Das Beste aus aller Welt

In Nepal gibt es so viele Berge, dass die Regierung jetzt einige verkaufen will. Was unseren Kolumnisten zu der Frage bringt, worin überhaupt der tiefere Sinn der Berge liegt. Warum stehen sie so felsig-dominant in der Landschaft herum?

Immer wieder wird mir von Lesern die Frage gestellt, welchen Sinn eigentlich die Berge hätten. Warum gibt es überhaupt Berge, welche tiefere Bedeutung hat ihre Anwesenheit auf dem Globus?

Ich denke, man kann sagen, dass Berge zunächst einer gewissen Abrundung der Landschaft dienen. Wer jemals in den Niederlanden war, kennt die bohrende Langeweile, die eine berglose Natur verströmt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde strömt Jahr für Jahr die gesamte holländische Bevölkerung nach Süden: Auch der Niederländer möchte seinen Blick nicht immer ins Nichts des Horizonts richten, sondern einmal ein Ende sehen: die Berge. Gäbe es die Alpen nicht, Italien wäre ja von Bayern aus praktisch sichtbar und in noch größerer Geschwindigkeit zu erreichen. Aber liegt nicht der Reiz Italiens für uns Deutsche auch darin, dass wir es erst nach Überwindung dieser Berge erreichen können? Dass wir gar ein Land wie Österreich zu durchfahren haben?

Niemand kann das besser beurteilen als der Münchner: Schaut er nach Norden, blickt er gen Ingolstadt, Hannover und Hamburg, dreht er sich um, sieht er die Berge. Wohin aber fahren die Münchner, wenn es ihre Zeit erlaubt? Na also. Hat man je einen Münchner sich freiwillig im Norden der Stadt aufhalten sehen? Sag ich doch.

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Man kann vielleicht, dies zusammenfassend, zunächst einmal sagen: Die Berge sind geschaffen worden, um eine Abwechslung ins Leben der Menschen zu bringen. Und es ist nicht übertrieben zu behaupten: Im flachen Land wird gearbeitet, in den Bergen macht man Urlaub. Das Geld, das unten verdient worden ist, wird oben ausgegeben, bei den Hüttenwirten, Zimmervermietern, Maut-Eintreibern, Saunalandschaftsbesitzern, Ski-Fabrikanten und Mountainbike-Verleihern. Wie das Wasser über den Ebenen verdunstet, um dann über den Bergen aus den Wolken zu fallen, so steigt auch das Geld zu den Gipfeln hinauf, um dort als warmer Regen anzukommen.

Die Alpen sind in diesem Sinne ihrem Zweck perfekt zugeführt. Anders ist es mit dem Himalaja. Der Himalaja ist, seien wir ehrlich, für die Zwecke des Menschen irgendwie total übertrieben; alles ist zu hoch, zu gefährlich, zu kalt, zu tief verschneit. Pure Schöpfungsprotzerei. Einzig der Mount Everest kann als touristisch mittlerweile perfekt erschlossen gelten, in diesem Frühjahr wird seine Erstbesteigung über den Nordost-Fahrstuhl erwartet, ein Kitzbüheler Konsortium unter Leitung von Hansi Hinterseer eröffnet dann dort eine Zirbelstube, man schwankt noch, ob der Laden Das Dachl heißen soll oder einfach Rooferl.

Jedoch: Allein in Nepal gibt es weitere 326 Gipfel, mancher noch ganz und gar unbestiegen, wie man hört. Während am Mount Everest die Schlange der Bergsteiger bis in die untersten Basislager reicht, ja, bisweilen sogar schon an der Zollkontrolle am Flughafen von Kathmandu ihren Anfang nimmt, herrscht auf dem Nuptse Nup II oder dem Tengi Ragi Tau bisweilen geradezu gähnende Leere. Das nepalesische Tourismus-Ministerium überlegt deshalb nun, gewisse Berge im Leasing-Verfahren privaten Unternehmen zu überlassen, um ihre Erklimmung besser zu vermarkten.

Man kann das nur begrüßen. Immer wieder kommt einen ja, liegt man nachts im Bett und denkt wieder einmal an den Himal Chuli oder den Jannu, so ein Gefühl von Sinnlosigkeit an: So hoch sind sie, so leer, so wenig beklettert, auch so schlecht sichtbar aus den Ebenen. So wenig genutzt für die Zwecke des Menschen.

Wenn man es aber recht bedenkt: Liegt nicht hier auch eine mögliche Antwort auf die Erkundigung nach dem Sinn hoher Berge? Dass sie uns nämlich ihrerseits schon durch ihr schieres Herumstehen fragen, ob wir das Nichtnutzbare und das Nichtauszubeutende, das, was einfach nur da ist, ohne dass man es irgendwie zu Geld machen, verwerten oder sonst wie kommerziell erschließen könnte – ob wir so etwas eigentlich überhaupt noch ertragen?

Illustration: Dirk Schmidt