Wenn ein kleines, deutsches Pferd das wichtigste Galopprennen der Welt gewinnt, ist das eine ziemliche Sensation. Und wenn keiner vorher an dieses Pferd geglaubt hat, dann klingt die Geschichte der kleinen Stute Danedream wie die des Galoppers Seabiscuit: fast zu schön, um wahr zu sein.
An den amerikanischen Hengst Seabiscuit, das wohl berühmteste Pferd der Geschichte, erinnern ein lebensgroßes Denkmal, ein Buch sowie zwei Filme. Der zweite heißt Seabiscuit - Mit dem Willen zum Erfolg. Er wurde 2003 für sieben Oscars nominiert. Natürlich handelt der Film auch davon, wie sehr das Genie des Hengstes verkannt wurde. Vor allem aber geht es darum, dass Menschen von seinen Siegen profitiert haben, die nicht im Geld schwammen, sondern für die das alles ein Riesenglück war.
Wie bei Danedream. Nur dass es von ihr noch kein Denkmal gibt. Keine Bücher, keine Filme. Aber das kann ja noch kommen.
Danedream ist eine kleine Vollblutstute mit allerweltsbraunem Fell, die schwarze Mähne und der Schweif sind beinahe spärlich. Auf Stirn und Nase hat sie je ein weißes Abzeichen, man nennt sie Stern und Schnippe. Wenn sie nicht gerade ein Rennen läuft, steht sie seelenruhig da, lässt den Kopf hängen, wirkt eher träge als dynamisch.
Auch Seabiscuit war klein und braun und nicht ideal gebaut. Er hatte zwar eine gute Abstammung, war aber faul und gefräßig und lief auf seinen ersten Rennen den anderen Pferden hinterher. Für 8000 Dollar kaufte ein Autohändler den Hengst, der dann zum erfolgreichsten Rennpferd der Welt und vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren zum Symbol der Hoffnung für die Amerikaner wurde. Sein Schicksal verhieß: Jeder kann es schaffen.
Danedreams Vater ist Lomitas, einer der besten deutschen Hengste im Rennsport und Galopper des Jahres 1991. Trotz dieser Abstammung erreichte die kleine braune Stute nicht einmal das Mindestgebot von 9000 Euro, als sie vor zwei Jahren auf der Frühjahrsauktion in Baden-Baden angeboten wurde. Unverkauft wurde sie wieder aus dem Ring geführt.
Am Abend rief ihr Trainer, der Kölner Peter Schiergen, seinen Freund Heiko Volz an. Volz ist Möbelhändler im badischen Ort Achern. »Heiko«, sagte er, »das ist ein Spaßpferd, damit gewinnst du ein paar kleine Rennen, verkaufst es wieder und verdienst vielleicht ein paar Tausend Euro.« Im Internet machte Heiko Volz sich ein Bild von der Stute. Er war nicht sonderlich interessiert. Aber Peter Schiergen ließ nicht locker, und später am Abend kaufte Heiko Volz zusammen mit seinem Vater Helmut Volz Danedream. Für 9000 Euro, das Mindestgebot. Mehr, sagt Heiko Volz, hätten sie auch nicht bezahlt. Weil sie nach wie vor nicht begeistert waren. Und weil sie auch für beeindruckendere Pferde nicht viel mehr bezahlen. Das ist so ihre Preisklasse.
Prix de l’Arc de Triomphe
Helmut und Heiko Volz, Vater und Sohn, besitzen zusammen ein knappes Dutzend Pferde. Eine Mischung aus Hobby und Geschäft sei das, sie seien es ja vom gemeinsamen Möbelladen her gewöhnt, aufs Geld zu gucken. Und wenn man in der Nähe von Baden-Baden groß wird - Achern ist keine 20 Kilometer entfernt – und mit zehn Jahren sein erstes Rennen sieht, ist man einfach infiziert, sagt Helmut, der Vater. Aber große Sprünge haben sie nicht gemacht, sagt Heiko, der Sohn. Bisher.
