Als Kinder dachten wir, es müsse eine absolut größte Zahl geben, nach der keine andere Zahl mehr komme. Alle Kinder denken das. »Gottesdienst ist die höchste Zahl, aber die gibt es nicht mehr«, sagte mein ältester Sohn, als er klein war. Ich fragte mich, woher er von der Abschaffung der höchsten Zahl wusste und welches die zweithöchste Zahl war, aber ich vergaß damals, ihn zu fragen, und heute weiß er es nicht mehr.
Der Mathematiker Robert Kaplan, der in Harvard lehrt, schreibt in Die Geschichte der Null, eine Siebenjährige habe ihm erzählt, die letzte Zahl von allen sei 23000. »›Wie steht’s mit 23000 und eins?‹, fragte ich sie und bekam nach einer kurzen Pause zur Antwort: ›Aber ich war nahe dran.‹«
Warum denken Kinder das? Zuerst überlegte ich, wer die Welt zu begreifen beginne, müsse das Stück für Stück tun und sie sich nicht gleich in unbegreiflich riesigen Dimensionen vornehmen. Dann dachte ich: Vielleicht stimmt es ja. Vielleicht gibt es wirklich eine allerletzte Zahl… Wer ist der reichste Mann der Welt? Dagobert Duck. Wie viel Geld besitzt er? Da differieren die Angaben. In deutschen Heften heißt es mal »9 Phantastilliarden, 657 Zentrifugillionen Taler und 16 Kreuzer«, dann »5 Pimpillionen, 396 Tripstrillionen«; in amerikanischen Quellen werden »five billion quadroplatillion umptuplatillion multiplatillion fantasticatillion centrifugalillion Dollars and sixteen Cents« genannt. Wobei Duck selbst die Geldmenge am Pegelstand des Geldspeichers oder in »Kubikhektar« misst. Woraus wir ersehen, dass reiche Menschen ein konkretes Verhältnis zum Geld haben. Sie schätzen dessen Greifbarkeit.
Übrigens haben auch weniger Reiche diese Beziehung zum Geld, eigentlich alle Menschen. Geld hat man am besten in der Tasche: Kohle, Asche, Schotter, Bimbes. Schon auf dem Konto ist es einem manchmal zu weit weg, und wenn man’s angelegt hat – tja. Sein Geld möchte man anfassen, am liebsten würde man nach Duck-Art darin herumwühlen wie ein Maulwurf. Wenn es bloß reichen würde.Kommt nicht das Unheil, das die Weltwirtschaft befallen hat, davon, dass man sich zu weit von dieser Realbeziehung entfernt hat?
Tom Wolfe, der Autor von Fegefeuer der Eitelkeiten, hat gesagt, an der Finanzkrise sei der Computer schuld, weil kein Investmentbanker kompliziert-langweilige Texte am Bildschirm lesen könne; also habe man Hypothekendarlehen bewilligt, denen kein Kundiger zugestimmt hätte, wären sie ihm in Papierform vorgelegen. Bloß um das Zeug vom Schirm wegzuhaben.
Und haben sich in der Wall Street spielende Jungs und Mädchen nicht so von allem Fassbaren entfernt, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnten, es habe irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun, was sie da täten? Sie spielten, wie wir einst mit Modelleisenbahnen und andere Generationen mit Computerspielen. Allmächtige Kinder. Sie begannen zu glauben, stand in der New York Times, »der Wert, den sie allen möglichen Arten von Vermögen zugeschrieben hatten, sei tatsächlich vorhanden, weil, nun ja, weil sie denen das eben zugeschrieben hatten«.
Eine infantile Welt, auf sich selbst bezogen. Nun lesen wir unglaubliche Ziffern, Geldbeträge weit jenseits von 23001, die täglich irgendwo hingepumpt werden, zur Flutung der Märkte. Und man hofft, dass es sie gibt, die Ultimativzahl, bei der irgendeiner sagt: Gottesdienst! Mehr geht nicht, mehr gibt’s nicht. Denn diesmal ist es: richtiges Geld.
Leser S. aus Marktoberdorf schickte mir einen Auszug aus dem Handelsregister, eine Liste von Firmen, die »wegen Vermögenslosigkeit gelöscht« wurden, darunter »Yvonne’s Schnipp-Schnapp Friseursalon GmbH«, aber auch, sieh an!, die »Schickeria GmbH, Hohenbrunn«.
Bald ist Buchmesse. Herr V., Hort-Erzieher, belauschte zwei Siebenjährige, die sich über einen Disney-Film unterhielten, es war wohl Der König der Löwen.
Sagt der eine: »Ich hab das auf Buch.«
Illustration: Dirk Schmidt