Stoppt Marketing!

Hier machen wir Werbung. Und zwar dafür, beim Produktdesign auf die Meinung der Werbeabteilung zu verzichten.

Der größte Feind der Produktgestaltung heißt Marketing. »In diesem Bereich arbeiten Menschen«, klagt der Designer Horst Diener aus Ulm, »die beim Adventskalender nur den 24. sehen, während wir versuchen, alle Türchen im Blick zu haben.« Designer tun sich oft schwer mit Zielgruppen und Marktdurchdringung. Und erleben am Ende einer Präsentation von Ideen, wie sich ihre Entwürfe im Dienste der Absatzförderung in Luft auflösen. Marketing beschränkt sich dabei nicht auf fertige Produkte; es bestimmt auch die komplette Ausrichtung eines Unternehmens. Wie beim Langnese-Logo, das im Jahr 1998 ausgetauscht wurde. Die vertraute weiß-blau-rote Markise musste verschwinden, weil die kalten Farben Weiß und Blau den Konsum von Eis ausschließlich als Erfrischung an heißen Tagen präsentierten. Das neue Logo, ein fröhliches Wolkenherz, funktioniert hingegen zu jeder Jahreszeit. Perfektes Marketing, gut verkaufbar, aber unsagbar fade. Auch dem Touristikunternehmen TUI erging es 2002 nicht besser. Früher prangte auf den Katalogen nur die Wortmarke TUI der »Touristik Union International« mit einem Sonnenklecks als i-Tüpfelchen. Das war offenbar nicht lässig genug. Heute formen die drei Buchstaben einen debil grinsenden Smiley.

Marketing und Design könnten eigentlich auch ein gutes Gespann bilden. Verkaufsförderung beginnt ja bereits bei der Entwicklung von Dingen und Dienstleistungen: dort also, wo sich auch Gestalter am liebsten in den Arbeitsprozess einklinken. Sie verstehen sich nicht als nachträgliche Verpackungskünstler, sondern als Teil der Produktinnovation – wie sie etwa beim i-Pod mustergültig gelang. Mit dem kleinen weißen Kasten vollzog die Gestaltung von MP3-Playern einen Quantensprung, dank der genial einfachen Bedienung über ein Steuerrad. Drehen und klicken in der Mitte, so als hätten Designer Maus und Touchscreen gekreuzt. »Als Impulsgeber« schätzt auch Horst Diener seine Kollegen vom Marketing. »Wenn eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gelingt, entsteht eine wunderbare Symbiose.« Aber die viel beschworene Einheit aus Ingenieuren, Designern und Marketingspezialisten funktioniert viel zu selten. Wenn ellenlange Vorbesprechungen bestimmen, wie Dinge auszusehen haben, damit sie ja erfolgreich werden, mutieren Gestalter zu reinen Erfüllungsgehilfen. Dabei ginge es so einfach: mit Design, das nicht über ein fertiges Produkt gestülpt wird wie ein Kondom, sondern von Anfang an Teil seiner technischen Innovation ist.

