Nicht immer werden die Dinge der Welt zu dem Zweck verwendet, dem sie ursprünglich einmal dienen sollten. Der Hut wurde als Kopfbedeckung erfunden, doch nutzen ihn Straßenmusiker als Sammelbox. Das Anti-Asthma-Mittel Clenbuterol fand zunächst in der Kälbermast, dann aber unter sogenannten Leistungssportlern als Dopingsubstanz Verwendung. Fachleute wissen, dass ein Damenstrumpf beste Filterdienste leistet, wenn man vom Dach laufendes Wasser von groben Substanzen befreien möchte, bevor es in die Regentonne läuft. Mit leeren Klopapierrollen – dies als kostenloser life hack – kann man Lockenwickler ersetzen, echt jetzt, ohne Scheiß. Und habe ich nicht neulich erst versucht, den Badewannenabfluss mit Hilfe eines Zahnstochers zu reinigen? Ja, aber es funktionierte nicht recht, sodass eine Stange Dynamit zum Einsatz kam.
In München steht auf einer alten Eisenbahnbrücke ein Schiff, das auf dem Ammersee Touristen transportierte, »Alte Utting« heißt es und ist nun Kulturbühne und Kneipe. Apropos: Wurde der Bierdeckel als Bierdeckel erfunden oder als Behelfsmittel gegen das Wackeln von Tischen?
Wie auch immer: So kann es gehen im Leben, auch mit dem Menschen selbst. So mancher, der als Germanist diplomiert wurde, fuhr lebenslang Taxi, und die Physikerin Angela Merkel muss als Kanzlerin schuften.
Interessant ist aber nun, was die Zeitung Asahi Shimbun über die Gewohnheiten japanischer Auto-Mieter berichtete. In Japan scheint es üblich geworden zu sein, ein geliehenes Auto nicht mehr zu fahren, sondern anderweitig zu nutzen: Man macht dort im Parkhaus ein Nickerchen, übt Karaoke, lädt sein Handy oder verstaut Einkäufe, bevor man die Shopping-Tour fortsetzt. (In Tokio kostet ein Mietwagen, wenn man ihn nicht fährt, ungefähr so viel wie ein kleines Schließfach am Bahnhof, ist aber deutlich geräumiger.) Ein Firmenangestellter berichtete Asahi, er habe den Inhalt seiner Lunchbox im Leihwagen verzehrt, weil er nirgendwo sonst ein ruhiges Plätzchen gefunden habe.
Ist das möglicherweise der Weg des Pkws in kommenden Jahrzehnten? Müssten nicht die mit Konjunkturproblemen, Dieselvergehen, Trumpzöllen und Klimaaussichten ringenden deutschen Automobilmanager ihre Blicke nach Japan richten, weil die Zukunft des Autos in unseren Städten nicht mehr in der Mobilität liegt, sondern in deren Gegenteil? Wäre es denkbar, dass wir das Auto als Immobilie sehen müssen?
Das stehende Auto hat ja gegenüber dem fahrenden einige sofort ins Auge stechende Vorteile: Es produziert weder Abgase noch Feinstaub und verletzt keine Grenzwerte. Es macht keinen Lärm und fährt keine Menschen um. Insoweit es in Parkhäusern steht, entstehen auch keine Staus. Man kann sich an seinem Lenkrad sinnlos betrinken. Es wird nicht schmutzig. Es wäre denkbar, dass wir die Straßen unserer Städte zu Fahrrad- und Rollertrassen umbauen, während auf nur noch einer verbleibenden Autospur Pkws als Ruheräume für gestresste Städter stehen, intime Rückzugsbereiche, auch Orte zum Träumen, in denen Männer mit heiterem Brummbrumm oder auch einem heiseren Vroamm auf den Lippen alten Zeiten nachhängen könnten.
Die Frage ist, ob solche Autos noch Motoren bräuchten, Reifen, Lenkräder, Warndreiecke? Wenn Wagen nicht mehr rollen, könnten sie dann nicht auch kleine Häuschen sein, Ziegelsteinmercedesse, Betonvolkswagen? Oder ist der innerstädtische Ruhewagen in seiner Aura doch davon abhängig, dass er im Kern Auto bleibt, dass man also jederzeit aufbrechen könnte? Dass eine Mööööglichkeit bestünde, die man nur nicht nutzt, wie ja auch der Dauercamper im Gefühl lebt, er könnte hier weg, wenn er wollte, nur wolle er eben nicht?
Ach, lasst uns alle aufbrechen in die Zukunft, oder, nein, besser, viel besser: Lasst uns im Pausenauto sitzend nachdenken über das alles!