Hörst du mich? Hallo?

Unsere Enkel werden womöglich nicht mehr wissen, was ein Funkloch war. Wo manche in Panik geraten, sehen andere ein Paradies. Ein Abschiedsgruß an die Unerreichbarkeit. 

Illustration: Dirk Schmidt

Am Anfang, kurz nachdem Gott Himmel und Erde geschaffen hatte (und auch noch lange danach), war die ganze Welt ein Funkloch, ja, man kann sagen, das Funkloch ist der Urzustand der Welt. Die Menschheit ist im Funkloch geboren, und wer weiß, ob sie nicht eines Tages wieder dorthin zurückkehren wird?

Immer wieder sehnt sich der Mensch nach diesem Urzustand zurück. Bisweilen hört man von Freunden – nach dem Urlaub auf einer Alm oder einer entlegenen Insel – die Worte: kein Netz, ja, so schwärmen sie, keine Mails, keine SMS, keine Anrufe, es sei herrlich gewesen. Überhaupt gibt es bis heute Leute, die in diesem Urzustand leben, ohne Mobiltelefone, ohne Laptops, ohne Tablets, reinste Festnetzler, personifizierte Funklöcher, ein bisschen fremd in dieser Welt. Aber sie klagen nicht. Um sie herum scheint der Frieden des Paradieses zu herrschen.

Jedoch: Es sind Ausnahmen. Alle anderen werden von Panik befallen, wenn sie in ein Funkloch geraten. Es ist, als fürchteten sie das Wüste und Leere, das in der Welt kurz nach dem Schöpfungsakt herrschte, jene Zeit, als der Tag noch nicht von der Nacht geschieden war, als es den Menschen nicht gab und Gott unschlüssig war, ob er ihn überhaupt erschaffen sollte. Menschen im Funkloch rufen: Hörst du mich? Sie schreien: Ja, ich höre dich, aber hörst du mich?! Sie greinen ein verzweifeltes Kannst du mich hören? ins digitale Nichts, ein Kannst du mich jetzt hören?, gefolgt wieder von einem Hörst du mich?, schließlich vom blanken Entsetzen der gottverlassenen Kreatur: Nein, ich höre dich nicht, immer noch nicht … Manchmal senden sie schreckliche, im Nirgendwo verhallende Flüche hinterher. Aber es bleibt auf ihren Gesichtern am Ende nur der fahle Horror der auf sich allein zurückgeworfenen Menschentöchter, Menschensöhne.

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Was das Funkloch speziell in Deutschland angeht, kennen wir verschiedene Thesen. Eine lautet: Ganz Deutschland ist ein Funkloch, in dem es nur Inseln des Empfangs gibt. Eine weitere ließe sich derart formulieren, dass Funklöcher in Deutschland eine spezielle Form annehmen, sie seien schlauchförmig an die Strecken der Deutschen Bahn geschmiegt. Eine dritte: Manche Menschen fühlen sich von Funklöchern verfolgt, sie glauben, dass es ein jeweils speziell auf sie abgerichtetes digitales Schattenloch gebe, das sie auf Schritt und Tritt verfolge, so dass es ihnen fast nirgends möglich sei, in Telefonkontakt mit der Welt zu treten.

Dass es indes mit dem Funkloch an sich zu Ende geht, wissen wir, seitdem das Bundeskabinett in Meseberg beschloss, eine Milliarde Euro in die Verbesserung der digitalen Infrastruktur zu investieren. Löcher werden mit Geld gestopft, das übliche Verfahren.

Könnte sein, dass es Zeit ist, sich zu verabschieden.

Werden unsere Enkel noch wissen, was das war: ein Funkloch? Was es bedeutete, dass ein Mensch einfach nicht erreichbar war, ­außer man suchte ihn persönlich auf? Es hat doch auch sein Gutes, das Funkloch! Es ­ermöglicht, an schwierigen Punkten eines Telefonats zu sagen: Hallo, hallo, was sagten Sie? Ich habe Sie nicht … Hallo? Hören Sie mich? … Funklöcher haben manchem aus der Patsche geholfen, das sollten wir ihnen nicht vergessen.

Auch müssen wir bedenken: Das Loch gehört zum Begriff des Netzes. Ein Netz ohne Löcher ist kein Netz, sondern eine Plane, ein Tuch, eine alles dicht deckende Persenning. Solange ein Netz Löcher hat, ist ein Entkommen denkbar. Nun aber zieht das Netz um uns sich zu. Im Funkloch war noch ein Verschwinden möglich. Aber da nun dieses Loch selbst sich schließt, für immer womöglich, grüßen wir es mit einem letzten, lauten, dreifachen, an den Lochwänden sich echohaft brechenden, immer leiser werdenden:

HALLO! HALLO! HALLO! … LO, Lo, lo … o … ­