Über drei Millionen Euro hat Danedream im letzten Jahr gewonnen, allein 2,2 Millionen durch den Sieg in Paris, beim Prix de l’Arc de Triomphe, eben jenem wichtigsten internationalen Rennen. Danedream ist jetzt die bes-te Stute der Welt und konkurriert mit Frankel, dem besten Hengst der Welt, um Platz eins. Frankel gehört dem Saudi-Prinzen Khalid Abdullah, sein Wert wird von britischen Experten auf 116 Millionen Euro geschätzt.
Heiko und Helmut Volz aus Achern schütteln den Kopf und sagen nichts, wenn man sie fragt, was Danedream jetzt wert sein könnte. Dabei müssten sie es ziemlich genau wissen: Ende letzten Jahres haben sie Anteile von 50 Prozent an der Stute verkauft. »Der Schuh wurde zu groß für uns«, sagt Heiko Volz. Denn Vater und Sohn Volz spielen natürlich sonst nicht in der Liga arabischer Scheichs und japanischer Milliardäre. Die Familie Yoshida, der Danedream jetzt zur Hälfte gehört, zählt zu den bedeutendsten Züchtern von Galopprennpferden in Japan. Heiko und Helmut Volz besitzen ein Möbelhaus im Gewerbegebiet von Achern und verkaufen Küchen von Musterring.
»Ich muss immer wieder mit den Tränen kämpfen, wenn ich das sehe«, sagt Heiko Volz, blasses Jungsgesicht und braune, blanke Knopfaugen. Er sitzt neben seinem Vater im Büro von Möbel Rivo, auf dem Flachbildschirm sieht man die Aufzeichnung des Rennens in Paris: wie Danedream die anderen Pferde stehen lässt und davonfliegt, in der schnellsten Zeit, die je ein Pferd auf dieser Bahn gelaufen ist. Wie sie mit fünf Pferdelängen Vorsprung gewinnt. Wie der Jockey jubelt und um Fassung ringt, weil ihm so etwas in all den Jahren auch noch nicht passiert ist.
»Sehen Sie? Wie sie sich im Boden festkrallt und dann zum Sprung abhebt!«, Heiko Volz glüht vor Besitzerstolz. Auf dem grauen Konferenztisch steht ein Teller mit Hefezopf, der Blick aus dem Fenster geht auf den Kundenparkplatz. Draußen nieselt es. Helmut Volz, der Vater, graues Stoppelhaar, braun gebrannt, kaut zufrieden an einem Stück Kuchen, während er sich zum wohl hundertsten Mal die Siegerehrung in Paris anschaut.
Natürlich war die Familie Volz komplett, mit Frauen und Kindern und Kindeskindern, in Paris beim Prix de l’Arc de Triomphe, erster Sonntag im Oktober 2011, 16. Arrondissement, Bois de Boulogne. Am Morgen vor dem Rennen war Heiko Volz in eine Kapelle gegangen, hatte eine Kerze für Danedream angezündet. Aber den Sieg hatte er nicht erwartet.
