Ferien auf dem Land. Ich fahre mit dem Wagen hinaus aus dem Weiler, in dem wir für eine Weile weilen, über eine schmale Straße, vorbei an Wiesen, Kälbern, Apfelbäumen. Die Sonne scheint. Ich habe den Regentag gestern genutzt, mein Auto zu putzen, das heißt, ich habe jene alten Papiertaschentücher, zerbrochenen Spielzeugreste, leeren Weingummitüten und zerknüllten Strafmandate, die den Boden meines Fahrzeugs bedeckten, in den Müll geworfen und den Wagen kräftig mit dem Sauger durchrüsselt, ja, ich habe das Cockpitspray Caramba benutzt, um den Armaturen etwas Neuwagenglanz zurückzugeben.
Fahre nun auf der erwähnten Strecke ins Grüne, greife in ein Fach in der Mittelkonsole, entnehme ihm ein Bonbon, wickle es aus dem Papier und stecke es in den Mund. Das Bonbon. Aber wohin mit dem Papier?
Ich spüre, dass ich es nicht ertragen würde, den gerade zurückgewonnenen inneren Glanz des von meiner Familie (also von Paola, Luis und Sophie) vermüllten Autos Minuten später durch die Anwesenheit leeren Bonbonpapiers zu zerstören. Natürlich könnte ich das B., wie ich es gewöhnlich tue, im Schlüsselfach ablegen – aber jetzt möchte ich das nicht, dieses eine Mal möchte ich es nicht.
Also lasse ich die Fensterscheibe hinuntersurren und werfe das Bonbonpapier hinaus, wo es in majestätischer Flugbahn absegelt. Und fahre weiter.
Sekunden später sehe ich im Rückspiegel einen Mann auf einem Rennrad, gestikulierend. Ich halte. Er hält auch.
»Das darf nicht wahr sein«, sagt er, »dass Sie Bonbonpapier in die Landschaft werfen.«
»Es ist aber wahr«, sage ich. »Ich habe es getan.«
»Aber das macht man doch nicht.«
»Aber ich mache es. Ich habe es noch nie getan. Noch nie in meinem Leben habe ich ein Bonbonpapier ins Grüne geworfen. Aber heute warf ich. Ich finde, einmal im Leben sollte jeder Mensch das Recht haben, ein Bonbonpapier achtlos in die Landschaft fliegen zu lassen.«
»Wenn das jeder tun würde …«
»Ich bitte Sie! Es war keine Matratze und kein alter Kühlschrank. Es war ein Bonbonpapier.«
»Sie argumentieren hier herum. Ich würde ja nichts sagen, wenn Sie sich einfach entschuldigen würden. Aber so …«
»Sind Sie ein radelnder Ablasshändler? Kann man durch eine Entschuldigung bei Ihnen eine Umweltsünde loswerden?«, frage ich, drücke den Scheibenknopf und fahre.
Bruno, mein alter Freund, sagt, er habe einmal als Kind eine leer getrunkene Tüte Capri Sonne auf dem Heimweg von der Schule an einen Baum geworfen und dort liegen lassen. Noch heute könne er sagen, welcher Baum das war, bis jetzt habe er sich das nicht verziehen. Es sei ein einschneidendes Erlebnis gewesen, so intensiv, dass er seitdem nie wieder etwas Vergleichbares getan habe.
»Das habe ich nun auch hinter mir«, sage ich. »Aber ich frage mich, ob es ein intensiveres Erlebnis gewesen wäre, wenn dieser Mann nicht aufgetaucht wäre. Wenn ich allein geblieben wäre mit meinem Über-Ich und meinen Schuldgefühlen. So wie du.«
Sein Vater, sagt Bruno, habe bei Wanderungen bisweilen eine Plastiktüte bei sich, um den Müll anderer Leute aufzusammeln. Nicht lange reden, sei seine Devise. Handeln. Das sei doch eigentlich das oft geforderte Bürger-Engagement.
Das wäre für den Radler auch eine Möglichkeit gewesen. Still mein Papier einsammeln. Nicht Trotz in mir wecken, die Aversion gegen Hausmeistertypen, die einen zurechtweisen. Ich könnte zum Wiederholungstäter werden, wenn ich an den Mann nur denke. »Wie sieht dein Auto jetzt aus?«, fragt Bruno, so nebenbei. »Immer noch schön clean?« Und ich seufze.
Illustration: Dirk Schmidt