Es war ein besonderer Moment in der kurzen, wechselvollen Geschichte von Berlin-Mitte. Draußen in der Rosenthaler Straße herrschte jene stilvolle Verwahrlosung, die diesen Teil der Stadt so anziehend macht für die jungen Schweden und Schweizer und Schwaben, die dort leben oder feiern oder shoppen. Drinnen in der Bäckerei herrschte jene selbstverständliche Zuvorkommenheit, die einem so fremd wie vertraut erscheint, wenn man länger als drei Jahre aus Stockholm, Zürich oder Böbingen fort ist und nun in Berlin lebt, wo man täglich mit dem Problem konfrontiert wird, wie man an anständiges Brot herankommen soll. Blau auf Weiß und bayerisch selbstbewusst war auf das Banner vor dem Geschäft das Wort »Hofpfisterei« geschrieben. Und schon bald standen all die Drehbuchschreiber, Schauspieler und Journalisten hier Schlange, für die eine Butterbreze reicht, um ihre kreative Berlinexistenz mit ein wenig Geschmacksbürgertum zu verbinden.
Die Geschichte der Münchner Hofpfisterei ist lang und wechselvoll, aber dass sie einmal das »Boombrot« für Berlin backen, wie die Tageszeitung meint, oder zur »ersten nationalen Biobäckerkette« aufsteigen würde, wie die Zeit analysiert, das hätte noch vor Kurzem niemand gedacht. Bis ins Jahr 1331 kann man diese Geschichte zurückverfolgen. 1984 entschied sich die heutige Besitzerfamilie Stocker, dass sie ihr Brot rein ökologisch herstellen wollte. Mit Erfolg. 150 Filialen gibt es mittlerweile bundesweit. Und Ende vergangenen Jahres wurde die erste Hofpfisterei in Berlin eröffnet, etwas mehr als zwei Monate, nachdem in New York die Bank Lehman Brothers zusammengekracht war: Die Finanzkrise und der Kapitalismus im weiteren Sinn bilden, wie so oft in diesen Tagen, auch in diesem Fall den Deutungsrahmen, weil mal wieder dringend die Frage entschieden werden muss, wie das gute und das gerechte Leben zu vereinbaren sind – oder eben das gute und das gerechte Brot, ohne hier biblisch werden zu wollen. Dass nun ein Traditionsunternehmen wie die Hofpfisterei eine Antwort auf diese Frage liefern soll, ist zumindest überraschend, bislang beschäftigte das eher die sogenannten alternativen Milieus, die freilich längst in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen sind. In der Anfangsphase der Grünen in den Achtzigerjahren war jedenfalls klar, dass das gerechte Brot wichtiger war als das gute, und so schmeckte dann auch das, was man in Öko-Bäckereien kaufen konnte. Nach der Wende verschwand das Brot eine Weile aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs, bis die Frage anders wieder aktuell wurde mit der rot-grünen Regierungskoalition 1998. Das Gerechte und das Gute schlossen sich nun nicht mehr aus, dazu musste man nur Gerhard Schröder anschauen mit Brioni und Zigarre. Er war eine frühe Karikatur jenes kritischen Hedonismus, den der amerikanische Soziologe Paul H. Ray 2000 in seinem Buch The Cultural Creatives identifizierte. »Lohas« nannten die Trendforscher diese Gruppe dann so lange, bis sie es schließlich selbst nicht mehr hören konnten.
Etwas von der Widersprüchlichkeit dieses Begriffs, ein Akronym für »Lifestyle of Health and Sustainability«, durchzieht nun auch das Projekt Boom-Hofpfisterei. Damit die Brote so schmecken, wie sie schmecken, muss der Sauerteig in München hergestellt werden, wegen der Mikroben, der Luftfeuchtigkeit und des Luftdrucks, wie das Unternehmen sagt. Deshalb werden die dicken ökologischen Laibe zu 60 Prozent in München fertig gebacken und dann mit dem Laster nach Karlsruhe, Nürnberg oder Berlin gefahren, wo sie ihre fabelhafte Kruste bekommen. Immerhin lernen die Lasterfahrer energieeffizient zu fahren, wie man betont. Es muss also, mit anderen Worten, dauernd und manchmal bis an die Grenze der Albernheit neu justiert werden, das Verhältnis zwischen gut und gerecht. Für die Grünen bedeutete das einen jahrelangen Konflikt zwischen Fundis und Realos. Für die Berliner heißt es erst einmal, dass sie endlich gutes Brot haben.
Foto: Daniel Bognár