Sauer macht traurig

Ein Barkeeper aus Lima hadert damit, dass alle Welt nur Pisco Sour trinkt. Dabei schmeckt er doch pur am besten.


Das Geheimnis der peruanischen Küche liegt in einer Zitrone. Sie wächst in Chulucanas, einer Region im Nordwesten Perus an der Grenze zu Ecuador. Sie ist so klein wie eine Limette und besonders sauer. Aber die Zitrone aus Chulucanas darf nicht exportiert werden. Wegen einer Fruchtfliege, die mit ihr verbreitet werden könnte.

In den vielen neu eröffneten Ceviche-Lokalen in Europa oder den USA begnügt man sich meistens mit Ersatz aus Afrika. Trotzdem gilt die peruanische Küche als der nächste große Trend nach der skandinavischen. Ferran Adrià, der Erfinder der Molekularküche, kocht mit seinem Bruder Albert in Barcelona inzwischen in einem peruanisch-japanischen Lokal mit dem Namen »Pakta«. »Tanta« ist die erste peruanische Restaurantkette mit Filialen in den USA. Es gibt sogar ein Standard-Kochbuch, das dieses Jahr erst in mehrere europäische Sprachen übersetzt wurde: Ceviche. Martin Morales hat es geschrieben, ein Koch, der das gleichnamige, angesagte Restaurant in Soho/London führt. Ceviche ist in diesem Jahr ein Begriff geworden, Pisco Sour, das passende Getränk dazu oder danach, ist es schon länger. Ohne Zitrone gäbe es beides nicht. Man braucht Zitronen, um den Sour zu mixen oder darin den rohen Fisch einzulegen, so macht man Ceviche. Peruanische Küche ist sauer – selbst mit afrikanischen Zitronen. Die Säure verleiht ihr Frische. Deshalb sind Ceviche und Pisco Sour so beliebt.

Ricardo Carpio Valdés presst eine echte peruanische Zitrone aus und stellt ein Glas zum Probieren auf den Tresen seiner Pisco-Bar. Sie liegt in Miraflores, einem der wenigen wohlhabenden Stadtviertel in Lima, gleich neben dem Inka-Markt. Zwischen drei Uhr nachmittags und frühmorgens bekommt man hier Barfood und Pisco. Die Pisco-Bar führt keinen Wodka, Whisky oder Gin auf der Karte, nur diesen heimischen Weinbrand.

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Valdés versteht sich als Botschafter der peruanischen Küche, seit ihn sein Großvater mit vier Jahren am Pisco nippen ließ und ihm eingeimpft hat, wie reich das arme Peru eigentlich ist: Pisco, Ceviche, Zitronen. Diese Botschaft ist nur teilweise angekommen in der Welt. Die Menschen kennen den Pisco meistens nur als Sour. Im Ausland wie in Peru. Mit Zitrone, Zucker, geschlagenem Eiweiß und zerstoßenem Eis. Valdés Verhältnis zur heimischen Zitrone ist gespalten. So sauer und frisch wie sie schmeckt keine, das weiß er. Sie ist die beste für Ceviche, und sie ist auch die beste für den Pisco Sour. Aber Valdés hat sechs Jahre in den Weinbergen gearbeitet, er möchte, dass der Pisco endlich auch pur zu seinem Recht kommt. Nur so schmeckt man die Traube heraus, nur so lässt sich ein Moscatel von einem Torontel unterscheiden. Zitrone und Zucker machen die feinen Unterschiede zunichte.

Vor sieben Jahren hat er den Pisco Sour von seiner Karte gestrichen. Damals verkaufte er jede Freitagnacht 400 Gläser davon. Er möchte die Leute zu ihrem Glück zwingen, hofft, dass sie den Pisco öfter mal pur probieren. Oder wenigstens mit Tonic-Wasser oder Ginger Ale, das erschlägt den Pisco-Geschmack nicht völlig. Valdés verzweifelt an seinen Gästen. Meistens bestellen sie immer noch einen Pisco Sour, ob er nun auf der Karte steht oder nicht. Und Valdés mixt ihn. Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Schließlich hat er Frau und Kinder.

