Irrtum 1: Meersalz ist gesund und schmeckt besser.
Dabei sind zusätzliche Inhaltsstoffe von groben Salzarten nur bitter, nicht gesund.
Kochsalz ist Natriumchlorid. Natriumchlorid ist Kochsalz. Es wäre so einfach, wenn Starköche das wüssten. Grobes Salz, behaupten die oft, sei »gehaltvoller« als feines. Das Gegenteil ist der Fall: Je feiner das Salz, desto mehr Natriumchlorid enthält logischerweise eine Einheit, sei es eine Prise oder ein Löffel. Weitere Inhaltsstoffe von Meersalz wie Kalium, Magnesium und Mangan schmecken eher bitter. Gourmets behaupten gleichwohl, auch Fleur de Sel, das von Hand mit Holzschaufeln von der Oberfläche von Verdunstungsbecken abgeschöpft wird, schmecke aufgrund seiner höheren Kalzium- und Magnesiumsulfat-Anteile anders, intensiver, besser als billiges Kochsalz. Weshalb die bitteren Anteile, die bei dieser Salzherstellung im Endprodukt verbleiben, in irgendeiner Weise der Gesundheit zuträglich sein könnten, wird nirgends erläutert. 125 Gramm Fleur de Sel werden derzeit zwischen fünf und acht Euro angeboten, 500 Gramm jodiertes Speisesalz zwischen 0,17 und 0,90 Euro.
Irrtum 2: Spaghetti erst ins kochende Wasser geben.
Nein, sechzig Grad reichen auch schon.
Die von so vielen ernst genommenen Nudeldogmen stammen offensichtlich aus einer Zeit, in der Nudeln noch meistens frisch zubereitet wurden. Aber moderne Trockennudeln müssen tatsächlich nicht bei hoher Temperatur garen. Die enthaltenen Eiweiße (Proteine) Gliadin und Glutenin nehmen schon bei etwa 60 Grad Celsius Wasser auf, und nur darum geht es bei der Zubereitung. Bitte schreiben Sie jetzt nicht gleich einen Leserbrief, sondern probieren Sie es einfach mal aus, Sie werden sehen: Es klappt!
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Muss Fleisch quer zur Faser geschnitten werden? Lassen Plastikkorken den Wein nicht atmen? Und acht weitere Küchenirrtümer)
Irrtum 3: Fleisch muss quer zur Faser geschnitten werden.
So steht’s in vielen Kochbüchern. Warum nur?
Falsch geschnittene Fleischstücke verlieren wertvollen Fleischsaft, heißt es oft zur Begründung. Würden Schnitzel parallel zur Faser geschnitten, schrumpften sie in der Pfanne. Wenn demnach die Menge der angeschnittenen Zellen von Bedeutung wäre, dürfte man grundsätzlich kein Geschnetzeltes oder Gulasch essen, denn das wäre ja automatisch saftarm, Pfanne oder Topf mit einer Lache an Zellflüssigkeit gefüllt und ein Anbraten somit unmöglich. Noch verheerender würde sich die Verletzung der Fleischzellen bei Hackfleisch bemerkbar machen: Die Fleischmasse müsste eigentlich schon im Fleischwolf eine nahezu flüssige Konsistenz annehmen. Dass sie das nicht tut und auch Geschnetzeltes und Gulasch durchaus anzubraten sind, liegt an der noch immer relativ geringen Zahl der Zellen, die selbst durch brutalstmögliches Zerstückeln von Fleisch verletzt werden. Denn Fleischzellen sind im Gegensatz zu länglichen Pflanzenzellen eher rund. Fleisch setzt sich aus Bündeln dieser runden Zellen zusammen und bildet Eiweißfasern. Mit oder gegen die Faser zu schneiden bedeutet keinen gravierenden Unterschied für den Fleischsaft.
Irrtum 4: Plastikkorken lassen den Wein nicht atmen.
Ein Irrtum und doch kein Irrtum.
