Es gab einen kleinen Moment, da habe ich mich technisch weit, weit vorn gefühlt. Ich muss kurz ausholen: Am ersten Schultag meines Sohnes, 1997 war das, zählte ich mindestens sechs Computer in seinem Erstklässler-Klassenzimmer. Und als der Lehrer den Eltern erzählte, jedes Kind werde eine eigene E-Mail-Adresse haben, pfiff ich leise durch die Zähne, erleichtert: Ich war ihm ein Jahr voraus, ich hatte seit 1996 Internet und E-Mail.
Damals aber wechselte der Lehrer schon nach einem halben Jahr die Schule, die neue Lehrerin war mehr auf Trommeln eingestellt und ließ die Kinder dazu den Korbflechtertanz tanzen. Die Computer blieben aus.
Mein Sohn ist jetzt 18. Außer in den ersten Monaten seiner Schulzeit hatte er noch eine Kindheit ohne Internet. Die nach ihm haben das nicht mehr. Ich weiß nicht, ob das gut ist oder schlecht, es ist eben so.
Ich würde sagen: Er kennt sich natürlich im Netz viel besser aus als ich, aber er hat von der Welt keine Ahnung. Weiß nichts von den Unwettern in Pakistan, von den Feuern in Russland, nichts vom Tattoo unserer neuen First Lady. Er surft den halben Tag im Netz, aber niemals, um sich zu informieren. Zu informieren in meinem Sinn.
Er informiert sich auf Facebook, was seine Freunde machen. Er sagt, er habe Freunde, die auf die Frage, was sie heute machen würden, antworten: »Ich mache Facebook.« Mein Sohn informiert sich über Transfersummen von Fußballspielern und Bundesligaergebnisse und darüber, wo es die günstigsten Fußballschuhe gibt.
Vielleicht würde er sagen: Meine Mutter lebt den halben Tag im Netz, hat aber keine Ahnung, was Laura, Anna, Tessa, Moritz, Flo, David gestern gemacht haben und für wie viel Geld Özil zu Real Madrid gewechselt ist. Dafür weiß sie jeden Schrott über Öllecks irgendwo in Amerika und Taliban-Aufstände in Afghanistan. Wozu soll das gut sein?
Er liest keine Zeitung. Das wundert mich schon lang nicht mehr, das macht keiner seiner Freunde. Aber he, immerhin, ich meine, er ist in einem Journalistenhaushalt groß geworden, wir allein könnten den Papiercontainer füllen mit den Zeitungen, die bei uns rumliegen und die ich mit nach Hause bringe. Manchmal reiße ich superpädagogisch eine Geschichte über Felix Magath aus und lege sie quer über seinen Schreibtisch. Da stellt er dann seinen Laptop drauf.
Er liest aber auch im Netz keine Zeitungen. Vor ein paar Monaten, als dieser Vulkan in Island den Flugverkehr auf der halben Welt lahmlegte und ich merkte, er weiß das auch drei Tage später noch nicht, habe ich ihn mal wieder fassungslos angestarrt. Wie geht das, dass man das nicht wissen kann? Alle reden drüber, die Schlagzeilen auf den Boulevardzeitungen groß wie Bockwürste. Radio, Fernsehen, überall! Wie kann man das übersehen?
Man kann. Es scheint ganz einfach zu sein. Zeitungen spielen keine Rolle in seiner Welt. Nachrichten auch nicht. Ich glaube, mein Sohn denkt, wenn ich von interessanten Geschichten aus Zeitungen und Magazinen erzähle, die ich gelesen habe: Ach Gott, jetzt sabbelt die Alte wieder vom Krieg.
Vermutlich sieht die Logik eines 18-Jährigen heute so aus: Muss ich was wissen von einem Vulkanausbruch? Hat er was mit meinem Leben zu tun? Nö? Schreibt auf Facebook jemand, dass es was mit seinem Leben zu tun hat? Nö. Also: Sollte ein solcher Vulkanausbruch aus irgendwelchen Gründen wichtig sein für mein Leben, wird mich diese Nachricht schon erreichen. Ich bin schließlich fast immer online.
Ich bin jetzt mal gespannt, ob er mich auf diese Geschichte anspricht. Das Magazin wird ganz normal bei uns zu Hause liegen, er könnte sie auch im Netz unter www.sz-magazin.de lesen. Vielleicht, wenn es was mit seinem Leben zu tun hat?
Illustration: Jean-Philippe Delhomme