Er schenkt einige Gläser ein und fordert zum Nippen auf. Erst mal pur. Pisco kann so hart wie hochprozen-tiger Grappa schmecken oder so weich wie sonst nur Marillenschnaps.Acht verschiedene Traubensorten werden in fünf Regionen südlich von Lima angebaut, auf einer Küstenlänge von 1300 Kilometern in jeweils fünf Tälern, von Meereshöhe bis zu 2000 Metern in den Anden. Je höher die Trauben wachsen, desto geringer ihr Alkoholgehalt. Die acht verschiedenen Trauben kann man getrennt oder vermischt verarbeiten, deswegen gibt es allein in Peru schon mehr als 400 verschiedene Marken. In Chile wird die Traubenhaut mitverarbeitet, in Peru nicht. Acht Kilo Trauben ergeben nur einen Liter Pisco. Die Herstellung ist zu teuer, als dass mit ihm viel Geld zu verdienen wäre. Die meisten Produzenten aus Peru verzichten denn auch auf Marketing und Werbung.

Neulich war Martin Morales, der erfolgreiche Koch mit dem Restaurant in London, bei Valdés in Lima zu Gast. Die beiden haben sich beraten, wie sich mehr guter Pisco nach Europa exportieren ließe. Pisco ist der perfekte Begleiter zu Ceviche, mit etwas Eis lässt sich sein Alkoholgehalt gut verringern, und das Aroma steigt im Glas nach oben. Aber die Pisco-Produktion kann mit der Ceviche-Nachfrage kaum mithalten, und nicht jede der 400 Marken könne man mit Genuss trinken, so Valdés: Ocucaje, Queirolo, Tacama und Tabernero zum Beispiel eher nicht. Das Anbaugebiet in Peru ist riesig, die vielen kleinen Erzeuger lassen sich unmöglich alle kontrollieren. Valdés selbst hat im Alter von zwanzig Jahren mal so schlechte Erfahrungen mit Pisco gemacht, dass er zehn Jahre kein Glas mehr anfasste. Heute vertraut er vor allem den Piscos von Torre de la Gala und Cholo Matías, zwei Marken, die für den Export viel zu kleine Mengen produzieren. Viñas de Oro findet auch sein Gefallen, der ist in Europa gut zu bekommen.

Valdés ruft seine Köchin und bittet sie, Ceviche auf dem Tresen anzurichten. Laura Israel ist in Lima bekannt für ihre Ceviche. Sie mischt Fischfond mit Pfeffer, Koriander, Sellerie, pasteurisierter Milch, scharfer Ají-Sauce aus Tomaten, Eiswürfeln und Zitronensaft. Damit beträufelt sie die Fischstücke, legt Zwiebelringe darauf, ein Salatblatt und eine Süßkartoffel daneben, fertig. Südamerikaner essen den Fisch sofort und roh, Europäer warten etwas länger, bis der Fisch im Zitronensaft gar wird. Der frisch gepresste Zitronensaft schmeckt sauer, herb. Nach zehn Minuten verliert er schon viel von seiner Säure.

Peruanische Fischer haben die Zitronen schon immer mitgenommen, wenn sie weit aufs Meer gefahren sind. Auf dem Boot haben sie den frisch gefangenen Fisch in Zitronensaft eingelegt und roh gegessen. So wurde Ceviche erfunden: als Fastfood für arme Fischer. Kein Mensch weiß, warum man Ceviche in ganz Peru nur bis fünf Uhr nachmittags isst. Der Fisch ist hier ja auch noch abends ziemlich frisch.

Nach dem Essen mixt Valdés einen Pisco Sour. Er kippt drei Teile Pisco, einen Teil Zitrone (in Europa muss man mehr verwenden: eher 1,5), 25 Gramm Zucker, ein halbes Eiweiß und zwei Tropfen Angosturabitter in den elektrischen Mixer. Er serviert den Sour und wartet gespannt auf eine Bestätigung, wie viel schlechter der doch schmeckt als pur. Aber der Pisco Sour von Ricardo Carpio Valdés wird mit dem Saft der peruanischen Zitrone gemixt und schmeckt großartig.

Nicht auszudenken, wie erfolgreich Pisco Sour und Ceviche erst wären, wenn man sie auch in Europa mit der echten Zitrone probieren könnte.

Illustrationen: Rutu Modan