Wahrscheinlich sollte ich vorausschicken, dass ich als Nichtraucher das Rauchverbot begrüßt habe und dennoch unglücklich damit bin: Es gefällt mir nicht, dass der Staat einen weiteren Lebensbereich beschränkt, die Stimmung beim Ausgehen leidet und es nach Jahren relativ friedlicher Koexistenz nun zum Konflikt kommt. Ein Kernpunkt des Problems scheint mir in einer Asymmetrie zu liegen: Während der Raucher durch sein Rauchen die Umgebung beeinträchtigt, wird selbst der passionierteste Qualmer das Ausatmen von rauchfreier Luft nicht störend finden. Anders als Nichtrauchen ist Rauchen von seiner Natur her stofflich aggressiv.
Umgekehrt muss im Gegensatz zum Raucher, der keinen Grund hat, gegen das Nichtrauchen vorzugehen, der Nichtraucher, wenn er keinen Rauch einatmen will, Verbote aussprechen. Das Nichtrauchen ist somit für den Raucher freiheitsgefährdend, normativ aggressiv. Hinzu kommt, dass Rauch in Lokalen unterschwellig als »natürlich« empfunden wird, obwohl er ja künstlich erzeugt wird und kulturhistorisch eine junge Erfindung darstellt: Tabak kam erst mit der Entdeckung Amerikas nach Europa. Hier scheint Georg Jellineks berühmter Begriff der »normativen Kraft des Faktischen« zu greifen: Durch ein übliches Verhalten wird eine Regel geprägt, hier, dass man ein Recht auf Rauchen hat, auch wenn es andere beeinträchtigt oder schädigt. Man stelle sich zum Spaß vor, was geschähe, wollte man das Rauchen heute neu einführen. Ein weiteres »Aneinandervorbeireden« sehe ich bei der Einordnung der Gaststätten. Einerseits gehören sie dem Wirt, sind somit privat. Andererseits muss man sie soziologisch als öffentlich einordnen. Eine Teilnahme an der Gesellschaft ist ohne Gaststättenbesuch nur eingeschränkt möglich – sozial, kulturell, sogar politisch, man denke nur an öffentliche Versammlungen oder die berüchtigten »Stammtischdiskussionen«. Die Auffassung, wen der Rauch stört, der könne draußen bleiben, isoliert somit einen Teil der Bevölkerung – wie umgekehrt auch das Rauchverbot. Nur kann der Nichtraucher nicht »zum Nichtrauchen« nach draußen gehen. Am besten wäre zum Ausgleich der verschiedenen Interessen – der Raucher, Nichtraucher, Wirte, Öffentlichkeit – ein Kompromiss. Nur geht jede Nicht-Regelung wegen der Asymmetrie der Aggressionen zulasten einer Gruppe: der Nichtraucher. Und bislang sind alle vermittelnden Versuche faktisch gescheitert. Bleibt somit am Ende lediglich die Wahl zwischen einer stofflichen Aggression durch Gesundheitsbeeinträchtigung und einer normativen durch ein rechtliches Verbot, bevorzuge ich Letztere, wohl beeinflusst von der Kant’schen Definition des Rechts als »Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann«. Deshalb: Obwohl ich mit dem Rauchverbot nicht glücklich bin – ich weiß keine bessere Lösung.
Quellen:
- Die Bibel, Buch der Richter, 16, 4-22
- "Die Hochzeit des Figaro" oder "Figaros Hochzeit", Originaltitel "Le nozze di Figaro", Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Lorenzo da Ponte. Uraufgeführt am 1. Mai 1786 im Burgtheater in Wien
- "Der Barbier von Sevilla oder die nutzlose Vorsicht", Originaltitel "l barbiere di Siviglia ossia L'inutile precauzione", Oper von Gioacchino Rossini, Libretto von Cesare Sterbini. Uraufgeführt am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom
- Marc D. Hauser, Moral Minds, Harper Collins 2006
- Marc D. Hauser, The liver and the moral organ, Social Cognitive and Affective Neuroscience 2006 1(3):214-220
- im Internet abrufbar unter: http://scan.oxfordjournals.org (letzter Zugriff am 27.3.2008)
Illustration: Jens Bonnke