Nun also das neue Jahr.Zum Ende des vergangenen Jahres hatte sich etwas in der Besteuerung von Lebensversicherungen geändert, fragen Sie nicht, was, ich habe es nicht komplett verstanden. Nur kapierte ich, dass es von Vorteil für mich wäre, noch vor Silvester eine Lebensversicherung oder etwas in der Art abzuschließen. Und mein Versicherungsvertreter, Herr A., besuchte mich einige Male, um dies und auch noch einiges andere mit mir zu besprechen, zum Beispiel eine neue Unfallversicherung, eine bessere Haftpflichtversicherung, einige Aspekte meiner Krankenversicherung – worüber Versicherungsvertreter eben gerne reden.So klang das Jahr harmonisch aus in Unterhaltungen über meinen vorzeitigen Tod durch Unfall, Krankheit oder Altersschwäche (»Unfalltod« oder »Normaltod«, um mit Herrn A. zu sprechen), über eine eventuelle Berufsunfähigkeit durch frühe Altersdemenz oder eine voraussehbare chronische Niedergeschlagenheit bei Verlust aller meiner Familienangehörigen, über meinen finanziellen Ruin durch seitens der Haftpflicht nicht abgedeckte, von meinem Sohn Luis verursachte Schäden an Atomkraftwerken sowie über meine rentenmäßige Absicherung im Falle einer Pockeninfektion durch islamistische Attentäter.»Kein schönes Thema jetzt«, murmelte A. ab und zu, wenn wir zum Beispiel die Frage der »Gliedertaxe« besprachen, also den finanziellen Wert einzelner Körperteile, wobei wir uns eine Weile dabei aufhielten, welche abgestuften Bedeutungen meine jeweiligen Finger für die Bedienung der Computertastatur haben – eine Frage, über die ich bis dahin nicht nachgedacht hatte. Wie man ja überhaupt die meisten Risiken im Leben erst erkennt, wenn man aufgefordert wird, sich gegen sie abzusichern.Jedenfalls erkannte ich in meinen Gesprächen mit A. derartig viele solcher Risiken, dass mir ganz schwummerig wurde und ich in eine Art Gehirntaumel geriet, in dessen Verlauf ich nicht mal mehr richtig zwischen einzelnen Versicherungsarten unterscheiden konnte. Ich sah nur noch ein riesiges, allumfassendes Lebenshaftunfallpflicht-Paket vor mir. Und A., dem mein Zustand nicht verborgen blieb, wurde immer zarter in seiner Ausdrucksweise – bis er ein Wort wie »Tod« überhaupt nicht mehr benutzte, sondern nur noch von meinem »Ableben« sprach.Ich war also am Ende des vergangenen Jahres in einer Verfassung, in der mir das Leben als einzige gigantische Gefahr erschien.Stand ich mit Luis im Spielzeugladen vor den Flugzeugmodellen (wobei er sofort fantasierte, wie herrlich es sein müsse, ein solches zu besitzen und durch die Lüfte fliegen zu lassen), so erschien vor meinem inneren Auge sogleich ein solches Modell, das sich in einer Hochspannungsleitung verhedderte, diese zerstörte und dadurch Oberbayern für Tage von der Stromzufuhr abschnitt – mit der Folge gigantischer Schadenersatzklagen gegen mich.Bat mich Paola, in kühler Winternacht ihr Bett mit einem Kirschkernkissen vorzuwärmen, so sprach ich zu ihr gleich von jenem Ehepaar, dem (wie ich in der Zeitung gelesen hatte) ein überhitztes Kernkissen zunächst das Bett, dann die gesamte Einrichtung in Flammen gesetzt hatte – dies unmittelbar nach einer teuren Wohnungsrenovierung.A. schloss ein umfangreiches Paket mit mir ab. Ich bin seitdem mit dem Detailstudium der Verträge beschäftigt und habe festgestellt, dass mich in Zukunft auch von mir selbst verursachte »Gewässerschäden aus Kleingebinden« sowie mein Hinscheiden durch »passives Kriegsrisiko (Überraschungsklausel)« kalt lassen können, zumal ich Anspruch auf eine »Kurbeihilfe« habe. Ich rätselte daran eine Weile herum, vermutete zunächst einen Druckfehler und dachte an »Kurbel-Hilfe« oder »Kürbis-Hilfe«, bis ich merkte, dass es um eine Kur-Beihilfe ging. Mein Versicherungsschutz gelte auch dann, lese ich, wenn ich »bei inneren Unruhen« den Tod gefunden hätte.Bei inneren Unruhen... Ich bin aber innerlich nicht mehr unruhig. Nur hoffe ich, dass bis Ende dieses Jahres einmal keine neuen Steuer-Regelungen für Versicherungen eingeführt werden.