Milliarden von Zuschauern sahen die Standing Ovations, die er bei der Verleihung der Oscars im Februar bekam. Im Juli sind weitere Milliarden bei seinen Live Earth-Konzerten zu erwarten, dann die Nominierung für den Friedensnobelpreis und die ewige Frage, ob er nicht doch noch Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden will: Al Gore wird dieses Jahr dominieren wie keine andere politische Figur. Der steife Langweiler, ewige Wahlverlierer und Ehemann eines Hausdrachens namens Tipper existiert nicht mehr. Stattdessen sehen wir, ganz ohne Witz, eine neue globale Leitfigur. Seine Rückkehr auf die Weltbühne enthält eine Lehre, die jeder Politiker dringend studieren sollte – und wir helfen gern: Hier kommen die fünf Geheimnisse des Al-Gore-Prinzips.Erstens: Verdammt früh dran sein. Mitte der Sechzigerjahre, als die ersten Hippies in San Francisco gerade ihre Kleider ablegen, studiert Al Gore in Harvard bereits bei dem Ozeanographen Roger Revelle, der als Erster vor der Klimakatastrophe warnt. Das Thema lässt ihn auch als jun-gen Politiker nicht mehr los, und als er Revelle 1981 in den Kongress einlädt, um die Welt mit einem Schreckensszenario wachzurütteln, erwartet er den großen Durchbruch. Es geschieht: überhaupt nichts.Zweitens: Unglaublich hartnäckig sein. Gores Erfolge für den Klimaschutz als Buchautor, Vortragsredner, Senator und sogar als Vizepräsident der Vereinigten Staaten lassen sich zum Ende seiner Amtszeit exakt in einem Wort zusammenfassen: null. »Ich spüre jeden Tag, wie ich mit meinem Anliegen scheitere«, erklärt er noch im Jahr 2005 in seinem Film Eine unbequeme Wahrheit (jetzt auf DVD). Und er macht trotzdem einfach weiter. Wie man das durchhält? Siehe Punkt drei.Drittens: Aus Niederlagen Kraft schöpfen. Nach seinem dramatischen Verlust der Präsidentschaftswahl 2000 hätte es je-der verstanden, wenn Gore zum beleidigten Privatmann oder zynischen Ausbeuter der eigenen Bekanntheit geworden wäre – mit reißerischen Memoiren oder fragwürdigen Beraterverträgen. Stattdessen überlegt er, was seine eigentliche Aufgabe auf dieser Welt sein könnte. Dann packt er sein Notebook und seinen Rollkoffer, um auf eine endlose, unbezahlte Vortragstour um die Welt zu gehen.Viertens: Sich Zeit nehmen. In einer Kultur, die jedes denkbare Problem in einminütigen Fernsehstatements abhandelt, beharrt Gore auf mindestens zwei Stunden ungeteilter Aufmerksamkeit. Dann redet er, so klar strukturiert, logisch begründet, sauber argumentierend wie nur irgend möglich. So entsteht sein berühmter Bildervortrag über die Klimakatastrophe, der die meisten nicht nur völlig fesselt, sondern bei Zuhörern lebensver-ändernde Wirkung entfaltet. Zunächst sind es Tausende, die kommen, um die Botschaft von Gore zu hören. Und dann, über das Medium des Dokumentarfilms, sogar Millionen. Fünftens: Sein Thema leben, atmen und träumen. Der Mann macht alles selbst! Er durchforstet das Internet nach den neuesten Zahlen, Nachrichten, Bildern und Videoclips. Er lädt alles auf seine große Notebook-Festplatte, bastelt alles selbst zusammen, textet, gestaltet, formatiert. Im Zweifel braucht er keine Assistenten, keine Grafiker und keine wissenschaftlichen Mitarbeiter für seine Vorträge. Und plötzlich wird klar, wie selten das heute ist: ein Mensch, der seine Materie wirklich vollständig durchdrungen hat. So attraktiv es scheinen mag, wie der neue Al Gore zu werden, so klar ist nun auch, wie hoch die Hürden sind, die diesen Weg versperren. Blender, Selbstdarsteller und Trittbrettfahrer würden schon lange vor dem großen Ziel schlappmachen, und selbst dem alten Al Gore hätte es wohl niemand zugetraut, dass er eines Tages der neue Al Gore sein würde: ein Mann, der viel verloren hat, um noch viel mehr zu gewinnen; ein Führer ohne Macht, dem man unbedingt folgen will – gerade weil er nichts mehr zu befehlen hat.