Neulich hat Eva Schubert die Geige ausgepackt und Freunden in München eine Solosonate von Prokofjew vorgespielt. Jahrelang ging das nicht, da rührte sie das Instrument, das ihr halbes Leben bestimmte, nicht an. Warum sie so extrem reagierte, weiß sie nicht, manchmal ist man sich selbst ja auch ein Rätsel. Vielleicht musste sie sich mit derselben Ausschließlichkeit in die Küche stürzen wie in die Musik, weil sie eben so veranlagt ist.
Als Eva Schubert acht Jahre alt war, musste das Nachbarsmädchen Geigenunterricht nehmen. Und während ihre zwei älteren Schwestern Twiggy nacheiferten und immer schmaler wurden, um gegen die Eltern zu rebellieren, dachte Eva Schubert: Musik, das wär’s. Klassische Musik, als Gegengewicht zur gedrückten Stimmung zu Hause. Sie bekam die Geige, durfte mit der Nachbarstochter Stunden nehmen und vergötterte ihre Lehrerin. Sie war, so sagt sie es heute, »wie verliebt in sie. Genauso wollte ich einmal werden.«
In München am Konservatorium fand Eva Schubert heraus, dass sie vor Publikum doppelt so gut spielte wie allein. Sie hatte keine Angst, sondern Glücksgefühle auf der Bühne. Aber weil sie sich beim Geigeüben nicht so geschunden hatte wie die anderen, die auf der Bühne vor Aufregung nur halb so gut spielten, dachte sie: Eines Tages kommen sie drauf, dass ich eigentlich nichts richtig kann.
Immer wieder, auch später, als sie an den Hochschulen für Musik in Düsseldorf, Köln und Aachen studierte, überlegte sie, dass es schön sein müsste, etwas Handfestes zu tun, etwas, was jeder beurteilen kann. Kartoffeln schälen zum Beispiel. Dann sagte ein Professor in Düsseldorf zu ihr: Aus dir wird nie eine große Geigerin, schau dir deine Hände an, du wirst Bratsche spielen. »Aber die Geige war meine Stimme«, sagt sie.
Sie blieb bei der Geige. Nach dem Hochschulabschluss in München fing sie plötzlich an, doppelt so viel zu üben wie während des Studiums. Sie spielte bei Kirchenkonzerten, in Orchestern, im Kammermusikquartett, machte Bühnenmusik am Theater und Filmmusik, reiste nach Spanien, Polen, Argentinien, half bei den Münchner Philharmonikern unter Celibidache aus, eigentlich lief es gut, sie war auf dem Weg, eine gute Orchestermusikerin zu werden. Aber sie war nicht glücklich.
1995, in der Nacht zu ihrem 34. Geburtstag, saß sie allein mit einer Flasche Bier im Auto und dachte wieder ans Kartoffelschälen. Als ihr Münchner Lieblingsrestaurant Feierabend machte, stand sie dort auf der Matte. Ob sie bei ihnen kochen lernen könne? Klar, sagten die, wir fangen morgens um neun an.
Vier Monate putzte sie Artischocken, tournierte Gemüse, knetete Nudelteig, fand es toll und fragte sich, ob sie sich für die Geige genauso begeistern könnte. Nach dem Putzen und Tournieren übte sie noch mehr Geige – und dann, eines Tages, sagte sie alles ab, alle Termine mit den Orchestern, die sie gebucht hatten, und ging nach Sizilien. Die Geige blieb im Koffer.
Heute ist Eva Schubert 50, Mutter einer zwölfjährigen Tochter, ihr Lebensgefährte und Geschäftspartner ist ein sizilianischer Sommelier. Seit vier Jahren fährt sie einmal im Monat von Taormina nach München, um Orangen und Öl, Wurst und Honig auszuliefern, an Privatleute, an einen Biomarkt. Davor hatte sie in Sizilien zwei Restaurants geleitet und vor lauter Arbeit kaum ihre Tochter gesehen, auch darum gründete sie eine Firma: Piacere Siciliano.
Das Konzept: Aus guten sizilianischen Produkten selbst etwas herstellen, Feigenchutney, Fenchelpaté, Brotaufstrich aus Oliven und Anchovis, Salsa aus unbehandelten Freilandtomaten. Oder den kleinen Herstellern von Öl, Wurst, Käse, Honig, Wein, von Obst und Gemüse die Bioprodukte abkaufen und nach Deutschland bringen. Sie sichert den Bauern zu, ihnen eine bestimmte Menge abzukaufen; so kann sie auf Anbau und Qualität der Produkte einwirken. »Im Prinzip steht die Idee von Slow Food dahinter«, sagt Eva Schubert.
Zu dieser Idee passt es, die Ware mit dem Lieferwagen auszufahren, fast 2000 Kilometer sind es von Sizilien bis München. Die Washington-Navel-Orangen aus Ribera, die ab November reif sind, werden am Abend der Ernte nach München kutschiert, im Sommer sind es Melonen. Und Pfirsiche. Die werden im Frühling, zum Schutz vor Fliegen, nach einer alten Methode von Hand in ein Papiersäckchen gepackt, in dem sie reifen.
Als Eva Schubert über ein Logo für ihre Firma nachdachte, kam sie schnell auf die Idee einer Weinflasche – eine Hommage an Sizilien und an ihren Mann, den Sommelier, sagt sie. Und dann kam die Geige dazu, denn irgendwie war sie es ja, die sie nach Sizilien gebracht hatte. Seit Kurzem spielt Eva Schubert auch wieder, im Opern-Orchester von Messina. Zum Spaß.
Fotos: Julian Baumann