Edinburgh

Beim ersten Mal hatte die Freundin einen Neuen und die ganze Stadt bestand aus Schmerz. Beim zweiten Mal half ein Kerl namens Johnnie Walker über den alten Liebeskummer hinweg.

Johnnie Walker ist noch nüchtern. Er steht im Abbotsford Pub an der Bar und bestellt sein erstes Cask Ale. Über seinem Kilt wölbt sich der gewaltige Bauch wie ein keltischer Kelch. Tagsüber spielt er vor dem Denkmal des Edinburgher Stadtpatrons Walter Scott Dudelsack für Touristen. Johnnie, der wirklich so heißt und nichts mit dem gleichnamigen Whisky gemein hat, will mir heute Abend etwas über seine Heimat erzählen; etwas, das man nicht in den Reiseführern liest.

Mein erster Besuch in Edinburgh dauerte nicht einmal 24 Stunden. Davon weiß Johnnie noch nichts. Ich wollte damals meine Freundin Antonia überraschen, die in Edinburgh studierte. Als ich aber feststellen musste, dass sie einen neuen Freund hatte, nahm ich die erste Maschine zurück nach Deutschland. Dazwischen lag eine Nacht, in der ich verloren durch die Straßen strich wie ein Obdachloser – vorbei an Plakaten, die Gruseltouren über Friedhöfe anboten, oder Schaufensterläden, die handgefertigte Kilts anpriesen. Aus den Fenstern der Häuser schimmerte es goldbraun und in meiner Vorstellung saß jeder Edinburgher gerade mit seiner Freundin auf der Wohnzimmercouch und glotzte gemütlich in den Fernseher, während ich mich unter einem Baugerüst vor dem prasselnden Regen schützte. Vor mir ragte die grell angeleuchtete Burg in die Höhe wie ein Monument meiner gescheiterten Erwartungen. Antonia hatte mich aus ihrem Leben ausgesperrt. Aber statt sie zu verteufeln, projizierte ich meine Gefühle auf diese Stadt und ihre Bürger. Seitdem hasste ich Edinburgh.

Johnnie ist meine letzte Chance, Edinburghs letzte Chance. Bevor ich mich mit ihm im Abbotsford traf, wollte ich die Erinnerungen an meinen ersten Besuch tilgen: Ich habe mir die Burg angesehen und satte 30 Euro Eintritt bezahlt. Ich war bei Geoffrey Kiltmakers, dem Schneider, der angeblich auch die Kilts für Sir Sean Connery und andere Sirs zusammennäht, habe aber nichts Passendes gefunden. Ich bin durch die Straßen und Gässchen der Old Town gewandert. Aber überall dachte ich an Antonia. Es war wie verhext. In einem Lädchen mit Ritterrüstungen an der Wand wollte ich sogar meinen Nachnamen in eine Datenbank eintippen lassen, in der Hoffnung, einem traditionsreichen schottischen Familienbaum zu entstammen. Als ich dem jungen Mann aber S-T-E-F-A-N-I-D-I-S in den Computer buchstabierte, brach er den Versuch schon beim ersten i ab. »Keine Chance«, sagte er, »da lässt sich überhaupt kein Bezug herstellen.« Irgendwie hatte ich damit gerechnet. Zwischen mir und Antonia alias Edinburgh, dachte ich, wird es nie Frieden geben.

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Johnnie blies heute auf Wunsch immer wieder die Soundtracks zu den Filmen Braveheart und Highlander, zwei meiner Lieblingsfilme. Er ist ein echter Edinburgher, der einst in London, Manchester und Liverpool sein Glück suchte. Neben uns steht Johnnies Freund David Lesault, ein IT-Spezialist, der spätabends die »Haunted Graveyard Tour« leitet: ein Spaziergang über dunkle Fried-höfe, dessen krönenden Abschluss regelmäßig in Ohnmacht fallende Touristen bilden, weil sie angeblich die Berührung des »MacKenzie-Poltergeists« spüren. David sagt, dass diese Berührungen echt seien. Er und seine Kollegen – alles Menschen mit regulärem Tagesjob, aber dem abendlichen Verlangen nach Grusel – haben einen internen Wettbewerb laufen, wer während einer Saison zwischen März und Oktober die meisten bewusstlosen Touristen in der Tour verzeichnet. Zurzeit, sagt David, liege er auf dem dritten Rang – mit sechs Ohnmächtigen. Vorn liege sein Freund Mi-ckey: zwölf Ohnmächtige. Und die Saison steht erst am Anfang.

