»Man darf Fehler machen«

Jürgen Klinsmann hat keine Angst mehr, bei der Weltmeisterschaft zu versagen. Das hat der Schwabe in Kalifornien gelernt.

SZ-Magazin: Hier, unter den Palmen Kaliforniens, scheint Deutschland so unendlich weit entfernt zu sein. Ist diese Distanz im Tagesgeschäft ein Nachteil für Sie als Bundestrainer?
Jürgen Klinsmann:
Kalifornien besteht nicht nur aus Palmen, sondern auch aus Büros und anderen Dingen. Zur Distanz: Sie ist mir wichtig. So muss ich mich nicht mit Dingen aufhalten, die die Arbeit der Bundesligatrainer oft massiv behindern. Außerdem zeichnen sich aus der Ferne die Missstände viel klarer ab.

Sie sitzen hier in der Sonne und sinnieren über Deutschland?
Nicht ganz. Um 5.30 Uhr morgens stehe ich auf, ab Viertel vor sechs sitze ich vor meinem Computer und checke, was so alles reingekommen ist. Zum Arbeiten ist diese Zeit sehr angenehm, weil meine beiden Kinder noch schlafen. Dann spreche ich mit Oliver Bierhoff, Joachim Löw und Andy Köpke. In Konferenztelefonaten und über E-Mail entwickeln wir Konzepte und arbeiten viel Organisatorisches ab. Gegen acht Uhr bringe ich meinen Buben in die Schule. Um drei Uhr ist mein Arbeitstag dann aufgrund der Zeitverschiebung meistens beendet und ich kann mich meinen Kindern widmen. Wenn ich dann alle zwei Wochen nach Deutschland fliege, arbeite ich während meines Aufenthalts bis spätnachts meine Agenda ab.

Was sehen Sie von Los Angeles aus klarer als in Deutschland?

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Vielleicht nicht klarer, aber sicher anders sehe ich, wie sehr das Land im Umbruch ist. Wenn ich an Deutschland denke, beschäftigt mich vor allem Privates: wie sehr ich zum Beispiel meinen Vater vermisse, der vor wenigen Monaten gestorben ist. An ihn denke ich jeden Tag.

Vor knapp einem Jahr haben Sie den Job als Trainer der deutschen Nationalmannschaft angetreten. In ungefähr einem Jahr beginnt in unserem Land die Fußball-Weltmeisterschaft. Es ist also Halbzeit. Zufrieden mit dem bisherigen Spielverlauf?
Außerordentlich.

Noch vor Ihrem Amtsantritt hatten Sie gefordert, man müsse den kompletten DFB auseinander nehmen, um den deutschen Fußball zu reformieren. Ist Ihnen das schon gelungen?
Meine Wortwahl war damals nicht sehr diplomatisch. Aber im Prinzip stehe ich zu meiner Aussage: Wir müssen alle Rituale und Gewohnheiten hinterfragen. Und zwar andauernd – nicht nur im Fußball. Das ist doch nichts Schlimmes. Reform ist kein Prozess, der in Episoden stattfindet. Das Reformieren muss zu einem permanenten Zustand werden – nicht nur vor der Weltmeisterschaft, auch danach.

Warum fällt uns Deutschen das so schwer?
Weil wir immer glauben, dieser Prozess sei von Personen abhängig. In Wirklichkeit liegt genau in dieser Annahme eine wesentliche Ursache der Probleme. Es muss darum gehen, eine Struktur zu konstruieren, die unabhängig von den Akteuren funktioniert. Sonst überwiegen wieder nur Egos, Eitelkeiten und das Geschachere um Posten.

Worum geht es Ihnen, wenn nicht um Eitelkeit?
Um die Sache.

Das behaupten alle eitlen Menschen.
Deutschland muss im Fußball wieder an die Weltspitze kommen. Dafür braucht es Offenheit, Toleranz und Mut. Doch diese Eigenschaften fehlen uns. Wir müssen eine Antwort auf die Frage geben können: Für welchen Fußball stehen wir? Eine Fußballnation wie Deutschland, ein mehr als hundert Jahre alter Verband, braucht dringend eine solche Identität, an der wir auch festhalten, wenn es mal nicht so gut läuft. Wir bauen diese Identität gerade auf – mit einer Spielphilosophie, die schnell, nach vorn ausgerichtet und voller Engagement ist.

