Es ist der Moment der Überraschung, der die Razzia kennzeichnet. Zeitpunkt und Durchführung sind ganz auf Überrumpelung berechnet. »Dicker Nebel wabert durch den Kölner Nobelstadtteil Marienburg«, heißt es in einem Artikel über den Fall Klaus Zumwinkel, »als sich Viertel vor sieben fünf Männer« vor der Villa treffen. »Um 7.13 Uhr öffnet sich die Tür.« Aus dem ankündigungslosen Besuch in den eigenen vier Wänden resultiert eine doppelte Entblößung für den Überführten: nicht nur die öffentliche Identifizierung als Straftäter, sondern auch die Freilegung der privaten Lebensumstände, die in den Medien dann mit besonderer Häme ausgebreitet werden. Gerade dieser Aspekt hat vermutlich Anteil daran, dass die Ankündigung weiterer Razzien so viele Verdächtige des Steuerskandals dazu gebracht hat, »Selbstanzeige« zu erstatten. Denn mit diesem Akt kommen sie der unangekündigten Visite der Fahnder zuvor und halten zumindest die Umstände ihrer Entlarvung als Steuerbetrüger selbst in der Hand.
Abhandlungen über die »Razzia« (ein dem Arabischen entlehntes Wort für »Kriegszug«) setzen drei Kriterien fest, die dieses polizeiliche Hilfsmittel definieren: neben der »planmäßigen Vorbereitung« und der »schlagartigen Durchführung« auch der »unbestimmte Personenkreis«, auf den sich die Aktion richtet. Lange Zeit wurden Razzien nur an sozial abweichenden Orten wie Spielhallen und Bordellen durchgeführt, in jüngster Vergangenheit auch in Vorstandsetagen von Banken und Stromkonzernen. Die Bilder, die allgemein mit dieser Maßnahme assoziiert werden, gehen genau auf solche Großeinsätze zurück: schräg auf dem Gehsteig stehende Polizeiautos, Kartons mit beschlagnahmtem Material, halb nackte Tänzerinnen im Fond eines Mannschaftswagens. Wenn also im Zusammenhang mit den aktuellen Steuerskandalen, dem Zugriff auf Einzelpersonen in deren Wohnhäusern, von »Razzien« die Rede ist, scheint dieser Ausdruck kriminologisch nicht ganz zuzutreffen.
Es hat aber seine Bedeutung, dass das Wort in den vergangenen Tagen sowohl von Ermittler- als auch von Berichterstatterseite auffallend häufig gebraucht worden ist. Denn das Szenario der »Razzia«, mit rot-weißen Absperrungsbändern und der Erzeugung eines klar eingegrenzten, von Schaulustigen umgebenen Tatorts, macht polizeiliche Arbeit besonders gut sichtbar. Nach Monaten und Jahren der Recherche, nach stillen Datensichtungen und konspirativen Treffen, markiert die Razzia jenen Kulminationspunkt, in dem sich das angehäufte Geheimwissen der Fahnder nach außen stülpt und in einer ruckartigen Aktion entlädt. So diskret der lange Weg der Ermittlung, so indiskret der Augenblick ihres Triumphes.
Gerade die Razzia bei Klaus Zumwinkel wird umso verständlicher, wenn man ihre Motivation nicht ermittlungstechnisch, sondern ästhetisch begreift. Beweislast und mangelnde Fluchtgefahr hätten vermutlich auch eine weniger exponierte Form der Aufdeckung gerechtfertigt, doch es ging um die Kraft des Bildes. Das Foto des von Anwalt und Steuerfahnderin flankierten Post-Chefs illustriert fast jeden Bericht über den Fall. Es stellt ein perfektes Emblem für den polizeilichen Coup zur Verfügung. Die Überrumpelung des Verdächtigen ist seinen Gesichtszügen noch anzumerken, und dass die Szene auf der Schwelle seiner Villa spielt, symbolisiert auch den schroffen Bruch seiner Existenz in diesem Moment, vom Top-Manager zum Delinquenten. Nicht zuletzt der Umstand, dass es diese Fotos überhaupt gibt, sagt viel über die Funktion der Razzia aus. Denn unabhängig davon, ob die Fotografen von den Ermittlern informiert wurden oder nicht: Ihre Anwesenheit weist auf die notwendige Allianz von Medien und Polizei im Augenblick des Zugriffs hin – eine Allianz, die in den Monaten davor, als »nichts durchsickerte« von den kommenden Vorhaben, keinesfalls bestehen durfte. Die Razzia: eine Maßnahme, die wie keine zweite die Darstellbarkeit polizeilichen Erfolgs gewährleistet.