Es stimmt, dass Kunststoff- und Glasverschlüsse Flaschen vollkommen dicht abschließen. Es stimmt aber auch, dass das gut und richtig und der Erhaltung der Weinqualität zuträglich ist. Kork ist nicht dicht. Das ist der einzige Grund, weshalb Flaschen liegend gelagert werden sollen. Die ständige Befeuchtung des Korkens erhält dessen Elastizität und diese Elastizität sorgt dafür, dass der Flascheninhalt nicht mit Sauerstoff in Berührung kommt. Oxidation, die Reaktion mit Sauerstoff, führt dazu, dass Wein sehr schnell ungenießbar wird.
Das trifft auf fast alle Lebensmittel zu und auf Wein ganz besonders. Wenn auch immer zu hören ist, Wein müsse atmen: Glauben Sie Pseudo-Weinkennern kein Wort! Schraubverschlüsse für Weinflaschen werden von Menschen, die sich für Kenner halten, strikt abgelehnt. Das dürfte nur noch so lange der Fall sein, wie sich das Ritual des Korkenziehens als Ritual der Unwissenden herumgesprochen hat und Designer sich des Themas Weinflaschenverschluss annehmen.
(Lesen Sie auf der nächssten Seite: Pilze niemals zweimal aufwärmen?
Alkohol verdampft beim Kochen? Und sechs weitere Küchenirrtümer)
Irrtum 5: Pilze niemals zweimal aufwärmen!
Geht doch – wenn man sie vollständig erhitzt!
Diese alte Küchenweisheit sitzt tief. Was aber passiert beim Aufwärmen von Pilzen wirklich? Pilze enthalten viel Eiweiß. Dieses Eiweiß dient Bakterien als Nahrung. Wärme beschleunigt jede Reaktion. Ein zweites Erwärmen, dachte man lange Zeit, führe zu einer Anreicherung der Schadstoffe, also vorwiegend der Bakterien. Dagegen werden beim ersten Erhitzen sämtliche Bakterien unschädlich gemacht. Sobald ein Pilzgericht erkaltet, kommen andere Bakterien und bemächtigen sich des guten Nährbodens. Gute Kühlung verringert diesen Vorgang. Beim zweiten Erhitzen ist also lediglich darauf zu achten, dass das ganze Gericht nochmals vollkommen erhitzt wird. Zusätzliche Giftstoffe entstehen durch das Aufwärmen nämlich nicht. In diesem Zusammenhang soll auch der noch immer verbreitete Irrtum erwähnt werden, Pilze seien nur dann giftig, wenn sich ein Löffel, vorzugsweise aus Silber, durch sie verfärbe. Diese Lehre ist der sicherste Weg zur Pilzvergiftung.
Irrtum 6: Alkohol verdampft beim Kochen
Zum Glück nicht! Alkohol ist nicht so flüchtig, wie er scheint.
Reiner Alkohol (und nur reiner) siedet schon bei 78 Grad. Mischungen von Alkohol mit anderen Flüssigkeiten, vorwiegend Wasser, sieden aber wegen des enthaltenen Wassers auch schon einmal erst knapp vor 100 Grad. Alle trinkbaren und zum Kochen verwendeten alkoholischen Getränke haben nun einen Alkoholgehalt von 9 Prozent (belgisches Bier), 12 Prozent (Wein) oder, maximal, 40 Prozent (Schnaps). Es sind darin also bis zu 91 Prozent Wasser enthalten, das einem Verdunsten (Sieden) des Alkohols erst einmal entgegenwirkt.
An der University of Idaho wurden die genauen Werte ermittelt: Eine kochende Soße oder Suppe mit Wein oder Schnaps enthält noch bis zu 85 Prozent des zugegebenen Alkohols. Längere Kochzeiten führten wie erwartet zu geringeren Anteilen. Nach einer halben Stunde waren immerhin noch 35 Prozent enthalten und selbst nach zweieinhalb Stunden enthielt eine Soße noch 5 Prozent der ursprünglichen Alkoholmenge. Also: Vorsicht bitte.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Spinat nie aufwärmen? Fischstäbchen werden aus Fischabfällen gepresst? Und vier weitere Küchenirrtümer)
Irrtum 7: Spinat nie aufwärmen!