Warum ist das so wichtig?
Weil unser Fan, gewissermaßen unser Kunde, ein offensives und aufopferungsvolles Spiel sehen möchte. Dieses Credo müssen wir verinnerlichen. Wer es nicht akzeptieren will, hat keinen Platz bei uns. Unter diesem Aspekt kann ein Trainer, der nur auf Konterfußball setzt, den Job des Bundestrainers eben nicht bekommen.

Sie sprechen wie ein Unternehmensberater. Ist Ihnen klar, dass Ihre Auffassungen in Deutschland schwer umzusetzen sein werden?
Völlig.

Auf welche Widerstände treffen Sie?
Es gibt natürlich immer wieder Leute, die quer schießen. Menschen, die sich mit allen Mitteln gegen Veränderungen stemmen. Wo Kompetenzen neu verteilt werden, ist das eine logische Konsequenz. In einem Verband wie dem DFB, in dem sich über Jahrzehnte hinweg fast alles mit allem und jeder mit jedem verwoben hat, überrascht das nicht besonders. Ich stoße schon allein deshalb auf Widerstand, weil die Leute befürchten, ich würde ihnen etwas wegnehmen.

Tun Sie ja auch.
Ja, wir können 2006 aber auch nicht sagen: Sorry, wir sind in der Vorrunde ausgeschieden, aber wir hatten eine schöne Zeit und alle waren zufrieden! Wir haben Verantwortung übernommen und müssen dementsprechend handeln. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Nationalmannschaft zwar das Aushängeschild, aber im Gesamten nur ein kleiner Teil des DFB ist. In diesem Interview reden wir über die Nationalmannschaft – doch der DFB ist auch zuständig für andere Gebiete: Spielordnungen, Spielbetrieb. Das alles muss verwaltet werden. Und wenn dann die Nationalmannschaft ins Spiel kommt, ist es für die Funktionäre ziemlich schwer, den Blick auf das Eigentliche – die Qualität des Fußballs! – zu bewahren. Oft habe ich den Eindruck, dass angesichts des Verwaltungsaufwands, 6,3 Millionen Mitglieder zu betreuen, die Qualität des Fußballs zunehmend unwichtig wird.

Also verwaltet sich dieser größte Sportverband der Welt nur noch selbst?
Es gibt Bereiche, in denen verwaltet werden muss. Aber es gibt andere Gebiete, in denen es nur um die Qualität des Fußballs geht. An Letzterem werde ich vor allem gemessen. Führen heißt: einer Sache dienen.

Inwieweit ist der marode Zustand des DFB symbolisch für die Lethargie des ganzen Landes?
Der DFB ist nicht marode, aber bestimmt auf einigen Gebieten zu hinterfragen. Ein so großer Verband ist immer beispielhaft für das Gemeinwesen, aus dem er hervorgeht. Wenn nicht wir, sondern zum Beispiel Südafrika die Weltmeisterschaft 2006 bekommen hätte, hätte der DFB massive Probleme bekommen: Das wäre eine Niederlage zu viel gewesen und dann wäre der Reformdruck wohl zu groß geworden.

Ihr Beispiel erinnert uns an die erstarrte Regierung Kohl von 1989: Allein die Wiedervereinigung verlängerte künstlich deren Agonie. Dringende Reformen wurden verschleppt.
Was der ehemalige Kanzler für die Wiedervereinigung war, ist Franz Beckenbauer für die WM 2006: das Symbol, das Aushängeschild. Franz hat das Ereignis nach Deutschland geholt und damit ein Boot gebaut, auf dem jetzt alle mitfahren wollen.

Wird so die Ausrichtung der Weltmeisterschaft zu einem Alibi, die Lösung grundlegender Probleme in unserem Land aufzuschieben?
Ich kann nur für den Fußball sprechen.

Bitte.
Gemeinsam mit Oliver Bierhoff, Joachim Löw und Andy Köpke versuche ich gerade diesem Reflex zu entkommen. Zahlreiche unserer Vorstellungen stammen auch nicht nur aus Deutschland, sondern aus anderen Ländern.