Ich habe am Vorabend Davids Tour mitgemacht. Und gebe zu: Ich habe das eine oder andere Mal meinen Schatten verdammt. Auch habe ich damit gerechnet, dass es die eine oder andere Touristin umhaut. Aber dann hat es einen Franzosen getroffen, der sich im Dunkeln den Kopf an einem Torbogen so hart angestoßen hat, dass ein Krankenwagen kam und David die Tour abbrechen musste. David lacht, als ich ihn daran erinnere, »ja, das hat mir den Schnitt ordentlich versaut«.

Beim siebten Bier fragen mich Johnnie und David, warum mir ihre Stadt nicht gefällt. Und ich erzähle ihnen von Antonia. Wie ich sie hier vor dem Abbotsford knutschend mit einem anderen Typen sah. Wie ich aus Frust in diesem Pub eine kleine Schlägerei provozierte und von jungen Schotten – zu Recht – aufs Maul bekam. Wie ich mir schwor, nie wieder in diese Stadt zu kommen, weil sie all diese hässlichen Erinnerungen weckt.

Johnnie lächelt mich an und bestellt eine Flasche Johnnie. »Komm, Junge, das müssen wir ordentlich begießen!« Von diesem Moment an habe ich nur noch vage Erinnerungen an den weiteren Verlauf der Nacht. Wir haben wohl noch eine zweite Flasche getrunken. Im Sommer, erzählte Johnnie, geht er mit David und anderen Freunden abends spazieren. Meist laufen sie mit Taschenlampen auf Trampelpfaden hoch zum Arthur’s Seat, einem 251 Meter hohen ehemaligen Vulkan, und blicken beim Picknick über das Häusermeer bis hinunter zum Hafen. »Edinburghs schönster Ort«, sagte Johnnie. Irgendwann muss er in der Nacht auch seinen Dudelsack ausgepackt haben und wir haben mit ein paar italienischen Touristinnen getanzt. Aber die Erinnerung daran ist verschleiert.

Als ich am nächsten Morgen mit Kopfweh in meinem Hotelzimmer erwache, blicke ich aus dem Fenster direkt auf das Denkmal von Walter Scott hinab, vor dem ein Dudelsackspieler japanischen Touristinnen zuwinkt. Nach einer heißen Dusche schreite ich mit einer leichten Verbeugung am dudelnden Johnnie vorbei und setze mich in Hörweite auf eine der Parkbänke in East Princes Street Gardens. Da fällt mir auf, dass die Bank eine Signatur hat: »Presented by Mrs. Connie Guha in loving memory of my husband Biren Guha, born in New Delhi, India, and died 30th January 1981 in Edinburgh, the city he loved. May all who sit here are content and happy.« Ich finde auf jeder Bank ähnliche Inschriften. Die Sonne scheint. Johnnie spielt Braveheart. Heute Abend wollen wir mit David zum Vulkan laufen. Und mit einem Mal fühle ich mich in dieser Stadt wie zu Hause.

ANREISE Von München mit British Airways ab 300 Euro.

HOTEL The Balmoral Hotel wurde 2004 von verschiedenen Fachmagazinen zum besten Hotel Großbritanniens gekürt. 1 Princes Street, www.thebalmoralhotel.com, Tel. 0044/131/556 24 14, DZ ab 475 Euro. Das Castle Guest House, ein georgianisches Stadthaus, liegt im edlen Wohnviertel der New Town. 38 Castle Street, Tel. 0044/131/225 19 75, DZ ab 60 Euro.

SEHENSWÜRDIGKEITEN In der »Hauptstadt der Toten« werden viele Gruseltouren durch die Gassen der Old Town angeboten; zu den besten gehört die Haunted Grave-yard Tour, Tel. 0044/131/225-90 44. www.blackhart.uk.com.

RESTAURANTS/BARS Im viktorianischen Bilderbuch-Pub The Abbotsford gibt es neben fassfrischem Ale gute schottische Steak-Pastete und Brot-und-Butter-Pudding; 3 Rose Street, Tel. 0044/131/225 52 76.