Obwohl die ganze Saison 2011 gut gelaufen war. Im Mai wurde Danedream Dritte beim Derby Italiano in Rom. Am Morgen des Rennens war Heiko Volz im Petersdom gewesen. Kerzen gab es dort nicht, also schickte er ein kleines Gebet zum Himmel. Danedream gewann 88 000 Euro. Ende Mai erzielte sie ihren ersten Sieg, in Mailand, das Preisgeld: 200 000 Euro. Im Juli wurde sie in Berlin-Hoppegarten Erste und im September in Baden-Baden, beim Großen Preis. »Sie ist«, sagt Heiko Volz, »eine späte Angreiferin, dreht erst dann richtig auf, wenn die anderen nachlassen.«
Der Große Preis
Helmut Volz strahlt. »Zu Hause beim Großen Preis von Baden-Baden mal zu gewinnen, das war für mich ja der ganz große Traum«, sagt er. Aber vorstellen konnte er es sich nicht. Den Arc, wie sie in Rennkreisen sagen, den natürlich schon gar nicht. »Wissen Sie«, sagt Heiko Volz und zuckt auf eine bescheidene Art die Achseln, »wir haben uns das ja nicht ausgesucht. Wir sind ausgesucht worden.«
Wenn man ihn fragt, wie es sich anfühlt, Danedream hergegeben zu haben, schlägt Jörg Thane, Gestütsleiter vom Brümmerhof, einen betont fröhlichen Ton an. Auf dem Brümmerhof in der Lüneburger Heide wurde Danedream geboren, und dort lebte sie die ersten beiden Jahre. »Das Auffällige an Danedream war das Unauffällige«, sagt Jörg Thane. »Sie war nicht zickig und auch nicht krank, immer unkompliziert.« Aber sie war, sagt er, eine dieser »kleinen grauen Mäuse«, die im Training nichts zeigen und erst im Rennen losstürmen. Im Gegensatz zu den »Trainingsweltmeistern«, wie er die Pferde nennt, die im Training alles geben und im Rennen versagen.
Jörg Thane und sein Chef Gregor Baum, der Inhaber des Gestüts Brümmerhof, sind gute Verlierer. Sie haben den Arc zusammen im Internet verfolgt, erzählen sie. Als Dane-dream sich durch die anderen Pferde nach vorn schob, sind sie aufgestanden und haben gebrüllt und eine Flasche Sekt geköpft. »Wenn ein Pferd, das man selbst gezogen hat, das wichtigste Rennen der Welt gewinnt – das ist Wahnsinn«, sagt Thane.
Immer wieder haben sie es sich angeschaut, sagt er, auf Youtube, und geschwärmt: »Wie mutig sie sich da durchkämpft! Was für ein Herz sie hat!« Der Wermutstropfen mischte sich erst später unter die Freude - als ihnen klar wurde, dass sie nicht einmal mehr Geschwister von Danedream würden züchten können. Denn ein Jahr zuvor hatten sie deren Mutter, Danedrop, verkauft. Aus keinem ihrer vier Fohlen war je etwas geworden, und Danedream, das fünfte, schien ja auch nicht gerade viel zu versprechen. 17 000 Euro hatte Gregor Baum für Dane-drop, die zum Zeitpunkt des Verkaufs ihr sechstes Fohlen erwartete, bekommen. Nach Danedreams Sieg in Paris stieg der Preis ihrer Mutter natürlich auch: Danedrop wurde für über eine Million Euro weiterverkauft. Doppeltes Pech für Gregor Baum.
Er hatte zu Baum gesagt, gib sie nicht weg, die kann was, sagt der Kölner Trainer Peter Schiergen. Aber Großes hatte auch er nicht erwartet. Bei ihm war Danedream schon als Zweijährige im Training, und bei ihm ist sie auch geblieben. Es ist kurz vor zehn an einem sonnigen Mittwoch auf der Rennbahn in Köln-Weidenpesch. Vor der Morgenarbeit wird Danedream warm geritten. Mit hängendem Kopf trottet sie daher. Und wirklich, selbst live ist sie unscheinbar, fast unansehnlich. Auch weil die meisten der Pferde, mit denen sie trainiert wird, aufgeregt herumtänzeln, die Nüstern blähen und dabei einfach besser aussehen.