Offensichtlich vor allem aus den USA. Immer wieder heißt es, Sie stünden unter dem Einfluss undurchsichtiger amerikanischer Berater.
Das ist Quatsch. Meine Lehrmeister Warren Mersereau und Mick Hoban sind altgediente Profis des Sportmanagements. Aber wir dürfen uns auch hinsichtlich der Reformansätze aus Amerika keinen Illusionen hingeben: Viele amerikanische Unternehmen sind genauso in ihrer Bürokratie gefangen, wie man es von deutschen kennt. Das gilt vor allem für eine oft völlig übertriebene Hierarchie. Wir versuchen uns aus verschiedenen internationalen Ansätzen immer das Beste rauszupicken und enden meist mit einer bunten Mischung.

Wodurch zeichnet sich diese Klinsmann-Mischung aus?
Wir glauben, dass es hilft, den Spielern immer zu erklären, warum wir etwas machen. Gute Erziehung heißt Begründung, heißt Rechtfertigung. Niemals nur Befehl und Kommando.

Verstehen das die Spieler? In ihren Vereinen werden sie ja eher zu unselbstständigen Befehlsempfängern geformt.
Die Mannschaft liebt den Powerfußball. Sie geht in diesem Konzept regelrecht auf!

Hat ein Teil der Ihnen und Ihren Beratern entgegengebrachten Skepsis auch mit der Amerikafeindlichkeit vieler Deutscher zu tun?
Kann ich mir kaum vorstellen, denn ich teile eine gewisse Kritik an den USA.

Tatsächlich?
Ja, aber ich will nicht über Politik reden.

Also ist es die Politik der USA, die Sie stört?
Ich kann die Skepsis und Angst gegenüber einer Regierung, die in einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak gezogen ist, gut nachvollziehen. Aber gleichzeitig liebe ich dieses Land für seinen Way of Life. Amerika ist ein Land der extremen Gegensätze.

Das sagt sich schnell daher. Was meinen Sie damit genau?
Die amerikanische Kultur hat mir die Angst vor dem Versagen genommen. Man darf Fehler machen. Ich weiß nicht, ob wir nächstes Jahr Weltmeister werden. Aber falls wir es nicht schaffen sollten, werde ich daran nicht zerbrechen. Ich werde dann damit leben, dass ich meinen Job und bei einigen sicherlich auch die Anerkennung als Person verlieren werde; dass die Boulevardzeitungen über mich herfallen und genau jene Sätze zitieren werden, die ich Ihnen in diesem Interview gesagt habe. Aber mein innerer Kompass treibt mich dazu: Try and you will see.

Sie haben sich vor der letzten Bundestagswahl für Gerhard Schröder engagiert. Sie sind mit einer Amerikanerin verheiratet und leben eine Autostunde südlich von Los Angeles: Fanden Sie aus amerikanischer Sicht den amerikafeindlichen Wahlkampf Schröders nicht populistisch?
In diese Themen mische ich mich nicht ein. Einfach deshalb, weil ich mich da viel zu wenig auskenne.

Gerhard Schröder ist auf Ihrem Gebiet nicht so zurückhaltend, er lässt keine Gelegenheit aus, über Fußball zu schwadronieren.
Davon hat er auch Ahnung.

Was hält er von Ihrer Agenda 2006, also der Reform des deutschen Fußballs?
Soweit ich weiß, gefällt es ihm, dass wir die Spieler zur Eigenverantwortung auffordern. Bisher machen die Athleten ja meist nur, was ihnen vorgegeben wird. Wir geben ihnen eine Hilfe zur Selbsthilfe. Sie müssen lernen, selbst zu handeln, denn nur solche Persönlichkeiten sind in der Lage, beispielsweise ein verloren geglaubtes Spiel nochmals umzudrehen. Es gibt kein Recht auf Faulheit, sondern eine Pflicht zur Leistungssteigerung. Wir wollen den mündigen Spieler.

Sie haben viele Jahre in Italien, Frankreich und England und jetzt in den USA gelebt. Fühlen Sie sich überhaupt noch als Deutscher?
Ja, vor allem was meine Wurzeln und die enge Familienanbindung betrifft. Aber ich bin mittlerweile natürlich eine Mischung aus all den internationalen Einflüssen der vergangenen Jahre.