Warum denn nicht? Das Nitrat vermehrt sich dabei nicht.
Spinat enthält eine bestimmte Menge an Nitrat. Das werde, so heißt es, bei Zimmertemperatur von Bakterien in giftiges Nitrit verwandelt. Aber warum sollte das ausgerechnet beim Spinat passieren und nicht bei wesentlich nitratreicheren Gemüsesorten wie etwa Kohlrabi, Mangold, Roten Beten? Wie »giftig« dieses Nitrit tatsächlich ist, darüber wird außerdem heftig gestritten. Beim mehrmaligen Erhitzen von Spinat auf annähernd 100 Grad wird die Menge an Nitrat aber überhaupt nicht erhöht. Nicht das Aufwärmen des Spinats ist also das Problem, sondern das, was davor passiert. Wesentlich wichtiger ist das vollständige Erhitzen von Spinatresten wegen des guten Nährbodens, die sie für Bakterien bieten. Spinatreste sollte man schnell abkühlen lassen, im Kühlschrank aufbewahren und später wieder vollständig erhitzen. Bakterien haben dann keine Chance zu überleben.
Irrtum 8: Fischstäbchen werden aus Fischabfällen gepresst.
Das Gegenteil ist der Fall: Sie werden aus Fischfilets gemacht.
Die feinsten Stücke von Kabeljau und Dorsch, Seelachs und Seehecht sind für die künstlich wirkenden goldenen Barren gerade gut genug. In den ersten Jahren nach der Erfindung der Fischstäbchen 1959 wurden sogar Heringfilets verwendet. Überfischung beim Kabeljau, für den 1994 von der EU Fangquoten festgelegt wurden, haben die drei anderen Fischarten zur bevorzugten Grundmasse für Fischstäbchen werden lassen.
Den Hauptverzehrern von Fischstäbchen ist das egal. Kinder essen ohnehin die Panade lieber als den darin enthaltenen Fisch. Fischstäbchen dürfen nach den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs bis zu 35 Prozent Panade enthalten.
Wer wirklich Fischabfälle haben will, sollte Surimi kaufen. Diese weißrosa „Fischstäbchen“ bestehen tatsächlich aus nichts anderem als aus zerkleinerten, gesiebten, getrockneten, mit Eiweiß, Stärke, Öl und Farbstoff wieder in Form gebrachten Abfällen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gepresster Knoblauch schmeckt nicht?
Muscheln nur in Monaten mit „R" essen? nd vier weitere Küchenirrtümer)
Irrtum 9: Gepresster Knoblauch schmeckt nicht.
Doch, denn mehr Zellsaft bedeutet mehr Geschmack!
Beim Pressen, heißt es in der Fernseh-Kochshow eines Komikerpaares, trete angeblich Zellsaft aus dem Knoblauch aus, und das Ganze werde bitter. Knoblauchpressen, verlangen die Anwälte der reinen Lehre, gehörten verboten, beim Schneiden trete an den Schnittkanten ausreichend Zellflüssigkeit aus. Wenn Geschmack und Gesundheit und Geruch aber tatsächlich im Zellsaft liegen (und wo sonst?), weshalb sollte man sich dann nicht bemühen, durch gnadenloses Zerstören möglichst vieler Zellen den größtmöglichen Geschmack aus einer Zehe zu quetschen? Erfahrene Köche glauben deshalb: »Nur Quetschen bringt’s.«
Irrtum 10: Muscheln soll man nur in Monaten mit „R“ essen.
Quatsch. Muscheln aus sauberen Gewässern sind das ganze Jahr über genießbar.
In Brüssel über kann man das ganze Jahr über Muscheln essen: im sonnigen Mai, in den warmen Monaten Juni und Juli und im heißen August. Nicht nur in Brüssel, auch in Paris und in anderen Städten in Belgien und Frankreich, werden das ganze Jahr über „Moules“ serviert.