Peter Schiergen, ein ehemaliger Jockey, klein, drahtig, lässt seine blitzeblauen, lang bewimperten Augen konzentriert und in Sekundenschnelle über alle 20 Tiere in Danedreams Lot - so wird eine Arbeitsgruppe von Rennpferden genannt – wandern. Schiergen ist 47 Jahre alt und seit 1981 im Geschäft. »Danedream«, sagt er schlicht, »ist das beste Pferd, das ich je hatte.«
In dieser Saison soll die Stute, die jetzt vier Jahre alt ist und die große Favoritin, wieder zeigen, was in ihr steckt. Als Erstes natürlich in Baden-Baden, im Mai. Sie ist gut drauf, meint Peter Schiergen, mehr kann man nicht sagen. »Man darf keine zu hohen Erwartungen haben«, warnt der Jockey, Andrasch Starke. »Dass sie den Arc gewonnen hat, ist ungefähr so ungewöhnlich wie die Europameisterschaft der Griechen im Fußball.« Normalerweise, sagt er, machen die Engländer und Franzosen solche Rennen unter sich aus. Die Länder, in denen der Galopprennsport von Bedeutung ist.
Diese Saison wird Danedreams letzte als aktives Rennpferd sein. Wenn alles gut läuft, wird sie das Jahr mit dem Japan Cup beenden. Das ist zwar nicht das wichtigste, aber das höchstdotierte Rennen der Welt. Ob sie gewinnt oder nicht – Danedream hat die Welt längst verändert: die Welt der Möbelhändler Heiko und Helmut Volz, die Welt des Trainers Peter Schiergen und des Jockeys Andrasch Starke, und irgendwie auch die Welt des Pferdesports.
Nach dem Japan Cup wird Danedream in Japan bleiben, auf die Weide gehen und Fohlen bekommen. Heiko und Helmut Volz sind erleichtert, dass die Familie Yoshida, die 1500 Zuchtstuten und herrliche Anlagen besitzt, die Gestaltung der Zukunft ihrer Wunderstute übernimmt. Aber ein bisschen mitspielen möchten sie doch auch noch. Neulich war Heiko Volz in Irland. Dort hat er auf einer Auktion ein Pferd gekauft. Mary Martins heißt die neue Stute.
Mary Martins ist Danedreams Tante.
Foto: imago
Die Menschen hinter dem Pferd
Heiko Volz (oben), Helmut Volz
Die neuen Besitzer
Sie sind Vater und Sohn. Beiden gehört Danedream. Und ein Möbelhaus in Achern, ein Ort in der Nähe von Baden-Baden, wo der Pferderennsport eine große Rolle spielt. Vater und Sohn haben Danedream für einen Spottpreis gekauft und sagen: »Das macht Mut. Denn es zeigt: Jeder kann es schaffen.« Auch in einem Sport, der sonst von arabischen Scheichs und Multis dominiert wird.
Gregor Baum
Der alte Besitzer
Der Inhaber des Gestüts Brümmerhof in Niedersachsen verkaufte Danedream an Vater und Sohn Volz. Er sagt: »Ich bin stolz darauf, dass wir sie gezüchtet haben. Und niemand weiß, ob sie so erfolgreich geworden wäre, wenn sie bei uns geblieben wäre.«
Peter Schiergen
Der Trainer
Er ist seit 1981 im Geschäft, früher als Jockey, heute als Trainer. 120 Pferde stehen in seinem Trainingsstall Asterblüte in Köln. Peter Schiergen hat gesehen, dass Danedream etwas Besonderes besaß. Aber mit einem Wunderpferd hat auch er nicht gerechnet. Jetzt sagt er: »Sie ist das beste Pferd, das ich je hatte.« Im März wurde Danedream zur Galopperin des Jahres 2011 gewählt.
Andrasch Starke
Der Jockey
Er reitet seit 1989 Rennen und ist mit 1800 Siegen einer besten Jockeys Deutschlands. Aber ein Pferd wie Danedream hatte er noch nie. Er sagt: »Sie ist eine Ausnahme.« Danedream ist das zweite Pferd aus Deutschland, das je in Paris gewonnen hat. Das
letzte hieß Star Appeal und gewann 1975.
Fotos: Marc Ruehl
Fotos: Reinhard Hunger