Wo ist für Sie Heimat?
Immer dort, wo meine Frau und die Kinder gerade sind. Die zweite Heimat ist der Ort, an dem meine Mutter und die Brüder leben.

Eine Art Ersatzheimat scheint für Sie auch Starbucks zu sein, die amerikanische Kaffeehaus-Kette. Wo immer Sie auf der Welt sind, steuern Sie Starbucks an. Wieso?
Diese Kaffeebars sind überall auf der Welt gleich, in ihnen wird ein mir sehr sympathisches Lebensgefühl multipliziert. Starbucks – das bedeutet Lebensfreude. Mir gefällt die Einrichtung, mir schmeckt der Kaffee, die Atmosphäre ist kosmopolitisch und ich bekomme stets einen drahtlosen Anschluss ans Internet. Das mag ich gern.

Die Seelenlosigkeit dieser Coffee-Shops stört Sie nicht?
Ach was. Es muss nicht immer alles geschichtlich verankert und historisch gewachsen sein, um zu gefallen.

Uns fiel auf, dass Sie bei der Bestellung bei Starbucks den Namen »Jonathan« statt »Jürgen« angegeben haben.
Meinen Vornamen kennt kein Amerikaner, ich muss ihn erst immer buchstabieren. Deshalb verwende ich den Namen meines Sohnes. Allerdings regt sich der Kleine darüber immer auf: »Daddy, that’s my name«, meckert er dann. »Daddy, don’t use my name.«

Ihr deutscher Vorname ist also nicht mehr kompatibel mit Ihrem internationalen Leben.
Meiner nicht, aber dafür funktioniert der meines Sohnes Jonathan auf Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Wir konnten bei seiner Geburt ja noch nicht wissen, wo wir einmal leben werden.

Sprechen Sie zu Hause nicht Deutsch?
Nur wenn ich mit den Kids allein bin, wird Deutsch gesprochen. Wenn alle beieinander sind, reden wir Englisch. Meine Kinder verstehen Deutsch. Nur zum Sprechen fehlt ihnen der Mut, was ich gut nachvollziehen kann: Die ersten vier Monate in Italien sprach ich auch kein Wort, weil ich richtig Angst vor der neuen Sprache hatte. Dabei wäre das in Italien vollkommen egal gewesen: Du gibst dem Italiener ein Wort und er vervollständigt dir den ganzen Satz.

Warum sind Sprachkenntnisse für Sie so wichtig?
Meine erste Reise nach Amerika war ein Geschenk des damaligen Präsidenten der Stuttgarter Kickers an die Mannschaft. Wir waren in Florida und ich hatte solche Angst, Fehler zu machen, dass ich meinen Mund nicht aufbekam. Mich hat diese Sprachlosigkeit total wütend gemacht. Eine Woche nach unserer Rückkehr nach Stuttgart bin ich gleich noch mal rübergeflogen. Aber dieses Mal mit einem Wörterbuch in meinem Rucksack. Ich wollte der fremden Sprache mächtig werden.

Woher kommt dieser Ehrgeiz? Ihre Wut beim Versagen?
Ich will immer Teil einer Gemeinschaft sein. Im Ausland kann ich das nur, wenn ich die Sprache spreche. Je besser ich das kann, desto schneller integriere ich mich. Diesen Antrieb habe ich von meinem Vater. Er war Bäckermeister und sein Ziel war immer, die beste Ware auf den Tisch zu bringen. Mehr Qualität erfordert aber auch mehr Energie. Er sagte immer zu mir: Bub, mach keine halben Sachen! Denk wie ein Unternehmer! Halt die Augen auf! Hör zu! Beobachte gut!

Aber wollten Sie der Denkweise der schwäbischen Provinz nicht auch entfliehen? War der Fußball dafür nicht die ideale Chance?
Nachträglich betrachtet war dieser Sport mein Ticket in die weite Welt. Aber das wusste ich noch nicht als kleiner Bub beim SC Geislingen. Die Straße meines Lebens entstand erst beim Gehen.

Verspüren Sie jetzt als Bundestrainer eine Art innere Verpflichtung, Ihrer alten Heimat Deutschland etwas zurückzugeben?
Es gibt diesen Wunsch, ja. Ich will ein paar Dinge vorantreiben. Im Idealfall sind das Dinge, die beim Sport beginnen und sich in der Gesellschaft fortsetzen. Als ich noch in England spielte, lernten angeblich nur wegen mir wieder mehr englische Schulkinder die deutsche Sprache. Das war schon ein schönes Gefühl. Aber jetzt geht es mir vor allem darum, einen guten Job als Bundestrainer zu machen.