Eine Restaurantkette, die aus einer 1893 gegründeten Pommes-frites-Braterei hervorging, macht’s möglich. Sie verarbeitet sechs Tonnen Muscheln täglich und kann dadurch immer frische Ware garantieren, auch im Sommer. Behauptungen, dass Muscheln nur in den Wintermonaten eine ausreichende Größe erlangen, entbehren jeder Grundlage, da Muscheln ohnehin 2 bis 3 Jahre alt werden müssen, um Verzehrgröße zu haben. Oft wird außerdem behauptet, dass die im Sommer auftretenden giftigen Algen einem Verzehr entgegenstehen. Muscheln ernähren sich unter anderem von Algen. Allerdings werden sowohl die Anreicherung des Wassers mit dem Algengift, als auch die Muscheln selbst ständig auf ihren Schadstoffgehalt überprüft.
Irrtum 11: Eier abschrecken?
Dadurch sind sie länger haltbar und leichter zu schälen, heißt es – Unsinn!
Abschrecken oder nicht abschrecken? Beim Abschrecken, fand das Schweizer Bundesamt für Gesundheit in einem Test heraus, können Bakterien durch die Schale ins Innere des Eis gelangen und sich dort vermehren, sodass »die verbreitete Praxis des Abschreckens hart gekochter Eier die Haltbarkeit stark reduziert«. In dem Test wurden Eier nach zehnminütigem Kochen entweder ohne weitere Behandlung oder nach Abschrecken bei Raum- oder Kühltemperatur gelagert. Die bakterielle Untersuchung ergab: Nicht abgeschreckte gekochte Eier sind bei Raumtemperatur mindestens drei Monate haltbar. Bei abgeschreckten Eiern ist die Haltbarkeit, also die Bakterienvermehrung, stark von der Lagertemperatur abhängig. Das Abschrecken nützt also nichts. Nur bei weich gekochten Eiern wäre ein Abschrecken damit zu begründen, dass man so ein Nachgaren verhindert. Ob sich ein Ei gut oder schlecht pellen lässt, hat erst recht nichts mit dem Abschrecken zu tun. Die Schweizer kamen zu dem Schluss: »Die Schälbarkeit abgeschreckter und nicht abgeschreckter Eier erwies sich als gleichwertig.« Es hängt vielmehr vom pH-Wert des Eiklars ab, ob sich die Schale gut löst. Ist der pH-Wert niedrig, klebt die Schale an der dünnen Haut zwischen Eiklar und Schale fest.
Irrtum 12: Steaks und Rinderbraten sind innen blutig.
Falsch. Fleisch enthält gar kein Blut.
Wäre das der Fall, würde es gerinnen und eine unschöne dunkle Färbung annehmen. Tiere werden geschlachtet, indem ihnen das Blut abgelassen wird. Durch einen Bolzenschlag auf das Gehirn oder, bei Kleintieren, einen Stockschlag ins Gesicht sind sie schon vorher betäubt. Durch das Ablassen des Bluts tritt Herzstillstand ein und das Tier wird zum Stück Fleisch. Das „Blutige“ des Fleischs rührt von der Zellflüssigkeit her, die im Gegensatz zum roten Blutfarbstoff Hämoglobin einen verwandten Farbstoff, das Myoglobin enthält. Das gibt dem Muskelgewebe seine rote Farbe. Beim Kochen und Braten wird das Myoglobin zu einem Stoff umgewandelt (Biochemiker nennen es „denaturiert“), der Met-Myoglobin heißt. Durch diese Umwandlung erhält das Fleisch seine graue Farbe. An der Oberfläche wird es durch die Maillard-Reaktion braun und innen ist es, wenn es schmackhaft bleiben soll, „blutig“, ohne dass ein Tropfen Blut im Spiel wäre.
Alle Texte aus der Neuerscheinung: »Kleines Lexikon der Küchenirrtümer« von Ludger Fischer im Eichborn Verlag