Die Gewissensfrage

Unterstütze ich mit meinem Einkauf bei Schlecker den Erhalt der verbleibenden Arbeitsplätze oder die Bezahlung von Dumpinglöhnen?

»Ist es moralisch vertretbar, durch meinen Einkauf bei der Drogeriekette Schlecker die Angestellten zu unterstützen, obwohl das Unternehmen selbst in der Vergangenheit wegen Dumpinglöhnen und der Bespitzelung von Mitarbeitern in der Kritik stand?« Ernst W., Sindelfingen.

Der Fall der Drogeriekette Schlecker ist aus dem Blickwinkel der Ethik ziemlich interessant. Wenn man den Berichten der Marktforschung glauben darf, war es unter anderem der schlechte Ruf in moralischer Hinsicht, der mit zum Abstieg der einstmals prosperierenden Handelskette geführt hat. Es ging vor allem um das Verhalten gegenüber den Mitarbeitern, ebenjene Vorwürfe, die auch Sie zögern lassen, dort einzukaufen. Dabei handelte es sich weniger um einen echten Boykott, der ja medienwirksam und in großem Maßstab inszeniert werden müsste, sondern um einen klassischen Mechanismus der Moral, den man, wie man hier sieht, in seiner Wirkung nicht unterschätzen sollte: die Ächtung. Derjenige, der sich gegen moralische Regeln und Werte stellt, wird geächtet, also aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Genau dies scheint Schlecker passiert zu sein; Umfragen ergaben katastrophale Sympathiewerte für die Marke. Viele wollten dort nicht mehr einkaufen. Dies galt umso mehr, als direkte Mitbewerber auf dem Markt entweder als weniger unmoralisch erscheinen oder sich sogar einer anthroposophischen, an der Wertschätzung der Mitarbeiter orientierten Grundhaltung verschrieben haben, was zusätzliche Sympathie einträgt.

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Was aber nun? Vermutlich dürften jetzt, spätestens im Rahmen der Insolvenz, die Weichen auch bei Schlecker neu gestellt werden. Dazu gibt es auch Gespräche mit den Gewerkschaften und den Beschäftigten, die sich an der Neupositionierung der Firma beteiligen wollen und denen es vor allem um den Erhalt der Arbeitsplätze geht. Tatsächlich wäre es in dieser Situation eigenartig, aus Solidarität mit den in der Vergangenheit drangsalierten Angestellten nicht bei Schlecker einzukaufen und dadurch nun die Rettung ihrer Arbeitsplätze zu behindern. Ich würde nicht so weit gehen, nun zu einem massiven Einkauf bei Schlecker aufzurufen, weil dieser ja zwangsläufig zulasten anderer Drogeriemärkte ginge, die ihre Mitarbeiter schon immer besser behandeln. Auch Sie werden schließlich nicht plötzlich doppelt so viel Shampoo brauchen. Aber darin, aus moralischen Gründen weiter Schlecker-Märkte zu meiden, sehe ich momentan keinen Sinn. Auch wenn es bei Verachtung um ein moralisches Gefühl geht und Gefühle sich nicht so schnell ändern.

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Quellen:

Zur Funktion der Verachtung im Rahmen der moralischen Gefühle:
Paul Rozin, Laura Lowery, Sumio Imada, Jonathan Haidt, The CAD Triad Hypothesis: A Mapping Between Three Moral Emotions (Contempt, Anger, Disgust) and Three Moral Codes (Community, Autonomy, Divinity), Journal of Personality and Social Psychology, 1999, Vol. 76, 574-586

Jonathan Haidt, The Moral Emotions, in: R.J. Davidson, K. R. Scherer & H.H. Goldsmith (Eds.), Handbook of affective sciences, Oxford University Press, Oxford 2003, pp. 852-870

Illustration: Marc Herold