Es gab noch keinen deutschen Bundestrainer, der unter einem solch großen Erwartungsdruck stand wie Sie. Wie bewältigen Sie das?
Ach, das ist kein Problem. Druck ist relativ.

Das ist, mit Verlaub, eine Binsenweisheit.
Der Druck, den ich mir selbst mache, ist natürlich enorm hoch. Dennoch bin ich davon überzeugt, als Trainer gute Arbeit zu leisten. Die Mannschaft wird nächstes Jahr gut aufgestellt sein.

Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass es im nächsten Jahr nicht nur um Sport geht?
Um was denn sonst?

Viele Bürger knüpfen an Sie und den Erfolg der Nationalmannschaft große, gesellschaftliche Hoffnungen, die weit über das Sportliche hinausragen.
Das ist mir vollkommen klar. Aber diesen Schuh will und kann ich mir auf keinen Fall anziehen!

Trotzdem betrachten viele Deutsche Sie als eine Art Messias.
Nein, das glaube ich nicht. Damit habe ich nichts zu tun.

Warum knüpfen wir Deutschen so gern alle Erwartungen an eine Person? An einen Libero, einen Ruck-Redner, einen Führer?
Die Sehnsucht nach dem Führerprinzip ist nichts anderes als die Suche nach einem Alibi, nach dem Motto: Ich schiebe den Ball weiter, damit der andere den Fehler macht. Die Lösung der Probleme kann aber nicht durch eine Einzelperson, sondern nur aus der Gemeinschaft heraus kommen.

Welche gesellschaftliche Bedeutung hätte ein Sieg bei der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr?
Der Sieg von 1954 war natürlich ein Symbol für die neuerliche Integration der Deutschen in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwanzig Jahre später war diese Bundesrepublik zu einer Wirtschaftsmacht geworden, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verinnerlicht hatte. Das alles symbolisierte der Triumph 1974 in dem so imposanten und dennoch leicht anmutenden Münchner Olympiastadion. 1990 dann der dritte Titel: wenige Monate vor der Wiedervereinigung. Ein Sieg im nächsten Jahr böte die Chance, der Welt zu zeigen, wer wir eigentlich sind. Wir haben die Möglichkeit, Deutschland neu zu definieren: eine Marke, einen »Brand« zu schaffen.

Wie sind wir denn Ihrer Ansicht nach?
Unglaublich vielfältig und facettenreich. Die deutsche Gesellschaft hat Herausforderungen standgehalten, deren Bewältigung in anderen Ländern undenkbar wäre: die erfolgreiche Integration der Gastarbeiter, die Wiedervereinigung von Ost und West, die neue Rolle inmitten Europas. Das alles ist großartig, nur weiß man im Ausland viel zu wenig davon. Deutsche Nationalspieler tragen heute Nachnamen wie Owomoyela, Asamoah oder Neuville. Das spiegelt wunderbare Aspekte deutscher Gegenwart wider. Darauf kann man stolz sein. Und diesen Stolz dürfen die Deutschen dem Ausland ruhig zeigen.

Seine größten Erfolge feierte Jürgen Klinsmann, 40, als Welt- und Europameister mit der deutschen Nationalmannschaft. Als Vereinsspieler waren ihm lediglich eine Landesmeisterschaft sowie zweimal der Gewinn des UEFA-Pokals vergönnt. Dennoch erkämpfte sich der Schwabe bei seinen Stationen im Ausland (Inter Mailand, AS Monaco,Tottenham Hotspur) durch seinen vorbildlichen Einsatz viele Sympathien, besonders in London, wo Klinsmann anfangs als Diver (Schwalbenkönig) verspottet wurde, aber schon bald als »Cleansman« zum Publikumsliebling avancierte. Der aktuelle Trainer der DFB-Auswahl begann seine Karriere bei den Stuttgarter Kickers sowie dem VfB Stuttgart und lebt heute mit seiner Frau Debbie und zwei Kindern südlich von Los Angeles.