Wenn Sie herausfinden möchten, wie es um die Technik-Affinität in Ihrem Büro steht, empfiehlt sich folgender kleiner Test: Fragen Sie mal bei den Kollegen nach, ob man Ihnen ein iPhone-Ladekabel leiht, aber nicht das aktuelle, schmale, genannt »Lightning«, sondern so ein altes, ganz breites, die erste Generation der Apple-Ladekabel. Ich hatte vor ein paar Tagen das Vergnügen. Die Reaktionen reichten von erstaunt (»So ein altes Teil hast du?«) über mitleidig (»Ist dein richtiges Handy etwa kaputt?«) bis zu zwanghaft witzig (»Ein Nokia hätt ich noch irgendwo...«), doch niemand hatte mehr ein 10 Jahre altes Ladekabel herumliegen. Ich habe dann eines im Netz bestellt. Gebraucht, versteht sich.
Vermutlich erhält man in einer hippen Werbe-Agentur ein anderes Ergebnis als in einer traditionellen Tischler-Werkstatt, aber überall wird man sehen können, wie großartig die Obsoleszenz-Strategien der Technik-Hersteller funktionieren. Besonders die von Apple: Als wäre es nicht genug, dass von einem Modell auf das andere der Ladekabel-Anschluss geändert wird, man kriegt auf den alten Handys auch Probleme mit dem Betriebssystem, moderne Apps laufen nicht mehr, die maximale Akkulaufzeit wird täglich kürzer, sie schalten sich immer mal wieder spontan aus, irgendwann kann man sie überhaupt nur noch nutzen, während sie gerade am Strom hängen. Natürlich nur, falls man noch einen Stecker auftreibt.
Umso erstaunlicher, dass an der Spitze der europäischen Politik ganz offensichtlich andere Regeln gelten. Gestern abend twitterte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Foto aus ihrem Büro, als Illustration eines Telefongesprächs mit Donald Trump. Das Bild sieht aus wie ein Schnappschuss, man kann wenig Inszenierung erkennen: Die Regale sind halb leer, hinter ihr liegt mäßig dekorativ ein Schal, und im spiegelnden Glas erkennt man noch den Mitarbeiter, der gerade das Foto macht. Spott gab es aber bei Twitter wegen eines anderen Details: Neben ihr liegt ein iPhone 4S. Genau, die mit den alten Steckern.
Wieso nutzt die oberste Politikerin der EU ein derart veraltetes Gerät mit einem Betriebssystem, dessen Sicherheitslücken bald nicht mehr geschlossen werden? Schreibt sie damit unverschlüsselte Nachrichten? Ist das nicht ein Sicherheitsrisiko? Schickt sie auch manchmal per Rohrpost ein paar Dokumente nach Straßburg, Berlin oder Paris? Ist es gar ein bewusst gesetztes Zeichen - gegen den Technikwahn?
Nichts davon, heißt es aus ihrem Büro. Ein Sprecher erklärt: Das iPhone 4S, das auf dem Bild zu sehen ist, sei seit jeher ihr Privathandy, Ursula von der Leyen nutze es vor allem, um mit ihrer Familie in Kontakt zu treten, dafür seien keine besonders modernen Apps notwendig. Angesteckt sei es übrigens deswegen, weil es eben nur mehr läuft, wenn es am Strom hängt - der Akku, man kenne das ja bestimmt. Und wie man das kennt!
Ob bewusst oder nicht: Ursula von der Leyen setzt mit diesem alten Ziegel zur konsumintensivsten Zeit ein ganz kleines Zeichen. Während sie als Politikerin auf die modernste Technik angewiesen ist, sagt sie als Privatperson mit ihrem Foto: Ihr könnt mich mal mit eurer Obsoleszenz, das Ding hier reicht mir, und zwar schon seit 2011. Nach Technik-Maßstäben ist das so etwas wie die graue Vorzeit. Außerdem wissen die mehr als 30.000 Mitarbeiter der Europäischen Kommission jetzt, wen sie fragen können, wenn sie mal ein Ladekabel brauchen, so ein altes, ganz breites.