Kürzlich nahm ich den Tagesbefehl zum Veteranenbegriff von Frau Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung, zur Hand. Als ich ihn durchgelesen hatte, war klar: Ich bin ein Veteran. Darauf hätte ich verzichten können.
Ich war Soldat in den Siebzigerjahren. Als Panzerkommandant befehligte ich einen Kampfpanzer Leopard, aber das war mir eher unangenehm. In einem Manöverangriff fegten wir in dunkler Nacht über einen Acker und rasten mit unserem Gefährt in einen breiten Entwässerungsgraben, den ich irgendwie übersehen hatte. Da ich außerdem vergessen hatte, unser Geschützrohr horizontal zu stellen, zeigte es schräg nach unten und bohrte sich metertief ins Erdreich. Ich gab das Kommando zum Rückwärtsfahren! Wir umfuhren den Graben, aber die Kanone war nun massiv mit Lehm gefüllt. Der Feind hätte, so stellte ich mir vor, durch unseren Schuss erst einmal eine ordentliche Ladung feuchten Bodens vor den Latz bekommen, gefolgt von 105 Millimetern Hohlladung. (Der Kompaniechef erklärte mir mit erhobener Stimme, mir wäre selbst der ganze Panzer um die Ohren geflogen. Mannnnnn!!! Abtreten!) Auf mich hätte die Bundeswehr auch verzichten können.
Aber der neue Veteranenbegriff umfasst nun alle aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten, nicht bloß jene, die im Krieg waren oder im Auslandseinsatz. Also auch mich. Und weitere zehn Millionen Deutsche. Frau Dr. von der Leyen benutzt Worte wie Anerkennung, Respekt, wertschätzen. (Übrigens gefällt mir sehr, dass solche Tagesbefehle heute von einer Frau kommen!)
Wie ist das eigentlich mit Zivildienstleistenden? Gibt’s da keine Veteranen? Ich vermute, die Zivis haben damals Anerkennung, Res-pekt, Wertschätzung sehr direkt bekommen, im persönlichen Kontakt, meine ich. Das fehlt Soldaten ja manchmal.
Für mich klingt Veteran immer noch wie alter Knacker, mit Eisernen Kreuzen behängt vor dem Kriegerdenkmal herumsitzend. Mit 62 ist man da empfindlich. Für mich war mein Vater schon, als er 55 war (und ich 19), auf dem Weg zum Greise. Jetzt erwischt man sich, wie man die fünf Treppen zum Kardiologen im Laufschritt zu nehmen versucht und sich oben ärgert, dass man außer Atem ist. Die lobenden Worte des Herzkundlers vernimmt man wie ein braver Schüler: beste Werte! Man solle in zwei Jahren wieder vorbeischauen, dann allerdings beim Nachfolger. Er gehe in den Ruhestand. Wie alt er sei? 65. Schluck.
Mit 62 fühlt man sich eigentlich noch jung, kann ich sagen, muss sich aber damit abfinden, dass Jüngere einen für alt halten. Man ist alt und nicht-alt zugleich, interessantes Lebensstadium – wer kann das sonst noch von sich sagen? Übrigens bemerkt man das zufällig, etwa wenn man seinem Kind von schwarzen Bakelit-Telefonen mit Wählscheiben erzählt und plötzlich in entgeisterte Augen blickt. Bakelit? Was ist das? Na ja, so ein Material.
Hatten wir nicht gerade vom Veteranenbegriff gesprochen? Bakelit ist sozusagen ein Begriffsveteran. Hätte man besser nicht erwähnt. Bakelit erwähnen macht alt.
Ja, ja, schon gut, ich kann von den Zeiten erzählen, als Zeitungstexte in Blei gesetzt wurden und morgens der Milchmann kam. Nachdem ich zur Welt gekommen war, hieß der Kanzler noch siebeneinhalb Jahre lang Adenauer, und 1990 saß ich als Reporter in einem Ost-Berliner Pressezentrum vor der Schreibmaschine, als eine junge Frau in weißem T-Shirt eine Pressemitteilung einer Partei namens Demokratischer Aufbruch aus einem grauen Karton heraus auf den Tisch legte. Es war die Pressesprecherin. Sie hieß Angela Merkel.
Wie alt ist Friedrich Merz? Gerade 63 geworden. Merkt man ihm auch an, finden Sie nicht?