"Warum sehen Lampen nicht aus wie Scheinwerfer eines Lamborghini?"

Ein Gespräch mit dem Designer Konstantin Grcic über Designer, Unternehmensberater und Sitzkomfort.

SZ-Magazin: Herr Grcic, Ihr Beleuchtungssystem »Lunar«, das Sie gerade für Flos entwerfen, sieht aus wie eine Raumsonde und hat auch ähnliche Ausmaße. Passt das auch ins Wohnzimmer?

Mit entsprechender Deckenhöhe ist es durchaus für zu Hause geeignet. Eigentlich ist Lunar aber für den öffentlichen Bereich gedacht. Es gibt kaum mehr Lampen für die Größe der Räume, die heutzutage gebaut werden. Denken Sie nur an Ingo Maurers überdimensionalen Lampenschirm »Dome« – es gibt einen Bedarf für derartige Großformate.

Man könnte sich Lunar auch gut über einem Boxring vorstellen.
Oder über der Bühne eines Rockkonzerts. Tatsächlich haben alle diese Einflüsse eine Rolle gespielt. Wichtig war mir, eine Ableitung zu finden, wo denn neue Ideen für Lampen herkommen. Zum Beispiel von der Automobilindustrie. Da treffen sich High Performance und Styling.

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Sie meinen die Scheinwerfer- und Rücklichter neuer Autos?
Nicht nur neuer. (Grcic führt erste Entwurfscollagen vor, die surreal in Räumen verteilte Sportwagenscheinwerfer zeigen.) Mein erster Gedanke war: Warum sehen Lampen für Räume nicht aus wie die Scheinwerfer eines Ferrari Dino oder Lamborghini Murciélago?

Oder wie eine Mondsonde. Auffallend ist bei Lunar die Gerüstkonstruktion, die auch schon Ihren Stahlstuhl »Chair One« auszeichnete.
Konstruktionen interessieren mich immer. Aber nicht als Stil, sondern als Logik, als Methode, etwas zu bauen. Es gibt verschiedene Auffassungen von Licht: die immaterielle, quasi unsichtbare, bei der das Licht aus dem Nichts zu kommen scheint, oder die physische, mit Leuchtkörpern. Mich interessierte Letzteres. Lunar besteht aus einem ganz einfachen Rohrrahmen, der erweiterbar ist. Er kann mit diversen Leuchtelementen bestückt werden, aber natürlich auch mit einem Kronleuchter.

Ihr Beitrag besteht also nur aus dem Rohrrahmen? Hat Sie das nicht unterfordert?
Design muss nicht immer alles neu machen. Mir ging es darum, einen Knoten zu konstruieren, der verschiedene Lichtstimmungen erzeugen kann. Es gibt ja architektonische Räume, die je nach Tageszeit unterschiedliche Lichtsituationen benötigen. Tagsüber helles Neonlicht, abends eher warmes, vielleicht farbiges Licht, manchmal ein sehr gerichtetes Licht. Worum es mir gar nicht ging: die absolute Kontrolle des Designs. Lunar ist wandelbar und offen für weitere Entwicklungen. Wer weiß, vielleicht gibt es in ein paar Jahren ganz neue Leuchtquellen?

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Der Designer als DJ, der sozusagen bereits bestehende Produkte sampelt?
Vielleicht. Lunar ist ein Gepäckträger. Die Idee ist, existierende Komponenten, in diesem Fall sehr unterschiedliche Lampen und Strahler der Firma Flos zusammenzupacken und in ein neues Produkt einfließen zu lassen. Es belegt einen Wandel in meiner Auffassung von Design, aber auch einen Wandel bei den Firmen, der uns Gestalter vor neue Herausforderungen stellt. Mir gefällt die Vorstellung, dass wir als Designer heute gar nicht mehr alles gestalten müssen. Es ist eine symptomatische Entwicklung, dass das Aufgabenfeld für Produktdesigner sich mehr und mehr öffnet, hin zum Berater.

Ein anderer Trend ist der hin zum Designer als Star. Früher assoziierte man gutes Design mit bestimmten Firmen, jetzt machen die Firmen regelrecht Jagd auf Stardesigner.
Richtig ist: Der Gestalter als Autor wird selbst zur Marke. Beispiel: Philippe Starck. Das ermöglicht den Firmen, sich mit anderen bekannten Marken zu verbinden: Adidas mit Yamamoto, Prada mit Rem Koolhaas und viele andere. Solche Fusionen funktionieren aber nicht immer. Manchmal sind sie nur ein Marketing-Gag. Interessanter finde ich, dass Designer zunehmend in strategischen Entscheidungen der Firmen Einfluss gewinnen.

Was macht einen Designer zum Unternehmensberater?
Gestalter haben ja ein gewisses analytisches Denken. Nicht umsonst wird der Begriff Design auch neuerdings angewendet für Organisationsstrukturen, für Prozesse, die es zu optimieren gilt. Das gefällt mir, denn es zeigt eine Seite von Design, die nichts mit Lifestyle, überteuerten Produkten und Chichi zu tun hat. Man kann ja auch einen Flugplan designen. Design als Software oder Struktur. Als Prozess, etwas durchzudenken und kreativ zu strukturieren.

Neben Lunar werden Sie auf der Mailänder Möbelmesse Ihren viel diskutierten Freischwinger »Myto« vorstellen. Was reizt Designer an Stühlen? Es gibt ja schon so viele.
Stühle haben diesen direkten Bezug zu uns Menschen und unserem Körper, wir sitzen auf ihnen, täglich. Ein Stuhl stiftet Projektionsfläche. Auf einem schönen Stuhl fühle ich mich selbst schöner, auf einem strengen Stuhl oder einem barocken überträgt sich diese Aura ebenfalls auf mein Befinden. Es ist faszinierend, wie stark wir Menschen uns mit Stühlen identifizieren, und deshalb bleibt es immer reizvoll, neue Stühle zu entwerfen.

Im Gegensatz zum asketischen Chair One ist Myto regelrecht bequem. Ist Sitzkomfort eine Kategorie für Sie?
Bequem heißt für mich nicht unbedingt weich, gemütlich oder gar orthopädisch. Jeder sitzt auf einem Stuhl anders. Und man sitzt ja auch nicht immer in derselben Haltung. Das muss man sehr differenziert betrachten. Bei der Gestaltung von Stühlen interessiert mich auch die Psyche der Menschen.

Das müssen Sie uns erklären.
In der Öffentlichkeit sitzt man zum Beispiel anders als zu Hause. Man ist da viel vangespannter, und das hat Einfluss auf unsere Vorstellung von Komfort. Ich würde zum Beispiel im Café, wenn ich auf jemanden warte, eher auf der Vorderkante des Stuhles sitzen. Das ist in dem Moment für mich viel bequemer als tief in ein Kissen einzusinken.

Konstantin Grcic, 42, lebt in München. Seine Produkte für Firmen wie ClassiCon, Flos, Authentics, Thomas/Rosenthal, Muji oder Moormann wurden vielfach ausgezeichnet, seine Leuchte »Mayday« in die Sammlung des Museums of Modern Art in New York aufgenommen.
Aktuelles Projekt: Lunar, ein wandelbares Beleuchtungssystem für große Räume.