Der planlose Papst

Das Unternehmen Kirche steht in der Kritik wie selten zuvor. Der Vorstandsvorsitzende Benedikt XVI. erweist sich dabei als mäßig überzeugender Krisenmanager. Ein Porträt.

Hallo, jemand zu Hause? Hört jemand zu? Liest man nach dem Tsunami an Enthüllungen über Kindesmissbrauch durch katholische Priester von den entsetzten Reaktionen der Menschen, dann fragt man sich, in welcher Welt diese Leute in den letzten Jahren gelebt haben. Auf jeden Fall saßen sie nicht am Tisch, als ihre Freunde von den grapschenden Fingern der Priester an ihren Schulen erzählten oder sich an die Forderung ihrer Beichtväter erinnerten, die ersten sexuellen Erfahrungen möglichst detailliert zu schildern. Sie scheinen auch nicht Zeitung gelesen zu haben, zumindest nicht in den letzten zwanzig Jahren.

Lasst uns also bitte nicht so tun, als wären wir überrascht, dass es seit Generationen auch Priester gibt, die kleine Kinder missbrauchen, okay? Und weil die Kirche vermutlich jeden Kritiker einen »Nazi« schimpfen wird, der behauptet, der aktuelle Papst habe davon gewusst, es sei ihm aber ziemlich egal gewesen, sollten wir dieses Thema als eine Art Wirtschaftsangelegenheit betrachten, denn mit nichts anderem als fatalem Missmanagement haben wir es hier zu tun. Am Ende ist Religion ein Geschäft. Menschen zahlen für eine Ware und verhalten sich im Gegenzug loyal gegenüber der Marke. Das wiederum schafft Arbeitsplätze für Millionen und bringt den Aktionären und leitenden Angestellten Profit ein. Das Hauptziel eines Unternehmens ist – nicht anders als bei einer Amöbe oder einem Pantoffeltierchen – das Überleben; danach erst kommt der Profit.

Stellen Sie sich also den Papst als Vorstandsvorsitzenden dieser Firma vor. Er war vielleicht nicht die erste Wahl, saß aber schon eine Weile im Vorstand, wo er sich durch Teamfähigkeit und Produktloyalität einen ganz guten Namen gemacht hat. Aber kurz nachdem er das Büro in der Chefetage bezogen hatte, tauchten diese peinlichen Fotos von ihm in Soldatenuniform auf (und wir alle wissen, welche Armee das war), dann schrie eine nervige italienische Zeitung in großen Lettern Pastore Tedesco, Deutscher Schäferhund, und in seinem deutschen Akzent klingt jede seiner Vorschriften über »l’importanza del bene« (die Wichtigkeit des Guten) wie »l’importanza del pene« (Penis).

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Und dann ging – genau wie in der Tabakindustrie – der Ärger erst richtig los. Man nehme sich also ein Beispiel an unseren Freunden in Amerika und bestreite alles, lasse Ärzte behaupten, dass Zigaretten harmlos sind, und säe dann Zweifel an den Motiven derer, die eine Verbindung zwischen Rauchen und Krebs ziehen. Wenn einem dann die Lügen um die Ohren fliegen, ziehe man die »Light«-Marken aus dem Hut, stelle aber weiter Zigaretten her und verführe junge Leute mit dem Charme des Rauchens.

(Wie die katholische Kirche laut Donna Leon vorgeht, um möglichst unbeschadet aus den Missbrauchsaffären herauszukommen, lesen Sie auf der nächsten Seite.)

Nach diesem Muster hat auch die Kirche alles bestritten (während sie gleichzeitig Milliarden an Entschädigungszahlungen an jene Menschen überwies, die so üble Lügen über die guten Hirten verbreitet hatten) und die Motive der Menschen infrage gestellt, die endlich die Männer anprangerten, von denen sie sexuell missbraucht wurden. Spricht es wirklich für einen guten Geschäftssinn, Männern, die freiwillig auf normalen Sex verzichten, kleine Kinder anzuvertrauen? Ich kann es kaum erwarten, wie die »Light«-Marke der Kirche aussehen wird: weibliche Geistliche?
Um zu Ratzinger zurückzukehren: Vergessen wir nicht, dass wir es bei der Kirche mit einem internationalen Konzern zu tun haben.

Der Vorstandsvorsitzende befiehlt. Seine Diener – nein, seine Angestellten – führen die Befehle aus. Aber vielleicht gehen sie zu weit: Die Kritik am Papst, er habe jahrzehntelang nichts getan, um den Missbrauch von Kindern aufzuhalten, haben sie mit der Verfolgung der Juden durch die Nazis gleichgesetzt. Entschuldigung? Könnten Sie das wiederholen? Und was ist mit dieser Kopfgeburt aus der Karwoche: Der Heilige Vater, genau wie Jesus, durchlebte seine Woche des Leidens.

Nun denn, da die Papst-Kumpel schon mal mit dem Thema Christus angefangen haben, schauen wir doch einmal, was der zum Thema »Missbrauch« (leider weiß ich immer noch nicht, was das genau heißt: Was wurde wie angefasst? Wie alt waren diese Kinder?) zu sagen hat: Markus 9:42 »Und wer der Kleinen einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde.« Zu schade, dass der Vatikan so beschäftigt war mit Nazivergleichen, dass er sich dafür nie die Zeit hat nehmen können.

Für die Zukunft: Die katholische Kirche verfügt über einen hohen Wiedererkennungswert und stark ausgeprägte Markentreue, wir sollten also nicht glauben, dass sich irgendwas ändern wird. Die Sache wird ausgesessen. Bewege dich nicht, verschanze dich, streite alles ab, bezahle, wenn nötig, und früher oder später haben die Menschen alles vergessen.

Einer Amöbe gleich muss sich ein Konzern anpassen, wenn er überleben will, und die Kirche wird genau das tun. Auf Zigarettenpackungen stehen Gesundheitswarnungen. Ich befürchte, es wird noch lange dauern, bis solche Hinweise auch an den Pforten von Klosterschulen zu finden sein werden.

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Donna Leon, 67, war erst Professorin für Literatur und las den ganzen Tag. Dann wurde sie dafür bezahlt, Bücher zu besprechen und selbst zu schreiben. "Und jetzt", sagt sie "gibt mir sogar jemand Geld dafür, dass ich über den Papst schreibe. Fantastisch!"

Foto: Contrasto / Laif