Der Sprach-Wertstoffhof (VII): Eine der schönsten Einlieferungen erreichte mich aus Karlsruhe, von Frau S. nämlich, die sich an einen Schuster erinnerte, in dessen Schaufenster ein Schild mit folgender Aufschrift stand:»Auf Absätze kann gewartet werden.«So etwas landet gar nicht erst auf dem Wertstoffhof, es wird direkt über meinem Schreibtisch befestigt, an dem ich bedrängt werde von Redakteuren, Verlegerinnen und Buch-Herstellern, die Texte wollen, Texte, Texte, Texte … Ich kann nun auf dieses Schild verweisen und auf die Wartebank neben dem Tisch. Ein Absatz dauert ja nicht lange, darauf können die Leute warten, aber ganze Manuskripte müssen weiterhin nach einigen Tagen abgeholt werden. Ich gebe dazu diese kleinen Nummernzettel aus, Sie kennen das vom Schuster oder aus der Wäscherei.Das Wort »Absätze« führt zu einem verwandten Thema, dem Trennungsstrich, der, an falscher Stelle gesetzt, die wunderbarsten Wörter zu erzeugen hilft. Nicht aus dem Kopf geht mir der Beitrag von Frau M. bei brigitte.de (wo sich ein Forum seit zweieinhalb Jahren mit dem Weißen Neger Wumbaba beschäftigt): M. schreibt, sie habe an einer Frankfurter Werkstatt das Wort »Fahrzeuginnenausbau« gelesen und eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass es nicht um »Fahrzeuginnen-Ausbau« gehe, sondern um »Fahrzeug-Innenausbau«. (Die taz hätte sicher von vorne herein »FahrzeugInnen-Ausbau« geschrieben.)Bei diesem Thema könnte man sich lange aufhalten; uns soll jetzt die Zuschrift von Frau H. aus Celle genügen, die in einem Artikel über das Kaufverhalten Jugendlicher den Begriff »Kleiderkaufalter« so getrennt fand: Kleiderkau-Falter. Womit ein neues Wort für »Motte« gefunden wäre, auch wenn der Verfasser was anderes meinte.Und halt!, drei Briefe betrafen das Wort »Rohrohrzucker«, das man oft auf Lebensmittelpackungen findet. Rohr-Ohr-Zucker. »Ist das etwa der Zucker, den man sich per Rohr ins Ohr blasen lässt?«, fragt Herr E. aus Braunschweig. Oder Zucker, der, im Gegenteil, »aus dem Ohr durch ein Rohr rieselt«? (Wie Herr S.-H. zu bedenken gibt, der über den Begriff auf Zugfahrt von Berlin nach Oldenburg stolperte.) »Wächst das aus den Ohren, wenn man Müsli isst?«, fragt schließlich Frau M. in einer Mail. Oder ist es Roh-Rohr-Zucker? Nein, Gott, wie langweilig.Wenn wir bei Lebensmitteln sind: Dr. P. aus München war als Lebensmittelchemiker tätig und entdeckt dabei ein Wort, das sich tief im Getreidegesetz versteckte, wie sich unbekannte Tierarten im Dschungel verbergen. Das Wort heißt »Gengemenge« und befand sich, bis Dr. P. es mit Hilfe komplizierter chemischer Verfahren von seinem Umfeld trennte, mitten in »Roggengemengemehl«.Übrigens verdankte ich P. seinerzeit auch die Entdeckung des schon erwähnten weißen Negers Wumbaba, der sich im »weißen Nebel wunderbar« von Matthias Claudius’ Lied Der Mond ist aufgegangen zu verbergen suchte. Wumbaba aber hat in den letzten Jahren eine Reihe von Freunden um sich geschart, die ihr Dasein alle dem schlechten Hören der Deutschen verdanken.1. Der Kinder-Lehmann, vor dem Herr R. aus München als Kind oft von seiner Mut-ter gewarnt wurde – dabei meinte sie indes die Kinderlähmung.2. Harry, der Ungeliebte. Herr B. aus Hannover schuf ihn, als er einst im Englisch-Unterricht die zuerst von den Supremes, später auch von Phil Collins gesungene Zeile »You can’t hurry love« so übersetzte: »Du kannst Harry nicht lieben.«3. Der Schlächter Müller, den Frau H. aus Brandenburg im Lied Das Wandern ist des Müllers Lust kennenlernte, wo es heißt: »Das muss ein Schlächter Müller sein, dem niemals fiel das Wandern ein.«4. Herr Fleischhals, der seine Existenz der Schwester von Frau P. aus Berlin verdankt, die als Kind »Danke, gleichfalls« als »Danke, Fleischhals« verstand.5. Der Blutaugust, den mir Frau A. aus Düsseldorf schickte. Sie kannte in der Kind-heit das Wort »Erguss« nicht, hat aber einen Vater, der August heißt. So wurde aus dem Bluterguss der schauerliche Blutaugust, dem im Hause A. der Diener Sauer zur Seite stand, der eine Vergangenheit als Dinosaurier hat.Sie alle helfen im Sprach-Wertstoffhof mit, für manche ist es eine Art Resozialisierung. Zu tun ist hier genug.Auf Wiederhören, auch im Namen meiner Mitarbeiter.
Illustration: Dirk Schmidt