Hilfe! Die Malediven gehen unter!

Je weiter die Erderwärmung voranschreitet, umso größer wird die Gefahr. Es wird also Zeit zu handeln. Ein Plädoyer.

Hier auf den Malediven ist leicht zu erkennen, wieso die Klimadiskussion nicht auf den Punkt kommt – und warum sich die Verhandlungsführer vor der großen Klimakonferenz in Kopenhagen noch viel stärker ins Zeug legen müssen, wenn ein großer Teil des Planeten überleben soll: Unser Staat erstreckt sich auf 900 Kilometer quer durch den Indischen Ozean und besteht aus 1200 Inseln, die nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Sie sind unvergleichlich schön, aber auch ungeheuer verwundbar.

Steigt der Meeresspiegel auch nur einen halben Meter an, würde ein Großteil davon unbewohnbar; mittlerweile hat sich die Meerestemperatur bereits drastisch erhöht, sodass bald etliche Korallenriffe zerstört werden, die die Inseln vor den Wellen schützen. Deswegen kann sich hier niemand freuen über das jüngste Versprechen der G8-Staaten, den Temperaturanstieg auf zwei Grad und die COâ‚‚-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 ppm (parts per million) zu begrenzen. Noch vor einigen Jahren wären das achtbare Ziele gewesen, doch neue Forschungsergebnisse zeigen, dass sie längst überholt sind. Nach der raschen Eisschmelze in den Polarmeeren im Sommer 2007 erkannten die Forscher, dass sich die Erde viel schneller erwärmt als erwartet. Sie maßen die Stärke großer Gletscher und die Verbreitung von Stechmücken aufgrund erhöhter Temperaturen – überall trat der Wechsel Jahrzehnte früher als gedacht ein. Im Januar 2008 wies James Hansen, der bedeutendste Klimatologe der Welt, mit Kollegen nach, dass eine vertretbare Obergrenze der Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre bei höchstens 350 ppm liegt.

Wir haben diesen Wert auf der Welt längst überschritten – derzeit liegt er bei 390 ppm –, die Erderwärmung ist keine künftige Bedrohung, sie ist bereits eingetreten. Und nicht allein die Malediven leiden darunter. In Ländern wie Bangladesch versalzen schon Böden und Grundwasser durch den Anstieg des Meeresspiegels; Jahrhundertdürren plagen Australien und den Südwesten Amerikas; Ungeziefer vermehrt sich explosionsartig und bedroht im Westen Nordamerikas die Waldbestände. All das geschieht schon bei einem Temperaturanstieg von nur einem Grad – wieso sollten wir uns da auf zwei Grad einigen?

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Wir alle müssen dringend Notmaßnahmen zur Emissionsbegrenzung ergreifen. Das wird nicht leicht – damit wir weltweit wieder die 350 ppm erreichen, müssten alle Länder vor dem Jahr 2030 kohleunabhängig sein und auf hohen Kohlenstoffausstoß in die Atmosphäre verzichten, um den Wald zu erhalten. Die wenigsten Politiker packen eine derart schwierige Aufgabe freiwillig an, aber sie ist nicht unlösbar: Die Malediven haben sich verpflichtet, bis 2020 COâ‚‚-neutral zu werden und das gesamte Land mit Wind- und Sonnenenergie zu versorgen. Wenn das in einem armen Entwicklungsland möglich ist, sollte es überall möglich sein. Uns fehlt nicht die nötige Technologie, sondern der politische Wille.

Eine Kampagne von Wissenschaftlern und besorgten Menschen auf der ganzen Welt versucht gerade, den politischen Willen zu formulieren. Die Kampagne nennt sich »350.org«, um auf die wichtige Zahl von 350 ppm aufmerksam zu machen (siehe auch: www.350.org/de). Für den 24. Oktober sind weltweit Kundgebungen in Großstädten geplant. Auf den höchsten Gipfeln werden Bergsteiger Spruchbänder hissen; Moscheen, Kirchen und Schulen beteiligen sich daran. Die meisten Aktionen finden auf der südlichen Hälfte der Erdkugel statt, was nur angemessen ist, da sie am stärksten unter einer Klimaerwärmung leiden wird. Die Malediven veranstalten die größte politische Unterwasserdemonstration der Geschichte: Taucher und Schnorchler erinnern unten am Riff die Menschen mit Spruchbändern daran, was auf dem Spiel steht.

Das Klima steht auf der Kippe – die Arktis schmilzt, die Korallenriffe sterben. Wir müssen einen Schalter umlegen: Weg von Wohlfühlabkommen und hin zu Lösungen, und dabei die Emissionen so schnell eindämmen, dass sie auch tatsächlich den Forderungen der neuesten Forschung entsprechen. Wir hoffen, Sie schließen sich uns am 24. Oktober an, wo immer Sie auch sein mögen.

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Mohamed Nasheed, Präsident der Malediven, kurz Anni genannt, besitzt natürlich eine eigene Präsidentenyacht und - unweit von Malé - auch eine eigene Präsidenteninsel. Und natürlich hat ein Präsident der Malediven auch einen Tauchschein erworben, der es ihm am 24. Oktober ermöglicht, die erste Unterwasserkabinettssitzung der Welt zu leiten.

Aus dem Englischen von Stephan Klapdor.

Olivier Kugler (Illustration)