Wir stellen uns eine Garage vor, eine Garage in Port Talbot an der Südküste von Wales. Früher wurde hier, in Port Talbot, nach Kohle gegraben, das ist vorbei, auch die Chemie- und Weißblechwerke sind weg. Nur den Hafen gibt es noch und das Stahlwerk, das größte in Großbritannien. Aus dem rieselt seit Monaten immer wieder ein Ascheregen auf die Gegend. Die Garage ist klein, die letzte in einer Reihe. Ihre Wände bestehen aus unverputzten grauen Steinen. Das Dach? Wellblech, mit Steinen beschwert. Gegenüber ist etwas mit schwarzen Plastikplanen bedeckt. Gerümpel? Möglich. Die Garage gehört Ian Lewis, der ist Stahlarbeiter, aber, Moment!, was heißt das jetzt genau: gehört?
Zwei Wände seines Gehäuses jedenfalls hat Ian Lewis verkauft, für eine sechsstellige Summe, was für zwei Garagenwände üblicherweise vielleicht in London-Mayfair bezahlt wird, nicht hier. Aber auf den grauen Steinen dieser beiden Wände sieht man, über Eck gemalt, ein Bild; kurz vor Weihnachten ist es dort aufgetaucht. Auf der einen Wand: ein Junge, der, die Arme ausgebreitet, anscheinend Schneeflocken auffängt. Geht man ums Eck, sieht man ein Feuer und versteht: Die Flocken sind nicht aus Schnee. Sondern aus Asche.
Und das Bild ist von Banksy.
Ja, genau, Banksy, einer der berühmtesten Künstler der Gegenwart, doch ein Unbekannter. Seine Bilder tauchen meistens unverhofft irgendwo auf. Und als im Oktober vergangenen Jahres Girl with Balloon bei Sotheby’s für eine Million Pfund verkauft wurde, zerstörte es sich noch im Auktionshaus von selbst.
Das Bild in Port Talbot ist mit einer vorläufigen Abdeckung versehen worden. Es wird durch einen Zaun und durch Wachmänner geschützt. Ein Kunsthändler hat es gekauft.
Was sagt Ian Lewis dazu? »Ich bin froh, dass ich es verkauft habe«, zitierte ihn der Guardian. »Um ehrlich zu sein, ich habe die Nase voll. Es war eine Strapaze.« Die Leute, der Rummel, all das Ungewohnte. Die Frage: Was tun? So ist es ja oft. Man träumt jahrelang, dass eine sechsstellige Summe auf dem eigenen Konto schön wäre. Wenn sie sich dann dort befindet, merkt man, dass der Traum schöner war als die Wirklichkeit, weil es all den Stress und Trubel nicht gab. Von Lottogewinnern hört man das immer wieder. Die meisten Glücksspieler gewinnen nie, aber das ist auch nicht der Sinn der Sache. Der liegt darin, dass man ein wenig Hoffnung am Glimmen hält, wenn man spielt.
War es nicht übrigens mit dem Brexit über Jahrzehnte genauso? Immer haben sie in Großbritannien gedacht: Ja, die EU ist blöd. Wir sind eine große Nation. Wir könnten es besser haben. Also werden wir mal austreten, eines fernen Tages, an dem alles gut sein wird. Dieser Gedanke war schön, selbst für Nigel Farage, der sein Leben als glühender Brexit-Kämpfer mit dem Gehalt eines EU-Abgeordneten finanzierte.
Bis dann eben der Brexit kam – wie ein Banksy-Bild: Über Nacht war er da. Nur dass man für den Brexit nicht mal Geld bekommt, er kostet einfach nur, es sei denn, man würde ihn schreddern wie Girl with Balloon bei Sotheby’s. Ist aber anscheinend schwierig. (Außerdem bin ich der Meinung, dass, wenn die Briten den Brexit zurücknähmen, sie uns etwas zahlen sollten. Als Ausgleichsgebühr für all den Stress und die vergeudete Zeit.)
Ian Lewis sagt: »Nun, da der Stress von mir genommen worden ist, sollte ich mehr Zeit haben, darüber nachzudenken, was ich wirklich möchte.« Wird noch dauern, bis die anderen 66 499 999 Briten das auch sagen können.
Übrigens ist dieses Banksy-Bild bisher als Kritik am Ascheregen aus dem Stahlwerk von Port Talbot verstanden worden. Aber der Junge im Schneetreiben, die Arme voller Freude und Hoffnung ausgebreitet, irgendwie erinnert es doch an all die Hoffnungen, die viele Briten mit dem Brexit verbanden.
Und nun sind sie um die Ecke gegangen und … tja.