist deutlich zu erkennen, dass sie nicht gesägt, sondern von Hand behauen wurden.

In Eckarts Büro in Bad Feilnbach hängt eine Karte von Süddeutschland, auf der alle Holzhäuser, die er im Blick hat, mit Stecknadeln markiert sind. Laufend werden ihm Gebäude angeboten, 230 waren es im vergangenen Jahr, 48 davon hat er abgerissen. Teils kontaktieren ihn die Besitzer alter Stadel und Häuser aufgrund von Suchanzeigen, viel läuft inzwischen aber auch über Mundpropaganda in den Regionen, wo er bereits tätig ist. Einmal im Monat fährt er los und schaut sich Gebäude an. Ein bisschen sei es wie auf der Pirsch, erzählt er und zeigt Handy-Bilder von riesigen Tennen und mächtigen Gutshäusern mit Eichenböden. Und immer wieder von alten Scheunen. »Nur im Alpenraum hängt man zum Glück so sehr an ihnen, dass einiges als Brauchtum stehen bleiben wird.«

Noch zehn bis 15 Jahre lang wird Eckart alte Scheunen abreißen können, schätzt er. Dann dürften die meisten verschwunden sein.