Der Schriftsteller Peter Handke hat neulich im Gespräch mit der Zeit gesagt: »Es ist mir manchmal zugestoßen, dass ich mich schlecht verhalten habe, in privaten Dingen. Das kann ich mir nicht verzeihen.«
Damit kann alles Mögliche gemeint sein, wir wissen es nicht. Denkbar wäre, dass es um seine frühere Lebensgefährtin geht, die Schauspielerin Marie Colbin. Sie schilderte vor zwanzig Jahren eine Auseinandersetzung in einem offenen Brief so: »Ich höre noch meinen Kopf auf den Steinboden knallen. Ich spüre wieder den Bergschuh im Unterleib und auch die Faust im Gesicht.« Handke selbst gab das später durchaus zu, mit folgenden Worten: »Ich habe ihr einen Tritt in den Arsch gegeben. Ich glaube, ich hab ihr auch eine heruntergehauen. Ich wollte einfach arbeiten, und das ging nicht. Trotzdem war das nicht gut. Ich habe mich auch selber nicht gemocht.«
Das kommt vor, dass man sich selbst nicht mag, nicht wahr? Handke scheint ja einen Hang zum Cholerischen zu haben, seine Tochter Amina erzählte einmal dem Standard, der Vater habe sich den Mittelhandknochen gebrochen, als er in nicht nachlassendem Ärger über den laut bellenden Hund des Nachbarn gegen den Zaun geschlagen habe, »mit einem dicken Goethe-Buch in der Hand«. (Es wird doch nicht der Faust gewesen sein?)
Was mich aber mehr beschäftigt als diese Privatsachen, ist die Wendung Es ist mir manchmal zugestoßen. Handke bekommt ja den Literatur-Nobelpreis, dem Komitee zufolge, »für ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung untersucht« – also ist es quasi unmöglich, dass die erwähnte Wendung zufällig gewählt ist. Sprachliche Genialität, also bitte, so hat man ihn immer schon gefeiert! Für seine Könnerschaft im Umgang mit Wörtern.
Um so erstaunlicher ist bei einem solchen Virtuosen der Gedanke, das eigene Verhalten könnte einem irgendwie zustoßen, vor allem, wenn die Formulierung so komplett und geradezu grotesk im Widerspruch zum folgenden Satz steht: dass er sich das nicht verzeihen könne.
Weshalb, um alles in der Welt, sollte man sich denn etwas verzeihen, das einem zugestoßen ist!? Für diesen Zustoß ist man doch gar nicht verantwortlich zu machen, was gibt’s da zu verzeihen? Im Gegenteil, in diesem Gedankengebäude verharrend, wird man letztlich den Hund des Nachbarn dafür zur Rechenschaft ziehen müssen, dass er einem durch sein Bellen quasi den Mittelhandknochen gebrochen habe. Oder den Nachbarn selbst. Oder sogar Goethe, mit seinen dicken Büchern? Nein, Unsinn! Überhaupt niemand trägt eine Verantwortung, weil der Wutausbruch, in dessen Rahmen einem das erwähnte schlechte Verhalten zustieß, sich eben ereignete.
Handke-Kenner werden nun darauf zu sprechen kommen wollen, dass dies ein Charakteristikum Handke’schen Erzählens sei, »diese Grundlosigkeit des Geschehens«, wie das einmal ein Rezensent der Obstdiebin (ebenfalls in der Zeit) genannt hat: Die Figuren des Autors seien geradezu Affektbündel, immer zornig, rachelustig, aufschluchzen-wollend – aber niemals würde Handke nach einem Motiv dafür suchen, niemals würde er sich mit Psychologie beschäftigen. »Die Wut«, meint der Kritiker, »kommt wie ein Unwetter, vielleicht nicht grundlos, aber doch mehr den ewigen Gesetzen von Spannungsaufbau und Entladung folgend.« Handke zu lesen, jedenfalls Die Obstdiebin, gleiche »eher einer Meditationsübung«, es gehe nicht um Handlungsaufbau, Imagination, Konflikte, nur um das Spüren der eigenen Gliederschwere, wenn der Erzähler vom Bergaufgehen berichte.
Manche finden das faszinierend. Andere sind der Meinung, dieser Literatur fehle, was eben wirklich faszinierend sei, die Suche nach dem Warum. Für heute wollen wir uns mit der Erkenntnis begnügen, dass Handke selbst anscheinend eine Handke-Figur ist, der nun der Nobelpreis verliehen wird. Oder sagen wir, Handke wird die Verleihung zustoßen?