Völlig von der Rolle

Was tun, wenn man Koch ist - und aus einer Familie kommt, in der es schon einen berühmten Koch gibt? Ob Adrià, Witzigmann oder Troisgros: Der Nachwuchs hat es erst mal schwer (aber dann..!)

Große Köche haben alle einen Ödipuskomplex, sie lernen ihr Handwerk ja schon am Rockzipfel der Mutter, in ganz jungen Jahren – sagt, nur halb im Scherz, eine Kochbuchautorin aus den Niederlanden, Lise Goeman Borgesius. Sie lebt in Paris, organisiert für eine internationale Luxushotelkette ein Kochevent, »Stars Food & Art«, und kennt deswegen berühmte Köche aus aller Welt, mit vielen ist sie befreundet.

Natürlich ist das eine gewagte These aus dem unseriösen Fach Küchenpsychologie, grob vereinfachend, durch keinerlei statistische Erhebung belegt. Klingt dennoch irgendwie plausibel. Interessant auch, was die Küchenpsychologie von den Kindern großer Köche behauptet, denen, die nicht gleich aus Protest gegen die Eltern eine ganz andere Berufslaufbahn einschlagen, sondern im Fach bleiben. Es heißt, große Köche vertrauten ihre geheimsten Rezepte niemals jemandem aus ihrer Küchenmannschaft an, sondern nur Mitgliedern der eigenen Familie, deswegen seien kochende Kinder großer Köche in der Regel auch erfolgreicher als etwa fußballspielende Kinder großer Fußballer oder verarztende Kinder großer Ärzte. Köche-Kinder bleiben auch öfter dem Beruf ihrer Eltern treu.

Die Gastronomie kennt genügend Beispiele folgsamer Nachkommen: Marc Haeberlin im Elsass, der keine Scheu vor den Fußstapfen seines Vaters Paul verspürte und sie auch ausfüllt; der Sohn von Pierre Troisgros, Michel, der in Roanne in Zentralfrankreich schon in dritter Generation ein Sternelokal führt; die Söhne von Johanna Maier, Dietmar und Johannes; oder die drei Kinder des Pariser Patissiers Gaston Lenotre, Alain, Sylvie und Annie, allesamt im Imperium des Vaters tätig. Schließlich Raül Balam, der Sohn der spanischen Fünf-Sterne-Köchin Carme Ruscalleda, die ein mit drei Sternen ausgezeichnetes Restaurant in Sant Pau und eines mit zweien in Tokio leitet. Von der Mutter lernte der Sohn das Kochen, jetzt führt er das Restaurant im »Mandarin Oriental« in Barcelona gemeinsam mit ihr, sie schaut nur einmal die Woche nach dem Rechten. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, wann auch der Sohn seinen ersten eigenen Stern erkochen wird.

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Natürlich gibt es auch einige Gegenbeispiele, Verwandte, die auf Familientradition pfeifen: Véronique Witzigmann, Tochter des Jahrhundertkochs Eckart, führte zwei Jahre lang das Restaurant des Vaters weiter, das legendäre »Aubergine« in München, dann ging sie ihren eigenen Weg und hat sich mit Erfolg auf ein paar wenige Nischenprodukte spezialisiert: Marmeladen, Konfitüren, Honig, Pesto und Chutneys (im Feinkosthandel oder über www.veronique-witzigmann-buffet.de). Ähnlich der Fall Winkler: Sohn Alexander lernte bei Vater Heinz in Aschau, wechselte dann aber erst in den Service und schließlich zu einem anderen Arbeitgeber in der Südeifel.

Letztes Jahr feierte der Gault Millau den neuen Restaurantchef des »Waldhotel Sonnora« Alexander Winkler. Der zweite Sohn von Pierre Troisgros, Claude, ließ den Bruder allein das Restaurant des Vaters und Großvaters führen und ging weg: nach Miami und schließlich New York, wo er endgültig aus der Art schlug und Fusion statt Haute Cuisine kochte.
Auch Albert Adrià, kein Kind von Ferran, so doch dessen kleiner Bruder: Zwanzig Jahre arbeitete Albert bei Ferran als Patissier in dessen Restaurant »El Bulli«, bis er vor einem Jahr plötzlich kündigte: Er hatte, wie er sagt, den Druck in der Haute Cuisine satt, sich jeden Tag aufs Neue etwas irrsinnig Originelles auszudenken. Er machte sich lieber mit einer stinknormalen Tapas-Bar in Barcelona selbstständig, natürlich sind die Tapas ganz ausgezeichnet. Spätestens bei der Erklärung seines Fallbeispiels versagt die Küchenpsychologie allerdings endgültig.