Wie das funktioniert, zeigt Clemens Weisshaar mit seinen »breeding tables«, »gezüchteten Tischen«. Die gezackten Stahlbeine nehmen bei jedem Tisch dank neuer Computertechnik eine einzigartige Form an. Jedes Stück ein Unikat und trotzdem Bestandteil der Produktserie. Der 29-jährige Münchner gründete 2002 mit Reed Kram die Firma Kram/Weisshaar. Produziert wird der spektakuläre Tisch von der italienischen Firma Moroso, in der Inhaberin Patrizia Moroso als Art Director das Sortiment persönlich betreut. Eine große Ausnahme. Heute entwerfen Designer in der Regel nicht mehr für Unternehmerpersönlichkeiten, sondern stehen Geschäftsführern gegenüber, die vor allem eines vermeiden wollen: etwas falsch zu machen. Genauso sehen viele Produkte aus. Sie wagen nichts mehr, sondern bedienen genau abgesteckte Zielgruppen, wie es die boomende Handy-Industrie tut. Kein Gebrauchsgegenstand hat sich so schnell vom Statussymbol über das Prollgerät zum Modeaccessoire entwickelt wie das Mobiltelefon. Und keines unterwirft Designer so brutal den Gesetzen der Grabbeltische: Was nicht sofort einschlägt, landet in der Versenkung. In Asien werden vor der Markteinführung ein halbes Dutzend Varianten getestet und verworfen. Wo technische Innovationen keinen Kaufanreiz mehr bieten, müssen zielgruppenspezifische Verpackungen den Kaufimpuls setzen. Sie sollen deshalb vor allem eines: auffallen. Gerade waren Fotohandys der letzte Schrei, nun sind es Telefone, die aussehen wie Puderdosen mit ungewöhn-lichen Schiebe-, Dreh- oder Schnapptastaturen.
Ein Geniestreich der Marketingabteilung ist zum Beispiel das Nokia 7370, das wohl eigens für eine etwas in die Jahre gekommene Flower-Power-Klientel entwickelt wurde. Das beigefarbene 1,3-Megapixel-Fotohandy mit aufgedrucktem Blumendekor rund um das Display steckt in einem Ledersäckchen, an dem eine Quaste baumelt. Nie war Quasseln bunter.

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»Reine Kitschprodukte«, stöhnt Mateo Kries vom Vitra Design Museum in Berlin. Sein Unmut richtet sich vor allem gegen die ungemein erfolgreichen Alessi-Objekte. »Sie haben viel zum Missverständnis beigetragen, dass Design die Gestaltung netter Formen und Oberflächen sei. Hier hat Marketing über Design gesiegt.« Zur Erinnerung: Da stemmen lustige Männchen Obstschalen und Brotkörbe in die Höhe, Kugelköpfe und -bäuche dienen als Pfeffer- und Salzstreuer, der Esstisch summt wie eine Wiese, auf der eine Spielkiste ausgeleert wurde. Alessi steht nicht allein, wenn es darum geht, Produkte durch Popdesign zu verkaufen.

Weil Alltagsgegenstände und Firmenschilder ständigen Marktanalysen unterliegen, werden sie regelmäßig überarbeitet, »gerelauncht«. Sie wechseln Farben, Formen und Inhalte. Und zwar so gründlich, dass niemand mehr die Marke erkennt. Agenturen schaffen neue Identitäten und Namen. Wer wüsste sofort, wofür »Novartis« steht? Oder »Aventis«? Sind das nicht die mit »Sanofi«?

Wie schnell Marken zerstört werden, wenn sie als Global Player auftreten, zeigte sich an der Automobilindustrie in den 1990er Jahren. Plötzlich gab es Retro- und Spaßprodukte wie den aufgemöbelten Käfer. Ein Marketingprodukt in Reinform. Anscheinend kennt Absatzförderung nur zwei völlig entgegengesetzte Strategien: Entweder schleift sie die Kanten eines ausgefallenen Entwurfes so lange ab, bis er garantiert bei niemandem mehr aneckt und so hoffentlich verkaufbar wird, oder sie schafft aberwitzige Nischenprodukte, die jedem auffallen. Knuffige Stadtautos, die ganz, ganz lieb sein wollen, oder bullige »Eigentlich fahr ich auf der Piste«-Allradpanzer für Metropolen-Wildhüter. Am Heck prangen dazu überdimensionierte Logos. Die wohl größten hat VW. Wenn es eine Auszeichnung gäbe für Autos mit Arschgeweih, der Wolfsburger Konzern hätten sie verdient. Aber die Show muss weitergehen, neue Produkte müssen gefunden, neue Nischen aufgetan werden. Dass dabei das Design unter die Räder kommt – egal. Hauptsache, es verkauft sich.